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Die Rache der Elfin
#4
Vierter Tagebucheintrag am Wassertag den 11. Travia

. . . Die kichernde Tischdame, die Rodiak Boromir zugewiesen hatte, ging Boromir gründlich auf die Nerven. Sie nieste unaufhörlich, ohne das Taschentuch zu benutzen, mit dem sie kokett herumwedelte. Ein säuerlicher Geruch strömte von ihr aus. Auch sie erwartete ein Kind von Rodiak. Man sah es noch nicht, aber sie hatte ihren Zustand Boromir anvertraut. Boromir ignorierte sie, wann immer es ihm möglich war. Sie wedelte mit ihrem Taschentuch und Boromir hielt den Atem an. Lady Gemma kam langsam die Treppe herunter und betrat den Saal. Ihre Schritte waren auffallend unsicher. Boromir ging Lady Gemma entgegen, um sie zum Tisch zu führen. Nur der leichte Druck ihrer Finger auf seinem Arm verriet die Dankbarkeit, die sie empfand. Sie war blaß und um ihren Mund hatten sich tiefe Linien eingegraben.
"Ich sehe, man hat versucht, den Saal einwenig aufzuräumen" sagte sie leichthin.
"Ein wenig" erwiderte Boromir trocken und warf einen Blick auf die Holzbalken, an denen die Spinnenweben klebten. Von Zeit zu Zeit ließen sich die Insassen der hauchdünnen Netze blitzschnell auf den Boden oder die Tischplatte fallen. Frische Binsenmatten bedeckten die fettverspritzten Steinplatten. Die Tische sahen aus, als seien sie eben erst gescheuert worden und das Glas der Wandleuchten war blankgerieben. In ihrem hellen Schein zeigte sich schonungslos der Schmutz des Saales. Fünf Mägde schwankten unter dem Gewicht des gebratenen Ochsen herein. Zwei von ihnen waren ekelerregend schmutzig. Boromir hoffte nur, dass sie mit der Zubereitung des Mahls nichts zu tun hatten. Es stank nach verbrannten Knochen und verkohltem Fleisch. Selbst der Humpen mit Zwergenbier, der herumgereicht wurde, roch irgendwie säuerlich. Der Wirt schliff das Tranchiermesser und tat, als sei alles in Ordnung. Lady Gemma hielt den Atem an. Ihre Hände krampften sich um die Stuhllehnen. Sie schluckte mühsam. Auch Boromir war der Appetit vergangen. Als nächstes trugen die Mägde auf Holztabletts das Brot herein. Man hatte versucht, die verbrannten Krusten abzuschaben oder ganz wegzuschneiden. Das Gemüse war zerkocht und Lady Gemma winkte angewidert ab, als ich ihr die Platte reichen wollte. Boromir warf mir einen scharfen Blick zu. Lady Gemma fühlte sich nicht wohl, das war deutlich zu sehen und ihre Übelkeit hatte nichts mit dem unappetitlichen Mahl zu tun. Lady Gemma wurde von den ersten Wehen gepeinigt. Boromir sah zu Rodiak hinüber. Der Verwalter beobachtete mit finster gerunzelter Stirn die Versuche des Wirtes, einpaar eßbare Portionen aus dem Braten zu schneiden. Boromir berührte ganz leicht Lady Gemma ´s Hand. Sie drehte den Kopf so, dass sie ihn aus dem Augenwinkel sehen konnte. Ein schwaches Lächeln lag auf ihren Lippen. Der Wirt bot Rodiak mit zitternden Händen ein paar Fleischstücke an. Der Verwalter schleuderte sie ihm mit einer wütenden Handbewegung mitten ins Gesicht. Unwillkürlich seufzten die beiden Elfen, denn es waren die einzigen eßbaren Teile überhaupt gewesen.
"Das nennst du Fleisch?" brüllte Rodiak.
Seine Stimme hallte von der gewölbten Decke wider, dass die Spinnennetze zerrissen und ihre Insassen auf den Tisch plumpsten. Boromir entfernte rasch die Spinnen von Laddy Gemma ´s Platz. Sie kämpfte gegen eine neue Wehe an.
"Mehr konnten wir in der kurzen Zeit nicht auftreiben" wimmerte der Wirt.
Bratflüssigkeit lief ihm über die Wangen. Rodiak warf das Weinglas nach ihm. Als nächstes kam die Platte mit dem heißen Gemüse.
"Offensichtlich ist Thorwal nicht in der Lage, seinen Herrn zu bewirten" hörte Haldir sich sagen.
"Sie werden wohl auf die Herrschaft verzichten müssen."
Mit einemmal herrschte Stille im Saal. Rodiak drehte sich langsam um und starrte den Firnelfen an. Während Haldir überlegte, wie er seinen Worten die Schärfe nehmen konnte, sah er, dass Legolas sich langsam erhob, die Hand an der Waffe.
"Ich habe wohl nicht recht verstanden?" Das Gesicht des Verwalters war ausdruckslos. Nur seine Augen brannten.
Haldir nahm eine lässige Haltung an. Der Firnelf nahm ruhig ein wenig Gemüse auf die Gabel und begann es zu kauen. Dabei fiel ihm auf, das Legolas alle Anwesenden durchdringend musterte. Abrupt erkannte Haldir, was geschehen war. Irgendwie wurde er manipuliert. Er, der Firnelf Haldir, sollte in eine Position gebracht werden, wo er dem Kampf gegen Rodiak nicht mehr ausweichen konnte. Weshalb? Was steckte dahinter? Krampfhaft bemühte sich Aragorn, die Ruhe zu bewahren. Wieder spürte er die fremde Macht in seiner Nähe. Er musste sich jetzt auf Rodiak konzentrieren und irgendwie verhindern, das der Verwalter Haldir zum Duell forderte. Ein lautes Stöhnen durchbrach das bedrohliche Schweigen. Mit geballten Fäusten wandte sich Rodiak Lady Gemma zu und einen Moment lang sah es so aus, als wollte er sie schlagen. Aber dann erkannte auch er, dass die Wehen sie ergriffen hatten. Rodiak warf den Kopf nach hinten, entblößte sein breites gelbes Gebiß und lachte schallend.
"Gut, ich verzichte. Ich verzichte zugunsten ihres Kindes, wenn es ein Sohn ist und am Leben bleibt." Sein Lachen klang brutal.
"Gehört und bezeugt." Aragorn war aufgesprungen und deutete auf seine Begleiter. Sie erhoben sich ebenfalls.
"Gehört und bezeugt" wiederholten sie, wie es Brauch war.
Damit hatte sich die Spannung gelöst. Rodiak stieß, immer noch lachend, seinen Stuhl um. Er stieg darüber hinweg und begann mit seinem Messer große Stücke aus dem gebratenen Ochsen zu säbeln, die er sich mit bloßen Fingern in den Mund stopfte. Als Boromir sich über Lady Gemma beugte, um ihr beim Aufstehen behilflich zu sein, umklammerte sie heftig seinen Arm. Einen Moment lang waren ihre Lippen dicht neben seinem Ohr.
"Er will Sie töten, Boromir" flüsterte Sie. "Er tötet gern."
"Krieger haben ein zähes Leben, Mylady. Aber ich danke Ihnen."
"Ich möchte nicht, dass er Sie tötet" sagte sie mit zusammengepreßten Lippen. "Wir haben so wenige Edelmänner."
Er befahl zwei Mägden, sie nach oben zu tragen. Boromir suchte nach einer weiteren Magd, entdeckte aber nur mich, wie ich den Boden säuberte. So rief er den Wirt zu sich und befahl ihm, die Hebamme zu holen. Der Wirt stieß mit dem Fuß nach mir.
"He, du. Lauf hinunter zu den Höfen und verständige die Hebamme. Du weißt sicher, wo sie wohnt."
Mit einer Geschicklichkeit, die nicht zu mir passen wollte, wich ich dem Tritt aus. Ich rannte aus der Taverne und ins Freie, um die Hebamme zu holen. In meinem Innern wühlte die Verzweiflung. So nahe! Und dann hatte ich doch versagt. Warum hatte Rodiak den Firnelfen nicht herausgefordert? Und dieser Haldir, warum hatte er versucht, Zeit zu gewinnen? Er war stark und jung und hatte die beherrschten Züge eines echten Kämpfers. Und warum mußte Lady Gemma diesen kostbaren Augenblick zerstören? Wenn ihr Stöhnen Rodiak nicht abgelenkt hätte, so wäre es zum Duell gekommen und nicht einmal Rodiak, der als heimtückischer Kämpfer bekannt und einer der Mörder meiner Familie war, hätte etwas gegen einen Firnelfen ausrichten können . . .


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Die Rache der Elfin - von Dragonweyr - 07.10.2009, 09:41
RE: Die Rache der Elfin - von Dragonweyr - 08.10.2009, 00:58
RE: Die Rache der Elfin - von Dragonweyr - 10.10.2009, 00:04
RE: Die Rache der Elfin - von Dragonweyr - 11.10.2009, 00:30
RE: Die Rache der Elfin - von Dragonweyr - 12.10.2009, 07:10
RE: Die Rache der Elfin - von Dragonweyr - 13.10.2009, 22:08



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