17.05.2025, 08:50
Das Schiff stellte sich dem rauen Wind und schnitt durch die grauen Wogen. Die Überfahrt des schwerbeladenen Handelsschiffes dauerte einige Stunden, während derer die Sonne es schaffte, die Wolken zu vertreiben. Hjalland empfing sie mit einer Ahnung dessen, was Sie bei Ihrem ersten Besuch im Sommer erlebt hatten. Wie schritten die lange Gasse hinunter zum großen zentralen Platz, gut gepflastert und von guten Gebäuden umgeben und wandten sich dann zum Kontoreiviertel seitlich des Hafens. Hier konnten sie endlich den Rest der Beute ihrer zurückliegenden Abenteuer verkaufen, Insbesondere die schimmernden Phiolen. Das Gold füllte die Beutel der Gruppe schwer, Es waren jetzt über 2.000 Dukaten. Manch einer würde sagen, sie hätten ihr Glück gemacht, aber abgesehen vom angenehmen Klang der Goldmünzen war Gold für unsere Reisenden nur a means to an end. Haus Hjalland empfing sie wieder mit exzellentem Essen, und nicht nur Archon steckte seinen Kopf tiefer in den Weinkeller. Manch einer der Gruppe kreuzte verstohlen die Finger hinter dem Rücken, in der Hoffnung, dass ihre Passage nach Varnheim noch etwas auf sich warten ließe. Der Wunsch ward ihnen erfüllt, und sie verbrachten drei Tage in Ljasdahl. Althea tat sich im Kontoreiviertel um und spürte nach den langen Wochen im Gebirge wieder den Hauch der weiten Welt, Hurdin stumm an ihrer Seite. Furka machte die Tavernen unsicher und festigte seinen Ruf als gebuffter Kartenspieler. Archon saß da über der ein oder anderen Flasche Wein und studierte wieder und wieder die alchimistischen Dokumente, die er auf der Reise aufgesammelt hatte. Ihre Passage schließlich war ein schneller Kutter, dessen Kapitän ihnen eine schnelle Überfahrt vor dem morgendlichen Westwind versicherte.
Wie versprochen spritzte die Gischt nur do vor dem Bug des Kutters, der sie nach Varnheim übersetzte. Mit Hjalland hinter ihnen schien eine letzte Wärme zu schwinden, der scharfe Wind auf dieser Deckpassage zwang sie dazu, sich tief in ihre Umhänge zu verkriechen und den Schutz der Bordwand zu suchen. Als nachmittags die Küste bei Varnheim als Streifen am Horizont auftauchte, war der Himmel wieder bedeckt wie wenige Tage zuvor in Ottarje. Der Wind pfiff schroff von See, als sie von Bord gingen und folgte ihnen durch die Gassen zum Zentrum der Stadt. "Ein Sturm wird kommen" stellte Tondar mit fachkundigen Blick auf den Himmel fest...
...und niemand widersprach.
Der Platz von Varnheim lag seltsam verlassen da, fast zu leer für die Größe der Stadt. Ein paar Seile flatterten zwischen den Masten der vertäuten Schiffe, und irgendwo klapperte ein Fensterladen im Wind. Der Geruch von Salz, Fisch und altem Holz hing über allem, als wäre er von der Brandung selbst in die Häuser getragen worden. Althea zog den Mantel enger und betrachtete die Ausleger der Docks, die sich langsam in der beginnenden Dämmerung verloren. „Wir sollten nicht lange bleiben“, sagte sie, mehr zu sich als zu den anderen.
Hurdin nickte stumm. Keldi prüfte im Gehen die Riemen seines Rucksacks, während Archon mit zusammengekniffenen Augen ein hölzernes Schild mit Handelszeichen betrachtete, als könne es mehr verraten als nur Preise für Pökelfisch und Reisebrot. Furka wirkte wie immer unbeeindruckt, doch sein Griff um die Tasche mit dem Kartenmaterial war fester als nötig.
Sie würden vielleicht noch ein Dach für die Nacht suchen. Vielleicht aber auch nur eine warme Mahlzeit. Die Frage war nur, ob Varnheim sie aufhalten würde – oder ob der Sturm sie hinaustrug, weiter über die Straße von Vilnheim, weiter in Richtung Heimat. Weiter... nach Oberorken.
Keldi und Tondar besprachen sich kurz, dann verschwanden sie beim Händler am Marktplatz, um Vorräte aufzufüllen. Die Gruppe kehrte in der zentral liegenden Herberge ein und besprach beim abendlichen Essen die weitere Reiseroute. Ihr Weg würde sie weiter nach Westen führen, von der Küste weg zum Bodir. Der Pfad nach Auplog führt durch ein Hochland, das sich aus den südlichsten Ausläufern der Hjaldorberge erstreckt. Erst die Hügel des Anstiegs von der Küste, dann die wilden Hügel, bevor sich der Weg wieder ins Bodirtal hinab neigt. "Zwei Tage" schätzte Tondar...
„Zwei, wenn das Wetter hält“, ergänzte Keldi und rührte mit ernstem Blick in seinem Eintopf. Der Geruch von Kümmel und Wurzelgemüse stieg aus den dampfenden Schalen, aber niemand aß mit echter Hingabe. Der Tag war zu lang gewesen, der Wind hatte zu sehr an den Nerven gezerrt, und das Wissen, dass es noch einmal über Höhen gehen würde, bevor das Tal des Bodir erreicht war, lag wie ein Gewicht über der Runde.
Althea saß seitlich am Tisch, das Kinn auf die Hand gestützt, und ließ den Blick durch die Herberge schweifen – solide, trocken, aber schlicht. Ein Ort zum Rasten, nicht zum Bleiben. „Dann brechen wir morgen früh auf“, sagte sie leise, und die anderen nickten, als sei längst alles gesagt.
Archon saß mit verschränkten Armen und musterte den Flammenlauf der Kerze, die in der Mitte des Tisches stand. Furka leerte sein Bier mit einem leisen Brummen und streckte die Beine aus. „Zwei Tage“, wiederholte er, „und dann ist der Bodir wieder unter unseren Stiefeln. Und dann... nur noch ein Fluss bis Oberorken.“
„Ein Fluss, und ein ganzer Winter“, ergänzte Hurdin ruhig. Aber in seinem Blick lag Vorfreude – auf das Vertraute, das Verlässliche, das Warme.
Die Gruppe blieb an diesem Abend nicht lange auf. Jeder prüfte still für sich die Ausrüstung, den Stand der Bolzen, die Nähte der Umhänge. Draußen schlug der Wind gegen die Fensterläden. Und als sie später in ihren Betten lagen, hörte man das Heulen nicht mehr von der Küste, sondern vom Hochland, das vor ihnen lag.
Der Wind strich über die Hügel, zerrte an der Vegetation und brachte das Heidegras dazu sich wellenförmig zu bewegen. Der ehemals gute Karrenpfad bei Varnheim wurde zu einem Fußpfad, als sie die Felder hinter sich ließen und die Weiler und Gehöfte weniger wurden. Nichts Bemerkenswertes auf diesem Weg, "Nichts Bemerkenswertes", dachte Althea, außer der Kälte. Sie war sich nicht sicher, was sie jemals gegen Reisen im Sommer gehabt hatte und dachte wehmütig an den Nachmittag in der Sonne zurück, den sie weiland bei den Bienenstöcken des Hjallandhofs verbracht hatten, im Herz der Insel Hjalland. Als die Nacht fiel, rasteten sie mit Blick auf die sich auftürmenden Hügelkuppen des Hochlands. Am nächsten Tag ging es weiter, über Stock und Stein. Der Pfad folgte den Hügeltälern, durchrissen von kleinen Bächen, Zumindest boten die Täler einigermaßen Schutz vor dem immerwährenden Wind, der über das Land pfiff und die Vegetation zerzaute. Wenn das Tal nicht direkt von Westen auslief...
So war sie dankbar, als sie am späten Vormittag von einem reißenden Bach gestoppt wurden, der die darüber führende Brücke mit sich gerissen hatte. Furka hatte bereits fachmännisch Maß genommen, und kurz darauf waren die Zwerge geschäftig unterwegs, Tondar mit der Axt, Furka mit dem Hammer, während Hurdin die Seilbündel abspulte, die er seit Anbeginn aufgeladen hatte - Althea hatte fast den Eindruck, die Zwerge wären glücklich über dieses Hindernis... Zwei Stunden später waren die Reste der alten Brücke beseitigt und eine niegelnagelneue Hängebrücke querte den Bachlauf. Keldi kam gerade aus der kleinen Klamm wieder hinauf, während Furka zufrieden brummelte. "Die hält." verkündete er. "Da haben wir dem Land Thorwal einen Dienst getan." Ohne Probleme erreichten sie die andere Seite...
…und als sie den neuen Steg überquerten, war es, als ob nicht nur der Bach, sondern auch etwas in ihren Gedanken überbrückt worden wäre. Der Hochnebel hatte sich zurückgezogen, ließ mattes Licht auf das Land fallen, und für einen Moment wirkte selbst der Wind stiller.
Archon blickte einen Moment lang zurück, prüfte die Spannung der Seile mit einem kritischen Griff – und nickte dann fast unmerklich. „Nicht alles, was wir tun, muss im Kampf geschehen“, murmelte er.
Althea blieb einen Herzschlag lang stehen, blickte hinunter auf das schäumende Wasser, das unter ihnen tost. Der Bachlauf verschwand zwischen den zerzausten Weiden, den abfallenden Steinen – und führte, irgendwann, in den Bodir.
*Der Bodir*, dachte sie.
Noch zwei, vielleicht drei Tage. Dann würden sie wieder hinabsteigen, in die tiefer liegenden Lande. In die Gewissheit des Winters. In den Ort, der ihnen für die nächsten Monde Wärme, Schutz und vielleicht sogar ein wenig Ruhe versprechen sollte.
Noch trug das Land Spuren ihrer Reise – Spuren von Gold, Blut, Wind und Feuer. Aber es würde bald schweigen. Bald. Nicht jetzt.
Jetzt war nur der Wind, das Gehen, das flüchtige Lächeln zwischen den Kapuzen –
und das gleichmäßige, sichere *Klonk* von sechs Paar Stiefeln auf frischem Holz.
Der Pfad wand sich weiter durch das Hochland, als sie die Säume eines Waldes erreichten, der von Norden heranreichte. Nach einer kurzen Mittagsrast kam Tondar in seiner üblich berherrschten aber nachdrücklichen Art zu ihnen - Spuren einer Herde. Von seiner Begeisterung angesteckt, pirschten sie in ein bewaldetes Tal hinein, bis sie eine große Herde Karene vor sich grasen sahen. Tondar gelang es, mit seiner ganzen inzwischen gewonnenen Routine, zwei Tiere zu erlegen (auch wenn Furka beinahe im Gebüsch einschlief, während Tondar auf Pirsch war) - Probleme mit Nahrung sollte es auf dieser Reise nicht mehr geben... Am Abend blickten sie von den letzten Höhen des Hochland auf den Abstieg über bewaldete Hänge hinüber zu den Hügeln die die westliche Seite des Bodirtals säumen, der Fluss noch nicht sichtbar, aber als stummes Versprechen hinter dem Horizont... Am nächsten Morgen brachte sie in strenger Marsch durch die Hügel hinüber zum Fluss. Der Wind war weniger scharf hier, abgehalten durch das Hochland in ihrem Rücken. Als die Nacht eintrat, sahen sie schließlich das breite Band des Bodir auf dem Weg nach Süden, zur Küste und dann die ersten Gebäude von Auplog.
Und mit dem Anblick der ersten Dächer von Auplog, tief unten im Tal des Bodir, kehrte eine eigentümliche Ruhe in die Gruppe ein. Nicht Erleichterung – nein, das war zu früh – aber eine Art innerer Einkehr. Der Blick zurück zeigte zerzauste Wälder, windzerfurchtes Gras, eine Brücke, die sie selbst gebaut hatten. Der Blick nach vorn zeigte einen Strom, dessen Wasser in der Abenddämmerung wie geschmolzenes Zinn wirkte.
„Das Tal hat uns wieder“, murmelte Hurdin.
Furka gähnte. „Und es hat Appetit.“
Althea lächelte still, während sie die letzten Schritte des Abstiegs tat. Der Wind hatte sich gelegt. Nur noch ein feuchter Hauch zog über das Land – der Hauch eines Winters, der in den Höhen lauerte, aber das Tal noch verschonte. Vor ihnen: Auplog, ein Grenzort zwischen Wildnis und Zivilisation, zwischen dem rauen Norden und der Verheißung der Städte, die jenseits des Winters liegen mochten.
Doch was jetzt zählte, war das Licht in den Fenstern. Der Geruch von Rauch. Die Aussicht auf ein Bett.
Und das Gefühl, dass jede Stunde, die sie sich tiefer ins Tal bewegten, sie näher zu dem Ort brachte, der – für eine Weile – *ihr Ort* sein würde.
Oberorken wartete. Bald. Bald.
Sie blieben Durchreisende, eine Abendmahlzeit, eine Nacht im Schlafsaal und schon ging es weiter, den Bodirsteg nach Norden, nach Vilnheim. Die Handelsstraße war selbst im Herbst gut begehbar, und eine Weile schritten sie neben einem Handelszug, der auf dem Weg nach Norden war. Irgendwann ließen sie die Ochsenkarren hinter sich, und trieben als eine von kleinen Reisegruppen Vilnheim entgegen, durch einen Herbst, der die Blätter über die Straße trieb, hinein in den Bodir, auf denen immer wieder Flöße zu sehen waren. Vilnheim, mit malerischem Ortskern zeigte den Beginn der letzten Bastion der Zivilisation - neben Oberorken - hier wo sich die Handelsstraße teilte, in das Orkland hinein, gen Phexcaer, und Richtung Oberorken mit dem dahinter liegenden Pass über die Hjaldorberge bei Felsteyn. Namen, die sie kannten, wie sie feststellten. Doch auch in Vilnheim waren sie Durchreisende, und fanden sich am nächsten Morgen auf der Handelsstraße entlang der Vrala, die bei Vilnheim in den Bodir mündete...
Wie versprochen spritzte die Gischt nur do vor dem Bug des Kutters, der sie nach Varnheim übersetzte. Mit Hjalland hinter ihnen schien eine letzte Wärme zu schwinden, der scharfe Wind auf dieser Deckpassage zwang sie dazu, sich tief in ihre Umhänge zu verkriechen und den Schutz der Bordwand zu suchen. Als nachmittags die Küste bei Varnheim als Streifen am Horizont auftauchte, war der Himmel wieder bedeckt wie wenige Tage zuvor in Ottarje. Der Wind pfiff schroff von See, als sie von Bord gingen und folgte ihnen durch die Gassen zum Zentrum der Stadt. "Ein Sturm wird kommen" stellte Tondar mit fachkundigen Blick auf den Himmel fest...
...und niemand widersprach.
Der Platz von Varnheim lag seltsam verlassen da, fast zu leer für die Größe der Stadt. Ein paar Seile flatterten zwischen den Masten der vertäuten Schiffe, und irgendwo klapperte ein Fensterladen im Wind. Der Geruch von Salz, Fisch und altem Holz hing über allem, als wäre er von der Brandung selbst in die Häuser getragen worden. Althea zog den Mantel enger und betrachtete die Ausleger der Docks, die sich langsam in der beginnenden Dämmerung verloren. „Wir sollten nicht lange bleiben“, sagte sie, mehr zu sich als zu den anderen.
Hurdin nickte stumm. Keldi prüfte im Gehen die Riemen seines Rucksacks, während Archon mit zusammengekniffenen Augen ein hölzernes Schild mit Handelszeichen betrachtete, als könne es mehr verraten als nur Preise für Pökelfisch und Reisebrot. Furka wirkte wie immer unbeeindruckt, doch sein Griff um die Tasche mit dem Kartenmaterial war fester als nötig.
Sie würden vielleicht noch ein Dach für die Nacht suchen. Vielleicht aber auch nur eine warme Mahlzeit. Die Frage war nur, ob Varnheim sie aufhalten würde – oder ob der Sturm sie hinaustrug, weiter über die Straße von Vilnheim, weiter in Richtung Heimat. Weiter... nach Oberorken.
Keldi und Tondar besprachen sich kurz, dann verschwanden sie beim Händler am Marktplatz, um Vorräte aufzufüllen. Die Gruppe kehrte in der zentral liegenden Herberge ein und besprach beim abendlichen Essen die weitere Reiseroute. Ihr Weg würde sie weiter nach Westen führen, von der Küste weg zum Bodir. Der Pfad nach Auplog führt durch ein Hochland, das sich aus den südlichsten Ausläufern der Hjaldorberge erstreckt. Erst die Hügel des Anstiegs von der Küste, dann die wilden Hügel, bevor sich der Weg wieder ins Bodirtal hinab neigt. "Zwei Tage" schätzte Tondar...
„Zwei, wenn das Wetter hält“, ergänzte Keldi und rührte mit ernstem Blick in seinem Eintopf. Der Geruch von Kümmel und Wurzelgemüse stieg aus den dampfenden Schalen, aber niemand aß mit echter Hingabe. Der Tag war zu lang gewesen, der Wind hatte zu sehr an den Nerven gezerrt, und das Wissen, dass es noch einmal über Höhen gehen würde, bevor das Tal des Bodir erreicht war, lag wie ein Gewicht über der Runde.
Althea saß seitlich am Tisch, das Kinn auf die Hand gestützt, und ließ den Blick durch die Herberge schweifen – solide, trocken, aber schlicht. Ein Ort zum Rasten, nicht zum Bleiben. „Dann brechen wir morgen früh auf“, sagte sie leise, und die anderen nickten, als sei längst alles gesagt.
Archon saß mit verschränkten Armen und musterte den Flammenlauf der Kerze, die in der Mitte des Tisches stand. Furka leerte sein Bier mit einem leisen Brummen und streckte die Beine aus. „Zwei Tage“, wiederholte er, „und dann ist der Bodir wieder unter unseren Stiefeln. Und dann... nur noch ein Fluss bis Oberorken.“
„Ein Fluss, und ein ganzer Winter“, ergänzte Hurdin ruhig. Aber in seinem Blick lag Vorfreude – auf das Vertraute, das Verlässliche, das Warme.
Die Gruppe blieb an diesem Abend nicht lange auf. Jeder prüfte still für sich die Ausrüstung, den Stand der Bolzen, die Nähte der Umhänge. Draußen schlug der Wind gegen die Fensterläden. Und als sie später in ihren Betten lagen, hörte man das Heulen nicht mehr von der Küste, sondern vom Hochland, das vor ihnen lag.
Der Wind strich über die Hügel, zerrte an der Vegetation und brachte das Heidegras dazu sich wellenförmig zu bewegen. Der ehemals gute Karrenpfad bei Varnheim wurde zu einem Fußpfad, als sie die Felder hinter sich ließen und die Weiler und Gehöfte weniger wurden. Nichts Bemerkenswertes auf diesem Weg, "Nichts Bemerkenswertes", dachte Althea, außer der Kälte. Sie war sich nicht sicher, was sie jemals gegen Reisen im Sommer gehabt hatte und dachte wehmütig an den Nachmittag in der Sonne zurück, den sie weiland bei den Bienenstöcken des Hjallandhofs verbracht hatten, im Herz der Insel Hjalland. Als die Nacht fiel, rasteten sie mit Blick auf die sich auftürmenden Hügelkuppen des Hochlands. Am nächsten Tag ging es weiter, über Stock und Stein. Der Pfad folgte den Hügeltälern, durchrissen von kleinen Bächen, Zumindest boten die Täler einigermaßen Schutz vor dem immerwährenden Wind, der über das Land pfiff und die Vegetation zerzaute. Wenn das Tal nicht direkt von Westen auslief...
So war sie dankbar, als sie am späten Vormittag von einem reißenden Bach gestoppt wurden, der die darüber führende Brücke mit sich gerissen hatte. Furka hatte bereits fachmännisch Maß genommen, und kurz darauf waren die Zwerge geschäftig unterwegs, Tondar mit der Axt, Furka mit dem Hammer, während Hurdin die Seilbündel abspulte, die er seit Anbeginn aufgeladen hatte - Althea hatte fast den Eindruck, die Zwerge wären glücklich über dieses Hindernis... Zwei Stunden später waren die Reste der alten Brücke beseitigt und eine niegelnagelneue Hängebrücke querte den Bachlauf. Keldi kam gerade aus der kleinen Klamm wieder hinauf, während Furka zufrieden brummelte. "Die hält." verkündete er. "Da haben wir dem Land Thorwal einen Dienst getan." Ohne Probleme erreichten sie die andere Seite...
…und als sie den neuen Steg überquerten, war es, als ob nicht nur der Bach, sondern auch etwas in ihren Gedanken überbrückt worden wäre. Der Hochnebel hatte sich zurückgezogen, ließ mattes Licht auf das Land fallen, und für einen Moment wirkte selbst der Wind stiller.
Archon blickte einen Moment lang zurück, prüfte die Spannung der Seile mit einem kritischen Griff – und nickte dann fast unmerklich. „Nicht alles, was wir tun, muss im Kampf geschehen“, murmelte er.
Althea blieb einen Herzschlag lang stehen, blickte hinunter auf das schäumende Wasser, das unter ihnen tost. Der Bachlauf verschwand zwischen den zerzausten Weiden, den abfallenden Steinen – und führte, irgendwann, in den Bodir.
*Der Bodir*, dachte sie.
Noch zwei, vielleicht drei Tage. Dann würden sie wieder hinabsteigen, in die tiefer liegenden Lande. In die Gewissheit des Winters. In den Ort, der ihnen für die nächsten Monde Wärme, Schutz und vielleicht sogar ein wenig Ruhe versprechen sollte.
Noch trug das Land Spuren ihrer Reise – Spuren von Gold, Blut, Wind und Feuer. Aber es würde bald schweigen. Bald. Nicht jetzt.
Jetzt war nur der Wind, das Gehen, das flüchtige Lächeln zwischen den Kapuzen –
und das gleichmäßige, sichere *Klonk* von sechs Paar Stiefeln auf frischem Holz.
Der Pfad wand sich weiter durch das Hochland, als sie die Säume eines Waldes erreichten, der von Norden heranreichte. Nach einer kurzen Mittagsrast kam Tondar in seiner üblich berherrschten aber nachdrücklichen Art zu ihnen - Spuren einer Herde. Von seiner Begeisterung angesteckt, pirschten sie in ein bewaldetes Tal hinein, bis sie eine große Herde Karene vor sich grasen sahen. Tondar gelang es, mit seiner ganzen inzwischen gewonnenen Routine, zwei Tiere zu erlegen (auch wenn Furka beinahe im Gebüsch einschlief, während Tondar auf Pirsch war) - Probleme mit Nahrung sollte es auf dieser Reise nicht mehr geben... Am Abend blickten sie von den letzten Höhen des Hochland auf den Abstieg über bewaldete Hänge hinüber zu den Hügeln die die westliche Seite des Bodirtals säumen, der Fluss noch nicht sichtbar, aber als stummes Versprechen hinter dem Horizont... Am nächsten Morgen brachte sie in strenger Marsch durch die Hügel hinüber zum Fluss. Der Wind war weniger scharf hier, abgehalten durch das Hochland in ihrem Rücken. Als die Nacht eintrat, sahen sie schließlich das breite Band des Bodir auf dem Weg nach Süden, zur Küste und dann die ersten Gebäude von Auplog.
Und mit dem Anblick der ersten Dächer von Auplog, tief unten im Tal des Bodir, kehrte eine eigentümliche Ruhe in die Gruppe ein. Nicht Erleichterung – nein, das war zu früh – aber eine Art innerer Einkehr. Der Blick zurück zeigte zerzauste Wälder, windzerfurchtes Gras, eine Brücke, die sie selbst gebaut hatten. Der Blick nach vorn zeigte einen Strom, dessen Wasser in der Abenddämmerung wie geschmolzenes Zinn wirkte.
„Das Tal hat uns wieder“, murmelte Hurdin.
Furka gähnte. „Und es hat Appetit.“
Althea lächelte still, während sie die letzten Schritte des Abstiegs tat. Der Wind hatte sich gelegt. Nur noch ein feuchter Hauch zog über das Land – der Hauch eines Winters, der in den Höhen lauerte, aber das Tal noch verschonte. Vor ihnen: Auplog, ein Grenzort zwischen Wildnis und Zivilisation, zwischen dem rauen Norden und der Verheißung der Städte, die jenseits des Winters liegen mochten.
Doch was jetzt zählte, war das Licht in den Fenstern. Der Geruch von Rauch. Die Aussicht auf ein Bett.
Und das Gefühl, dass jede Stunde, die sie sich tiefer ins Tal bewegten, sie näher zu dem Ort brachte, der – für eine Weile – *ihr Ort* sein würde.
Oberorken wartete. Bald. Bald.
Sie blieben Durchreisende, eine Abendmahlzeit, eine Nacht im Schlafsaal und schon ging es weiter, den Bodirsteg nach Norden, nach Vilnheim. Die Handelsstraße war selbst im Herbst gut begehbar, und eine Weile schritten sie neben einem Handelszug, der auf dem Weg nach Norden war. Irgendwann ließen sie die Ochsenkarren hinter sich, und trieben als eine von kleinen Reisegruppen Vilnheim entgegen, durch einen Herbst, der die Blätter über die Straße trieb, hinein in den Bodir, auf denen immer wieder Flöße zu sehen waren. Vilnheim, mit malerischem Ortskern zeigte den Beginn der letzten Bastion der Zivilisation - neben Oberorken - hier wo sich die Handelsstraße teilte, in das Orkland hinein, gen Phexcaer, und Richtung Oberorken mit dem dahinter liegenden Pass über die Hjaldorberge bei Felsteyn. Namen, die sie kannten, wie sie feststellten. Doch auch in Vilnheim waren sie Durchreisende, und fanden sich am nächsten Morgen auf der Handelsstraße entlang der Vrala, die bei Vilnheim in den Bodir mündete...