Zitat:Auch Albert Speer war so ein Mensch. Auch er war ein "Vorläufer", wie er heute zum Beispiel in der Rolle des erfolgreichen Managers wiederkehrt: ein intelligenter verbindlicher Mann, der gefühlvoll und normal erschein, der auf geniale Weise aktuelle Zeitströmungen erspürte und sie zu benutzen verstand, der andere mit Eleganz und Charme beeindruckte, der aufgeschlossen wirkte und sich scheinbar einem überpersönlichen Ziel verschrieben hatte. Kurz: ein Mann, der die Kunst der Pose brillant beherrschte, tatsächlich aber amoralisch und ohne eigene Identität war. Solche Menschen haben in früher Kindheit gelernt, andere zu manipulieren. Sie sind die perfekten Darsteller eines vertrauenerweckenden Menschen. Sie wissen genau, welche Gefühle von ihnen erwartet werden, und sie verstehen es, diese in perfekter Weise und mit großer Geste zu simulieren. Tatsächlich jedoch sind sie gefühllos, innerlich hohl und abgestorben. Sie erleben in sich nicht die widerspruchsvolle Spannung, die entstehen würde, wenn sie tatsächlich in ihren Gefühlen leben würden.

Zitat:Wir sind verführbar durch unsere Faszination für Größe, die sich ja auch in dem Streben nach Macht, Erfolg, Genialität, Außergewöhnlichkeit oder perfekter Schönheit ausdrückt. Solange wir uns durch Glanz und Glamour täuschen und durch den Anschein von Größe und "männlicher" Stärke von unseren eigenen Gefühlen und Wahrnehmungen abbringen lassen, sind wir manipulierbar. Was die Welt vor Gewalt und Terror bewahren kann, sind nicht moralische Appelle und politische Bekenntnisse. Nur durch das Mitfühlen mit anderen, mit ihrem Schmerz, den sie durch Demütigung, Erniedrigung und Gewalt erleben, lassen sich Diktatoren und Kriege verhindern.

Zitat:Wenn ein Mensch Hilflosigkeit nicht ertragen kann und immer alles im Griff haben muss, ist dies meistens als eine Reaktion auf ein solches Erleben des Sterbens zurückzuführen. Problematisch ist: In unserer Kultur wird dieses Alles-unter-Kontrolle-Haben als etwas Positives und Starkes interpretiert, was Menschen dazu qualifiziert, Führungsaufgaben zu übernehmen. So sind wir immer versucht, uns gerade diese beschädigten Menschen als bestimmende Autorität und Leitfigur auszusuchen, da wir glauben, dass diese auf politischer Ebene am besten geeignet sind, uns vor Gefahren zu schützen. In Wahrheit jedoch bringen sie uns erst wirklich in Gefahr. Solche Machtmenschen, die immer alles unter Kontrolle haben und allem und jedem ihren Stempel aufdrücken müssen, können das Lebendige nicht einfach so belassen, wie es ist. Sie müssen es beherrschen, besitzen, häufig niedermachen oder sogar töten, um ihr Gefühl innerer Leere zu füllen, das daraus erwachsen ist, dass sie als Kinder keine wahre Liebe erfahren haben.

Zitat:In diesem Vorgang liegt die Bedrohung für jede demokratische Gesellschaft: Wenn Menschen auf eine falsche Wirklichkeit geprägt sind, die der Pose gewidmet ist, dann werden sie sich von Politikern anführen lassen, die am überzeugendsten die Pose der Kraft, der Entschiedenheit und der Selbstsicherheit zu verkörpern wissen. Ihre im Hintergrund lauernde Angst vor der Wahrheit entfacht bei solchen Menschen nicht nur die Wut auf diejenigen, die der Wahrheit Ausdruck verleihen. Die Angst nötigt sie auch, Erlösung durch jene zu erwarten, die sie durch ihr Posieren von der Angst befreien. Hier wiederholen Erwachsene ein altes Muster: Indem man sich einer posierenden Autorität unterwirft, wird man von Angst und Verantwortung erlöst.
So werden Wahlen entschieden: nicht durch Tatsachen und logische Argumente, sondern durch erfolgreiches Posieren, das die wahren Motivationen der Akteure verschleiert. Erst kürzlich wurde eine Studie über das politische Wahlverhalten veröffentlicht, die meine klinischen Beobachtungen über das Posieren bestätigt: Wenn der Gesichtsausdruck, also die Pose, eines Kandidaten Kompetenz signalisiert, spielen rationale Überlegungen bei der Wahl eine untergeordnete Rolle. [...]