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Unterwegs mit Zwergen
#41
Unterwegs mit Zwergen #39
(Versatzstücke)

Der Hjaldorpass erstreckt sich zwischen den Orten Felsteyn, am Oberlauf der Vrala gelegen, und Orkanger, an den nördlichen Hängen der Hjaldorberge. Nur unweit des Zentralmassivs mit seinen immerweißen Gipfeln, hat eine Laune der Natur einen tiefen Einschnitt geschaffen, der, von Felsteyn kommend, in nordwestlicher Richtung die Berge quert, und gut Platz für einen Karrenpfad bietet. Der Hjaldorpass ist die Hauptroute für die Handelszüge, die vom Hjaldinggolf Richtung Oberorken und die Handelsstraße nach Thorwal erreichen wollen und ist von Frühling bis Herbst intensiv genutzt. Im Winter, wenn der Schnee die Sohle des Passes bedeckt sind die Berge selbst hier nicht querbar.

Von Felsteyn aus führt der Weg vom Tal der Vrala weg durch die Wälder gen Norden. Der Pfad steigt schnell an und führt zwischen bewaldeten Berghängen dahin. Die Wälder zurücklassend windet sich der Pfad tief unter den Berggipfeln dahin und steigt die nächsten zwei Tagesmärsche an, bis der Scheitel des Passes erreicht ist, und man gen Norden auf die immergrünen Wälder blickt, die sich zum Horizont erstrecken. Der Abstieg entlang der steilen Klippen der rauen Nordwände führt über einen schmalen Pfad, der sich über den Baumwipfeln entlangwindet, bevor er sich dann in die Wälder gen Orkanger senkt.

Ein guter Wanderer mag den Pfad in drei Tagen überschreiten, sofern ihm weder Goblin noch Räuber den Weg streitig macht.

Etwas, von dem wir gehört haben, in Felsteyn, selbst in Oberorken. Die letzten Handelszüge vor dem Winter, die nur unter schwerem Geleitschutz fahren können...

Der Winter nahte, aber noch war Herbst, die Nächte kühl, aber die Tage mild, so dass wir entschieden uns auf den Weg zu machen. Schließlich war dies unsere Gegend, Oberorken unsere neue Heimat, und so etwas konnten wir nicht zulassen.

Die ersten Goblins scheuchten wir auf dem Weg nach Felsteyn auf, und trieben sie zurück in die Wälder, die die Hügel des Tals der Vrala säumten. In Felsteyn ergänzten wir unsere Ausrüstung, bevor wir dem Pfad in die Wälder folgten, nach Norden, weg vom Oberlauf der Vrala. Der Weg führte durch die Wälder, weitete sich hier und da, bis er anfing deutlich anzusteigen und zwischen bewaldeten Steilhängen emporführte. Hier fanden wir erste Spuren von Gewalt, ausgebrannte Karren und die Überreste ungelücklicher Reisender. Eine Stunde weiter, als der Weg durch eine hohle Gasse emporführte, wurzeldurchzogener Fels links und rechts, wurden wir aufgehalten - Wegelagerer, die ihre Version von Geld oder Leben riefen. Aber nicht mit Althea! Die Magierin richtet sich zu voller Größe auf und schritt voran, den Stab erhoben, dann auf dem Boden stoßend, hallte ihre Stimme mächtig durch den Hohlweg. "Im Namen des Hetmanns, macht den Weg frei!". Eine Flamme schlug aus ihrem Stab, und die Räuber, erstarrt, flohen den Hang hinauf und in die Bäume. Einige Schwerter fielen klirrend den Hang hinunter...

Wir zogen weiterhin ungestört dem Pass hinauf, der sich tief unter den Berggifeln dahin wand. Als die Nacht hereinbrach, suchten wir eine geschützte Stelle. Keldi musterte die schneebedeckten Gipfel über uns. "Zwei Wochen noch, bevor der Schnee den Pass erreicht. Vier, und dieser Weg ist nicht passierbar..." Gegen Abend des zweiten Tages erreichten wir den Scheitelpunkt des Passen, und blickten auf beiden Seiten den Pfad hinunter. Auf die Hängen hinter uns und nach Norden, wo sich dichte Nadelwälder erstreckten soweit das Auge reichte. Hier entdeckten wir einem seitlichen Tal das Hauptlager der Räuber. Während Keldi ansetzte einen Hinterhalt vorzubereiten, war Althea bereits vorangeschritten. Geschützt durch die Macht ihrer Magie, warf sie sich mitten in das Getümmel. Der Ansturm der Räuber drückte die Zwerge zurück, die sich nur unter Einsatz all ihrer Kräfte freikämpfen konnten. Am Ende schafften wir es, die Räuber zu überwältigen.

Wir rasteten danach ein Stück den Pass hinunter. Am nächsten Morgen machten wir uns auf den Abstieg den gewundenen Pfad die Berghänge entlang, die Baumwipfel unter uns. Am frühen Vormittag kam uns ein Wagenzug entgegen. Händler aus Clanegh, wie wir erfuhren, weiter unten in den Hügeln vor dem Hjaldinggolf gelegen. Wir kamen mit einem der Händler, Treborn Kolberg aus Clanegh, ins Gespräch über unsere Queste, und dieser war nicht nur verwoben in die Geschichte, sondern verkaufte uns nach einiger Verhandlung sogar ein Stück der Karte, die er wohl an der Westküste erstanden hatte...

Nachdem wir wieder aufgebrochen waren, führte Tondars Instinkt uns zu einem verborgenen Höhleneingang in der Felswand, ein Stück ein Geröllfeld hinauf...

... ... ...

Orkanger ist ein Wehrdorf, befestigt mit einer Palisade aus Baumstämmen. In der Mitte des Dorfs thront ein Rondratempel mit immerwährenden Flammen links und rechts des Eingangs. Ein sicherer Hafen in dieser wilden Gegend, im Ort tummeln sich auffallend viele Waffenträger, wehrhafte Anwohner, und kleine Gruppen an Söldnern, die hier auf Handelszüge warten, die den Pass überqueren wollen. Am Ortseingang, im Durchlass zwischen den Palisaden, lehnen zwei wettergegerbte Kämpen, die die Gruppe kurz mustern, als sie den Ort betreten...

...und einer von beiden – ein bärtiger Hüne mit durchgescheuerter Schulterrüstung – nickt kaum merklich, als Althea an ihm vorbeigeht. Vielleicht Anerkennung, vielleicht nur ein Gruß an Gleichgesinnte.

Orkanger – das Bollwerk am Nordausgang des Hjaldorpasses.
Hier endet die Wildnis, zumindest für den Moment.
Hier beginnt der nächste Abschnitt.

Die Palisade knarzt leise im Wind, irgendwo hämmert ein Schmied, und der Rondratempel sendet sein warmes Licht in die dunkler werdende Herbstluft. Ein Ort, der wachsam ist, aber nicht feindselig. Nicht gegen jene, die den Weg gekommen sind.

Die Gruppe kehrt in die Herberge ein, die direkt am westlichen Durchlass liegt. Nachdem sie ihr Gepäck verstaut und ein gutes Essen genommen haben, streben Sie gemeinsam dem Rondra-Tempel zu, ein Ort, der angemessen erscheint, nachdem, was hinter ihnen liegt. Die Flammen lodern in der Abendämmerung und erhellen den zentralen Dorfplatz, nicht wärmend und einladend, sondern warnend und grell. Sie verharren in stiller Andacht nach einer kleinen Spende, wie wohl so viele, die den Pass bezwungen haben.

Die Schritte hallen leise auf dem festgetretenen Boden des Platzes, während sich der Himmel über Orkanger in ein tiefes Violett färbt. Die Gruppe steht still – müde, aber aufrecht – vor dem Tempel der Löwin, dessen Flammen in der Dämmerung aufflackern wie die Augen einer Wachtgöttin.

Die Zwerge treten einen Schritt zurück, ihre Mienen ernst, respektvoll. Althea, das Haar vom Wind zerzaust, blickt lange in die Feuer zu beiden Seiten des Eingangs. Sie zieht ein kleines Silberstück aus dem Umhang, wirft es schweigend in den Spendentrog – ein schlichtes Zeichen von Dank und Demut, aber auch Stolz. Stolz, den Pass bezwungen, Räuber bezwungen, sich selbst behauptet zu haben.

Für einen Moment liegt nichts zwischen ihnen und den Erinnerungen an das, was sie hinter sich gelassen haben. Die Kälte des Passes. Der steinige Pfad. Die Gewalt, der sie begegnet sind, und der Mut, mit dem sie ihr begegnet sind.

Dann, leise und ohne Zeremonie, wenden sie sich ab.
Es gibt keine Segnung. Keine Stimme aus dem Licht.
Aber sie wissen: Rondra hat sie gesehen.

Als sie über den Platz hinüber zur Taverne gehen, entladen sich die dunklen Wolken, die sich seit Nachmittag über den enflosen Wäldern gesammelt haben. Es ist ein harter kalter Regen um diese Jahreszeit, und sie schaffen es nur knapp nicht total durchnässt in den Schankraum.

Die Schänke Orkentod ist brechend voll, nachdem auch die Letzten Zuflucht vor dem Regen gesucht haben. Das Publikum besteht mehrheitlich aus Söldnern, am ein oder anderen Tisch sieht man einen Händler im Gespräch, um Geleitschutz anzuheuern. Furka verschwindet schnell in den Tiefen des Schankraums und ist den Rest des abends in ein Boltanspiel vertieft. Die anderen ergattern Plätze an der Theke und lassen sich das Bier schmecken. Althea schafft es den Wirt und einige Umstehende ins Gespräch zu verwickeln. Es geht um den Pass, um Clanegh, zu dem Orkanger ein Vorposten ist, aber auch viel um Oberorken, auf der anderen Seite der Berge - der Pass _ist_ eine Lebensader der Region. Gen Mitternacht machen sich die Anstrengungen der letzten Tage bemerkbar, Althea fischt Furka aus der Menge und sie gehen über die vom Regen schlammige Straße zur Herberge zurück.

Sie bleiben zwei Nächte, ein Tag mit Regenschauern in Orkanger. Archon sieht nach den Wunden, Keldi runzelt die Stirn, als er die Bolzenvorräte begutachtet. Nichtsdestotrotz, sie müssen sichergehen, sind sich Alteha und Keldi einig. Und so ziehen sie am folgenden Morgen wieder aus, zurück zum Pass...

... ... ...
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#42
Unterwegs mit Zwergen #40
(Versatzstücke)

Winter in Oberorken

Woche 1

Als sie am Travia Tempel vorbeikommen, tritt Althea, einem Impuls folgend, ein...

Furka ist nahezu jeden Abend in einer anderen Taverne zu sehen, sei es das prominente "Ingerimms Feuer", das gediegenere "Eiserne Oxhoft" der Minenbesitzer und Händler, oder die rauere "Eisenfaust" in der Südvorstadt. Nur aus    "Am Bodir" hat Althea ihn und seine Spielkarten herausgebeten...

Hurdin wandert durch die einfacheren Gassen der Südvorstadt. Er hilft Anwohnern bei spalten und bevorraten von Feuerholz für den bevorstehenden Winter...

Woche 3

Furka verbringt, wenn er nicht in irgendeiner Taverne zu finden ist, Zeit in Rodars Schmiede, wo er seine Kenntnisse auffrischt und im Gegenzug seine Kenntnisse in Feinmechanik zeigt...

Archon tut sich im gediegenen Nordstadtviertel um. Man sieht ihn bald beim dortigen Heiler ein und ausgehen...

An einem Abend findet sich die Gruppe in der Herberge Schwarzes Gold ein, die die beste Küche Oberorkens bietet...

Woche 6

Althea verbringt mehr Zeit im gegenüberliegenden "Am Bodir", wo sie sich mit den Älteren der menschlichen Bevölkerung Oberorkens unterhält. Sie beginnt Notizen zur Stadtgeschichte zusammenzutragen, zur Geschichte des unteren und Geschichten über das obere Tal der Vrala. Keldi trägt dasselbe bei den Zwergenältesten des Ortes zusammen und so sitzen sie manchmal von Pergament umgeben bis tief in die Nacht im Gemeinschaftszimmer ...

Eines späten Nachmittags trägt Althea im "Am Bodir" ihre fertige Interpretation einer langen Geschichte aus dem Land der ersten Sonne auf nordischer Harfe vor...

Woche 10

Niemand wagt sich im tiefsten Winter aus dem Ort - außer Tondar, der aufmerkam den Ort umrundet, sorgsam und besorgt Spuren registriert...

Und Furka, den man im Schnee am Hang der Hügel sehen kann, wo er mit den Zwergenkindern des Orts Schneezwerge baut...

Die anderen statten lieber dem am nördlichen Ortsrand gelegenen Schrein der Ifirn einen Besuch ab, als die Nächte am längsten sind...

Woche 13

Althea nimmt Furka unter Protest den alten Goblinhelm mit der Talismansammlung weg...

Keldi und Hurdin haben mit den Zwergenältesten des Ortes besprochen, sich eines Problems anzunehmen - eine der Minen nahe des Ortes ist von einer Gruppe Zwerge besetzt worden, die nicht mit sich reden lassen... Der Ältestenrat stattet die Gruppe mit Ausrüstung aus, und übergibt Keldi, der sein Kettenhemd, den silbernen Flügelhelm, und den Kraftgürtel angelegt hat, ein Paar Kriegsbeile aus dem Tempelschatz des Ingerimm...


Oberorken, 4 Phex, tiefster Winter. Wir stehen am Eingang der Mine, deren Besetzer wir wieder vom Guten überzeugen sollen. Keldi steht hoch aufgerichtet da, sein Kettenhemd, der breite bronzene Gürtel und der in Silber getriebene Flügelhelm glänzen im Licht Altheas Stabs. Furka ist einen Schritt zur Seite getreten, die anderen warten weiter hinten...

Lange, gewundene, aus Fels gehauene Gänge...
Ein Aufeinandertreffen mit Wachen der Besatzer...
Weitere Gänge, roh behauene Stollen... Althea rutscht, ab verschwindet in der Tiefe... Dumpfe Rufe...
Furka entzündet eine Fackel, während Hurdin anfängt ein Seil abzulassen, aber der Schacht ist zu zerklüftet... "Nicht bewegen, wir kommen dich holen!"...
Die Zwerge wechseln Blicke... Furka deutet zurück, den Gang entlang... In Eile...

"Nicht bewegen, wir kommen dich holen!“ hallt es dumpf in die Tiefe, aber Althea hört nur Bruchstücke. Ihre Finger tasten nach Halt zwischen nassem, kaltem Gestein, während unter ihr nichts als Schatten gähnt…

"Da war eine Tür, und der Gang führte abwärts!"... Furka stürmte voran, Keldi dicht hinter ihm...
Gänge, eine Raum, ein Krachen... Furka rannte in eine Bolzenfalle... Er emrkte es kaum...
"Links, eine Tür!"... Zur Rechten lagen nur Stollen... Eine Treppe!
Und das Trampeln zehner Zwergenbeine...
"Dort, die Tür!"... Furka und Keldi gaben sich schon nicht mehr mkit den Schlössern ab... Aber wo Türen sind, ist auch ein Ziel...
Eine große Halle, und auf der anderen Seite... Furka sah den Weg quasi vor sich...
Mit einem Donnerhall schlug die Tür hinter ihnen zu...
Ein Rauschen, Wasser begann in den Raum zu fließen...
Die gegenüberliegende Tür! - Unbeweglich.
Keldi packte Furkas Schulter... "Stopp. Nutzt eure Augen!"...
Das Wasser beginnt zu steigen...

Keldi kniete sich nieder, während hinter ihnen das Wasser bereits knöchelhoch stieg.
Furka atmete schwer, sein Blick wanderte zwischen der geschlossenen Tür und dem sich füllenden Raum.

> „Atmet. Seht. Jetzt nicht wie Stierköpfe handeln…“
Keldi fuhr mit den Fingern an den Fugen der Tür entlang. Keine Mechanik von außen... kein Schloss...

Archon warf sich an die Wand, tastete nach Druckplatten.
Tondar fluchte leise – das Wasser erreichte den Oberschenkel.
Hurdin stemmte sich gegen das Portal. Nichts.
Gar nichts.

Althea war allein. Sie hatte sich aus dem Felsturz in eine Kammer herabgelassen. Doch die Wände waren seltsam. Ein Gang verlor sich in der Dunkelheit, doch wenn sie sich vorantastete, war da plötzlich nur Fels. Nervös verharrte sie, und besann sich auf die letzten Worte Furkas "Nicht bewegen"...

Die Zwerge stäuben in alle Richtungen auseinander und untersuchen die Türen und Wände - doch umsonst... das Wasser steigt weiter... Tondar entdeckt ein Loch in der Wand und greift hinein - doch umsonst...  das Wasser steigt weiter... Plötzlich entdeckt Furka eine Stelle, an der die Wand nach Mauerwerk aussieht... Einige Schläge mit dem Hammer und ein stemmen gegen die berstende Wand und das Wasser schießt mit einem Schwall hinaus...

Das Wasser fließt ab...

Fünf nasse Zwerge sammeln sich, Hudrin schlägt Furka lobend auf die Schulter...

Dann wenden sie sich der gegenüberliegenden Tür zu, die sich jetzt, ohne den Wasserdruck, einfach öffnen lässt... Dahinter liegt ein Kreuzgang, und dort, ein schwache Glimmen von Licht... Die Zwerge ziehen Althea aus dem Gangende, sie haben sich wieder...

Und hinter der zerschlagenen Wand geht es weiter... In roh gehauenen Stollen...

Verwundene Gänge und Fallen, dann wieder Türen und Räume, hier scheinen die inneren Kammern zu liegen...

Tatsächlich... Und vier zornige Zwerge mit schwerer Ausrüstung...

Vier Zwerge, breit gebaut, schwer gerüstet – und mit einem Blick, der keine Fragen stellt.
Sie stehen nicht da wie Wachen – sie stehen da wie Männer, die überzeugt sind, im Recht zu sein.
Und nun: Eindringlinge.

Der eine trägt eine Streitaxt, deren Klinge von Ruß geschwärzt ist.
Ein anderer hält einen Schild mit einem eingekerbten Emblem – fremd, aber zwergisch.
Ihre Rüstungen wirken gebraucht, nicht zerbeult – als hätten sie seit Wochen gekämpft, aber nicht verloren.

Keldi tritt vor. Aufrecht. Ruhig. Die Flügel seines Helms glänzen matt im Fackelschein.
Dies ist kein Moment für Hast. Dies ist ein Moment für Autorität. Für Herkunft. Für Haltung.

Alles in Veign...

Nachdem der letzte Zwerg in die Enge getrieben und überwältigt wurde, sinkt Keldi schwer atmend auf ein Knie wieder, eine Axt auf den Boden, eine Axt auf die Schulter gestützt...

...seine Stirn glänzt vom Schweiß, doch seine Augen ruhen klar auf dem geschlagenen Gegner. Kein Triumph, kein Groll – nur diese tiefe, erschöpfte Entschlossenheit, die Kriegern bleibt, die nicht kämpfen, um zu siegen, sondern weil sie es müssen.

Hinter ihm hallt das Echo des letzten Hiebes noch von den Wänden wider. Die anderen Zwerge treten näher, langsam, vorsichtig. Tondar zieht das letzte Bolzenmagazin ein, Hurdin hebt wortlos seinen Schild vom Boden auf. Furka bleibt einen Moment stehen, die Fackel in der einen, den Blick auf Keldi gerichtet.

Althea tritt durch den Bogen der Tür, ihr Stab nur noch schwach glimmend. Sie sieht ihn dort knien, allein, inmitten der Stille nach dem Sturm. Und obwohl sie nichts sagt, weiß sie:
Jetzt, in diesem Moment, ist Keldi der Anführer.
Nicht wegen der Waffen. Nicht wegen der Rüstung.
Wegen dem, was er trägt, das man nicht sieht.

Er hebt langsam den Blick – und dann nickt er.
Nicht als Zeichen des Sieges.
Sondern des Übergangs.

Sie machen sich auf den Weg zurück an die Oberfläche und stöbern dabei durch jeden Stollen. Sie treffen noch auf eine Handvoll Zwerge, die alle das Weite suchen, nachdem sie Bekanntschaft mit Keldis Äxten machen und denen auf ihrer Flucht die Bolzen um die Ohren zischen...


Woche 15

Firun hat die Welt immer noch in eisigem Griff. Die wenigen Reisenden berichten von endlosen Schneeflächen und hungrigen Wölfen, aber auch Orks sollen im mittleren Bodirtal gesichtet worden sein... Keldi und Althea beratschlagen sich mit dem
Ältestenrat und beschließen, die Straßen nach Oberorken zu patroullieren, nach Vilnheim und auch ein Stück Richtung Felsteyn...

Die winterlichen Patrouillen verliefen erfolgreich – und nicht ohne Zeichen aus dem Norden.

Zunächst zog die Gruppe auf der verschneiten Handelsstraße nach Vilnheim. Der Weg war hart, aber gangbar. Unterwegs stießen sie auf eine marodierende Orkgruppe. Ein kurzer, entschlossener Zusammenstoß genügte, um sie auseinanderzutreiben. Die Straße war vorerst gesichert. Die Gruppe setzte ihren Weg fort, erreichte Vilnheim und kehrte noch am selben Tag nach Oberorken zurück.

Am nächsten Morgen machten sie sich an die deutlich beschwerlichere Strecke in Richtung Felsteyn. Der Schnee lag tief, der Pfad war kaum mehr als eine Ahnung. Doch erneut begegneten sie Orks. Nach einem harten Gefecht verfolgten sie die versprengten Kämpfer noch eine Weile, entschieden dann jedoch: Der Winter war kein Gefährte für ein endloses Nachsetzen. Sie kehrten um und erreichten Oberorken mit Einbruch der Dunkelheit.

Zwei Tage, zwei Kämpfe, zwei Richtungen – und die Straßen waren wieder ein Stück sicherer.


Woche 16

Die Vrala ist noch von Eis bedeckt, allerdings hallen die Tage bereits wieder vom knarzen und krachen, das das Ende des Winters ankündigt...

Der 1 Peraine, der Schnee ist längst durch Schlamm abgelöst worden, als die Göttin die ersten grünen Sprossen am Ufer der Vrala sprießen lässt...

Althea und Keldi haben in langen Nächten über die nächsten Reisezieln gebrütet, mit den anderen Zwergen diskutiert. Ihre Informationen könnten sie nach Norden führen, an den Hjaldinggolf und zur vorgelagerten Insel Manrek. Oder den Bodir hinunter Richtung Thorwal, dann in die fruchtbaren Gegenden des Südostens. Oder an die abgelegene Westküste... Oder aber, die Gespräche kommen immer wieder darauf, nach Phexcaer, fern im Orkland. "Eigentlich ist es an Zeit diese Orks genauer in Augenschein zu nehmen" - die Entscheidung ist gefallen... Die Gruppe geht die Ausrüstung durch, holt auch die weniger genutzten Gegenstände aus der Kammer und macht eine Einkaufsliste...
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#43
Unterwegs mit Zwergen #41
(Versatzstücke)

Es scheint sehr lange her zu sein, dass sie Thorwal zu Fuß verlassen hatten, den Bodir hinauf. Der Rucksack ist schwerer geworden, aber er drückt nicht mehr so sehr, denkt Althea... Und jetzt sind sie hier, der Bodirstieg ist sicher nicht die Handelsstraße, aber der Weg nach Phexcaer soll sich lohnen. Nicht, dass außer Ihnen noch jemand anderes unterwegs wäre, so früh nach dem Winter...

Tondar und Keldi stapfen wie immer voran. Das Klirren des Kettenhemdes ist kaum hörbar unter Keldis Umhang. Furka neben ihr scheint begeistert zu sein, nach so langer Zeit wieder einmal auszuschreiten, wenn man denn mit Zwergenbeinen ausschreiten kann. Und hinter ihnen Hurdin, das Gepäck hoch aufgetürmt, langsam aber stetig. Und Archon, der sich wie immer am Rand hielt, sie Ich bin immer noch nicht sicher, warum er mit ihnen unterwegs war.

Aber nun, zu rechten der breite Strom des Bodiers, so mächtig, dass kein Eis den Fluss hinuntertreibt. Hinter Ihnen zur linken verschwindet die Flutebene der Vrala, und das Land geht in bewaldete Hügel über. Und der Blick nach vorn, wo das Land beginnt sich zu öffnen in eine Weite, eine endlose Weite...

Aus großer Höhe – vielleicht von den Schwingen eines Greifen, vielleicht aus dem träumenden Blick eines Gottes – öffnet sich das Land wie eine atmende Karte.

Im Vordergrund, aus schrägem Winkel gesehen:
Das breite, ruhig fließende Band des Bodir, metallisch glänzend im ersten Licht des Frühlings, windet sich durch die hügelige Landschaft, wie ein uralter Gedanke, der sich nie ganz fassen lässt.

Sein Lauf zieht schräg nach Ost-Nordost, manchmal zögerlich, dann wieder mit träge gewordener Zielstrebigkeit.
Zur Rechten begleiten ihn die Hügel von Bodirsteg, waldige Rücken, braungrün gefleckt, hier und da noch mit Firuns letzter Spur überzogen – Flecken von Eis im Schatten der Baumgruppen.
Einzelne Rauchfahnen zeigen: Auch hier beginnt das Leben zurückzukehren.

Zwischen diesen Hügeln und dem Strom:
Der Bodirstieg, mal sichtbar als schmaler, dunkler Faden, mal gänzlich verschwunden unter Hecken, Bäumen oder Schnee.
An manchen Stellen hell aufgeblendet – da, wo Holzbohlen oder Steine ihn befestigen, damit er dem morastigen Grund trotzen kann.
Ein winziger Tross von Punkten bewegt sich auf diesem Pfad – kaum zu erkennen.
Aber sie sind da.

Zur Linken jedoch –
jenseits des Flusses, jenseits der bewaldeten Ausläufer –
öffnet sich das Land.

Und es ist nicht einfach „Land“, es ist Steppe.
Ein endloses, sanft wogendes, grün werdendes Versprechen – oder eine Warnung.
Keine Häuser, keine Straßen.
Nur das große Nichts, in dem sich Schatten bewegen, zu weit entfernt, um Form zu erkennen.

Man ahnt Lagerfeuer, Reiterzüge, Raubtiere.
Vielleicht auch nichts davon. Vielleicht ist das Schlimmste, dass es einfach leer ist.

Und irgendwo ganz weit hinten, dort wo Horizont und Himmel verschmelzen,
ein dunkler Zug am Rand der Welt:
Gebirge, das Trollzackenmassiv.
Schwarzblau im Gegenlicht.
Uralte Zähne in einem Land, das vergessen wurde.

Und aus dieser Höhe –
die Gewissheit:
Die, die dort unten ziehen, werden weiterziehen.
Und sie werden tiefer in dieses Land eindringen,
als irgendeine Karte je gezeichnet hat.


3 Peraine, früher Morgen. Die Gruppe steht an der Mündung der Vrala in den Bodir. Der Wasserstand ist noch niedrig, da auf dem Oberlauf der Vrala noch Eis treiben dürfte und die Schneeschmelze in der Hjaldorbergen noch nicht im Gange ist. Der Wind weht Frische über die Flutebene der Vrala zur Linken, auf der überall zartes Grün zu sprießen beginnt.

Die Gruppe setzt über die Vrala, die bei diesem niedrige Wasserstand gleich einer Furt querbar ist. Auf der anderen Seite setzt sich der Bodirstieg fort, am Nordufer des Bodir, nach Phexcaer. Es ist nicht die Handelsstraße, sondern ein Karrenpfad, der sich nah am Ufer dahinwindet, nach Nordosten. Ins Orkland...

Am Übergang der Vrala

Ein kalter Wind treibt vom Osten her über die Flutebene. Er trägt den Geruch von Schmelzwasser, altem Laub und einem Hauch von Neuanfang. Die Sonne steht noch tief, doch ihr Licht glitzert in silbrigen Streifen auf der ruhigen Fläche der Vrala. Es ist kein Ort des Umbruchs – es ist ein Ort des Dazwischen.

Keldi prüft den Flusslauf mit einem prüfenden Blick. „Hier geht’s. Noch ein paar Tage, und der ganze Kram da oben kommt runter. Dann ist hier Schluss mit Übersetzen.“

Die Gruppe durchquert die Furt – Schritt für Schritt, das Wasser kaum bis zu den Knien, aber eisig. Furka knurrt leise, Tondar lächelt nur. Althea zieht den Umhang enger. Archon sagt nichts.

Am anderen Ufer:
Der Bodirstieg. Kein befestigter Weg – nur ein Streifen festen Grunds zwischen Uferhang und Wald. Eine alte Wagenroute vielleicht, von niemandem gepflegt und von kaum jemandem begangen.

Er zieht sich nordostwärts, dem Bodir folgend – der Fluss links, der Wald rechts.

Und irgendwo da draußen liegt Phexcaer.
Nicht mehr die Welt der Thorwaler. Nicht mehr die vertrauten Dörfer.
Jetzt beginnt das dünne Land.

Die Querung der Vrala nahm einiges an Zeit in Anspruch, gelang aber mit Hilfe einiger Vilnheimer Flößer ohne weitere Zwischenfälle. Entlang des Bodir schritt die Gruppe ordentlich aus, um den ihnen genannten Rastplatz zu erreichen. Es war die erste Nacht unter freiem Himmel seit Monaten, und "Es war höchste Zeit", wie Keldi brummelte, auch wenn Althea nichts dagehen gehabt hätte, weiter zu verweichlichen...

Am nächsten Morgen ging es weiter, den Bodir hinauf...

...bis zu der Stelle an der, wohl durch die Orks, ein Grenzpfahl gesetzt wurde. Der Weg auf orkschen Territorium verschwindet denn auch gleich im sumpfigen Gebiet des Bodirufers. Die Gruppe umgeht den Sumpf weiter landeinwärts,
bis sie wieder auf so etwas die Spuren des Karrenpfads trifft. "Überlandhandel dürfte hier schwierig sein" sinniert Althea. Vielleicht sollten sie Kolberg danach fragen, wenn sie einmal durch Clanegh kommen...

Die zweite Nacht. Und am nächsten Morgen ging es weiter, den Bodir hinauf...

Ein dritter Tag, eine dritte Nacht. Und ein nächtlicher Überfall durch Orks, der verträumte Teil der Reise scheint hinter ihnen zu liegen. Aber es geht weiter, den Bodir hinauf...

Den Bodir zur Rechten, die Steppe zur Linken, bis sie ein paar selbst ernannte Grenzwächter der Orks aufhalten wollen - aber Althea verhandelt nicht mit Orks...

Nach einer vierten Nacht geht es weiter, den Bodir hinauf...

Sie begegnen einem anderen frühen Reisenden, der gerade aus Phexcaer kommt, und sie vor der verdorbenen Natur der Stadt warnt...

Als sich der Abend des fünften Tages neigt, erreichen sie Phexcaer...

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Die Tage am Bodir
3. bis 8. Peraine, 15 Hal

Die Querung der Vrala nahm einiges an Zeit in Anspruch, gelang aber mit Hilfe einiger Vilnheimer Flößer ohne weitere Zwischenfälle. Entlang des Bodir schritt die Gruppe ordentlich aus, um den ihnen empfohlenen Rastplatz vor Einbruch der Dunkelheit zu erreichen.
Es war die erste Nacht unter freiem Himmel seit Monaten.
„Es war höchste Zeit“, brummelte Keldi, auch wenn Althea nichts dagegen gehabt hätte, noch ein wenig weiter zu verweichlichen.

Am nächsten Morgen ging es weiter, den Bodir hinauf...

Am zweiten Tag stießen sie auf einen Grenzpfahl mit einem aufgespießten Schädel – offenbar das Werk der Orks. Der Weg verlor sich bald in sumpfigem Boden, sodass sie landeinwärts auswichen. Erst nach Stunden fanden sie die Spur eines Karrenpfades wieder.
„Überlandhandel dürfte hier schwierig sein“, bemerkte Althea trocken.
Vielleicht wäre das eine Frage für Kolberg, sollte man je durch Clanegh kommen.

Eine zweite Nacht verging. Und am nächsten Morgen ging es weiter, den Bodir hinauf...

Der dritte Tag brachte weniger Aussicht, aber mehr Düsternis. Und als die Nacht hereinbrach, kam es zum ersten Überfall durch Orks. Der verträumte Teil der Reise war vorbei.
Doch auch das brachte sie nicht vom Weg ab.

Den Bodir zur Rechten, die Steppe zur Linken, zogen sie weiter – bis ihnen einige selbsternannte orkische Grenzwächter den Weg versperrten.
Doch Althea verhandelte nicht mit Orks.

Nach der vierten Nacht ging es weiter.
Der Fluss begann zu flackern im Licht des Frühlings, die Steppe wirkte ferner, aber nicht freundlicher.

Am fünften Tag trafen sie einen anderen Reisenden, der gerade aus Phexcaer kam.
Er warnte sie vor der Stadt: ihrer Zersplitterung, ihrer Gier, ihren Masken.
„Was immer ihr sucht – ihr werdet es dort nicht finden“, sagte er, bevor er weiterzog.

Und als sich der Abend des fünften Tages neigte, erreichten sie Phexcaer.
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#44
Unterwegs mit Zwergen #42
(Versatzstücke)

Phexcaer, die güldene, grauer Stein mit goldenen Kuppeln... Doch das war einmal... Was sich da aus dem Dunkel der Nacht schält, sind graue Gebäude aus Stein, vielleicht Granit, vielleicht sogar Marmor, doch die goldenen Kuppeln sind schon lange verschwunden...

Einst der nördlichste Flusshafen am Bodir, stehen morsche Ladekräne im abendlichen Dunst, ein leises Quietschen und leichte Bewegung der Taue im Wind...

Einst Zentrum des Königreich Bodiron, ist heute nichts mehr von der damaligen Stadt Myrburg übrig. Was geblieben ist, sind die Häuser aus Stein. Hohe Häuser. Häuser mit Erkern und Türmchen. Enge Gassen. Torbögen und versteckte Durchgänge. Mit einer weiteren Gasse, einem weiteren Gang, wenn man schon denkt, dass um die nächste Ecke wieder eine Straße oder ein Platz erreicht sein müsste...

Dieser Ort am Ende der Welt, ein Ort der jene anzieht, die aus den südlichen Ländern verschwinden wollen. Ein Ort für jene, die dort nicht passen...

Ein Ort der Geheimnisse. Vielleicht ein Ort mit versteckten Reichtümern. Ein Ort mit mysteriösem, vielleicht verbotenem Wissen...


Der Weg in die Stadt – Der Tanz der Schatten

Nachdem sie das Stadttor passiert und den ersten Platz überquert hatten, folgten sie einer schmalen Gasse, die sich zwischen zwei steinernen Gebäuden hindurchwand. Keine zehn Schritt breit, doch mit einer überraschenden Tiefe nach hinten – wie der Rachen eines uralten Tieres. Althea war als Erste hineingetreten. Die Geräusche des Flusses, des Platzes, selbst die nächtlichen Schreie der Möwen – sie blieben zurück, als hätte jemand einen Schleier über die Welt gelegt.

Die Gasse stieg leicht an, wurde schmaler, dann plötzlich wieder breiter, als sich ein niedriger Torbogen über sie senkte. Darüber ein alter Balkon mit Eisengeländer, und hinter dem nächsten Knick öffnete sich die Stadt wie ein Labyrinth aus Ebenen:

Treppen, die nach unten führen, zu Läden und Kellern.

Brücken zwischen Dächern.

Obergeschosse, die sich gegenseitig berühren – wie um sich Geschichten zuzuflüstern.

Türen ohne Straßen davor. Fenster, die ins Nichts schauen.


Hinter dem dritten Durchgang öffnete sich ein kleiner Platz – quadratisch, fast gepflegt, mit einem trockenen Brunnen in der Mitte. Und auf der gegenüberliegenden Seite:
Ein Gebäude wie aus einer vergessenen Zeit.

Der Tempelbau war hoch, seine Front aus grauem Stein, in dem sich noch Spuren vergoldeter Ornamente fanden – verwittert, abgekratzt, übermalt.
Die Tür halb offen. Keine Lichter. Kein Priester.

Über dem Eingang prangte einst das Symbol Phex' – ein Fuchs im Kreis – nun kaum mehr als ein Schattenriss auf dem Stein.

> "Früher muss das hier das Herz gewesen sein", murmelte Archon.
"Jetzt schlägt es leise", antwortete Althea. Und sie trat näher.


> Die Nacht war über Phexcaer gefallen, als sie aus dem verfallenen Tempel traten. Noch immer hallte das Echo der leisen Schritte, der flüchtigen Geräusche aus den dunklen Seitengängen in ihren Köpfen nach. Der Tempel war leer gewesen, aber nicht tot.

Auf dem Weg zurück zur Herberge, quer durch das nächtliche Gassengewirr, stieß Hurdin plötzlich mit einem Jungen zusammen – kaum mehr als ein Schatten mit einem Umhang. Ein kurzer Wortwechsel, ein genervter Blick von Keldi, dann war die Gestalt verschwunden.

Erst in der Herberge, beim Versuch, einen Krug Bier zu zahlen, wurde es klar: Hurdin ganzer Geldbeutel war fort. Fast zweihundert Dukaten.

Niemand hatte etwas bemerkt. Niemand hatte etwas gesehen.

Keldi fluchte, Tondar wirkte blass. Althea stand einen Moment lang still, die Lider halb geschlossen, als müsse sie die Stadt durch eine andere Linse betrachten.

„Wir sind nicht mehr in Oberorken“, sagte sie leise.

Und keiner widersprach.

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Phexcaer, der Abend des 8. Peraine, nach Einbruch der Dunkelheit. Die Gruppe begibt sich durch dunstige Dunkelheit in die Stadt, geradeaus zum ehemaligen Bodirhafen. Dort öffnet sich en Platz, an dessen anderem Ende ein Tempelgebäude zu sehen ist...


Phexcaer, 8. Peraine, kurz nach Einbruch der Dunkelheit.
Feuchte Kälte hängt in den Gassen. Der Dunst, der vom Bodir her aufsteigt, franst in den engen Durchgängen zu schwankenden Schleiern aus. Der Boden glänzt vom alten Regen, das Pflaster uneben und mit Moos durchzogen.

Die Gruppe durchschreitet das alte Stadttor, dahinter ein kurzer Platz, von dem mehrere Gassen abgehen – doch sie folgen dem Weg geradeaus, tiefer hinein in das dämmrige Herz Phexcaers. Der Fluss liegt zur Rechten, unsichtbar hinter den düsteren Häusern, doch man hört die Taue knarzen und irgendwo schlägt Metall auf Holz – ein alter Ladekran, der langsam im Wind pendelt.

Dann öffnet sich der Platz.

Ein stiller, leerer Raum inmitten der Stadt.
An seinem anderen Ende: der Schatten eines Tempels.
Groß. Schwer. Erhaben.
Sein Dach einstmals wohl vergoldet, doch jetzt nur dunkle Umrisse gegen den nächtlichen Himmel.

Die Fenster sind schwarz.
Die Tür ist geschlossen.
Und doch wirkt er wach.

Der Tempel des Güldenen.
Ein Ort, der einst Ordnung, List und Wohlstand versprach –
jetzt wirkt er wie ein Mahnmal.
Oder wie ein Spielbrett, auf dem schon längst andere Figuren ihre Schritte gesetzt haben.

Niemand spricht.
Selbst Hurdin wirkt nachdenklich.
Und Althea – ihr Blick bleibt an den alten Mauern hängen.
Irgendwo ganz tief drinnen regt sich etwas.
Nicht Furcht.
Nicht Hoffnung.
Etwas Drittes.

Der Abend hat begonnen.
Und Phexcaer zeigt sein erstes Gesicht.


Im Inneren der großen Tempelhalle, die sicher nicht einem der Zwölfgötter gehuldigt ist, treffen Sie auf einen seltsamen und etwas schmierig wirkenden Mann, der Ihnen immer wieder eine Götterspeise anbietet. Nach instinktiver Abwehr und etwas Gespräch lädt er sie zur Klärung in seine Villa am Nordrand der Stadt ein. Doch die Gruppe begibt sich erst einmal wieder hinaus in das nächtliche Phexcaer...

Als sie den Tempel verlassen, stoßen sie mit zwei Passanten zusammen, die ebenfalls auf dem dunklen Platz unterwegs sind. Als diese schnell um die Ecke verschwinden, kann Keldi gerade noch seinen Geldbeutel festhalten...

Der Weg führt sich weiter durch Gassen, kleine Plätze und Durchgänge tiefer in die Stadt. Auch die anderen haben immer wieder die Hand auf ihrem Geldbeutel, wenn irgendein anscheinend Betrunkener ihnen entgegentorkelt oder aber sie sich durch kleine Gruppen hindurchbewegen müssen. Sie erreichen schließlich einen großen Platz in der Mitte des Ortes...


…einen Platz, der einst prachtvoll gewesen sein muss.

Vom dunklen Himmel sickert fahles Licht auf das alte Pflaster, das in unregelmäßigen Rauten verlegt ist – teils lose, teils zerbrochen. Rund um den Platz stehen Häuser mit Türmchen, Erkern, Fassaden aus grün angelaufenem Kupfer, Stuck, vergilbtem Stein – jedes ein Kunstwerk aus einer anderen Zeit, heute in Schweigen gefallen.

In der Mitte ein trockener Brunnen.
Ein steinerner Greif windet sich um eine Säule, aus deren Rachen früher einmal Wasser floss. Jetzt tropft nur der Nebel daran hinab.

Die Gruppe bleibt kurz stehen.
Althea schaut sich um.
Phexcaer fühlt sich nicht an wie eine Stadt – eher wie ein Labyrinth.

Furka murmelt etwas über „zu viele Fenster, die niemand braucht“.
Archon tritt näher an eine der Hauswände, lässt seine Finger über die seltsam glatte Oberfläche gleiten.
Tondar spuckt zur Seite.
Hodyn schaut mit misstrauischem Blick über den Platz.
Nur Keldi hält sich bewusst im Schatten, den Rücken an eine Hauswand gedrückt, die Hand fest um seinen Gürtel.


Auf der anderen Seite des Platzes steht ein anderer Tempel. Groß, dunkel, aus grauem Stein. Ein großes Portal und weite Gebäudeflügel...

Das Innere des Tempels, so imposant er von außen wirkt, ist jedoch leer und verfallen. In den Hauptgebäuden haben sich Handwerker niedergelassen. Irgendwo hört man die Geräusche eines Tavernenbetriebes. Und nur auf der anderen Seite des Innenhofes, scheint es noch so etwas wie eine sakrale Stätte zu geben...

Dort befindet sich ein kleiner Schrein des Phex, mitten in diesem Gebäude, der eher eine eigene Stadt darstellen sollte. Eine leicht entrückt wirkende Geweite steht in den Schatten und verteidigt vehement die Existenz ihres Gottes in dieser Stadt...

Zumindest beeindruckt wendet sich die Gruppe dem Schwein zu und spendet einen Kleinbeutel klirrenden Silbers. Es sollte sich lohnen, dem Herrn der Stadt zu huldigen, fährt Althea durch den Kopf. Uns so senkt sie kurz das Kinn und gedenkt dem Bruder der Tsa, in dieser nach ihm benannten Stadt...


Die Münzen rollen mit hellem Klang in die Opferschale, als wäre das Geräusch zu laut für die Stille dieser Halle. Die Luft ist kühl hier, feucht vom Mauerwerk, das Moos angesetzt hat. Doch über dem kleinen Schrein hängt ein purpurner Vorhang, schimmernd wie Mitternacht und Gold – das Einzige, das nicht von dieser Welt zu stammen scheint.

Die Geweihte, eine hagere Frau mit bleicher Haut und durchscheinenden Lidern, hebt den Blick. Ihre Stimme ist leise, kaum mehr als ein gehauchter Hauch, und doch wirkt sie wie ein feines Seil, das sich um jeden in der Gruppe legt:

„Die anderen mögen verschwunden sein. Verloren im Nebel von Phexcaer.
Doch er ist noch hier. Immer.
Wo getrickst wird. Wo gesucht wird. Wo gewagt wird.“


Sie deutet auf den Schrein – ein flacher Altar mit einem einzigen Symbol: eine Münze, die auf der Kante steht.

„Dies ist sein Ort. Nicht der der Lichter. Nicht der der Gesetzestafeln.
Sondern jener, an dem alles kippen kann – mit dem nächsten Wurf.“


Die Worte hallen nach, während die Gruppe schweigt.
Und für einen Augenblick hat man das Gefühl, dass sich der Nebel draußen verändert hat.
Dichter geworden ist.
Oder aufmerksamer.

Furka schnaubt leise und nimmt die Hand vom Griff seiner Axt.
Keldi nickt, fast ehrfürchtig.
Althea bleibt noch einen Moment stehen.
Nicht als Magierin. Nicht als Adelige. Nicht als Strategin.
Sondern als sie selbst – eine junge Frau in einer alten Stadt, mit einem neuen Pfad vor sich.

Dann verlassen sie die Halle.
Und treten wieder in das Schweigen Phexcaers hinaus.
Die Stadt wartet.


Als sie das Tempelgebäude wieder verlassen, stößt wie aus dem Nichts eine größere Menschengruppe gegen sie, und in einem wilden Durcheinander entwickelt sich beinahe so etwas wie ein Handgemenge, erst zufällig, doch dann wird Althea gegen eine der Säulen gepresst. Hurdin stößt gegen die Person, die gegen sie gerempelt ist, und nach einigem Durcheinander verschwinden die anderen Personen auf dem großen Platz und in die Gassen.

Als sie sich wieder gesammelt haben, stehen sie etwas verwirrt auf dem Platz und Althea bemerkt, als sie ihre Robe wieder glatt zieht, dass ihr zwei der schweren Geldbeutel mit ihrer Reisekasse entwendet wurden. An die 200 Dukaten! Aber keine Chance, es sind nur noch Schatten zu erkennen, die in der Gassen verschwinden...


…und für einen flüchtigen Moment ist alles still. Kein Wind. Kein Laut. Nur der Nachhall des Gerangels, das scharfe Atmen der Gefährten, und Altheas Finger, die suchend über den Gürtel ihrer Robe gleiten.

Dann friert ihr Blick ein.
Ihre Hand fährt noch einmal über dieselbe Stelle.
Ein drittes Mal.

„Nein…“ haucht sie.

Alle sehen sie an.
Hurdin noch mit geballter Faust, Keldi den Hammer halb gehoben, Archon bereits auf dem Sprung.
Doch Althea steht nur da – die Wange noch gerötet vom Stoß gegen den Pfeiler, die Locken leicht zerzaust. Ihre Stimme ist flach, aber klar:

„Sie haben mich bestohlen.“


Ihre Finger öffnen die restlichen Beutel, doch das Ergebnis ist eindeutig. Die gut verschnürten, extra in die innere Lage ihrer Robe eingebundenen Beutel – fort. Fast 200 Dukaten. Der größte Teil ihrer Rücklagen. Der Schatz, den sie aus dem Süden durch Sumpf, Grenzland und Orkland getragen hat.

Ein bitteres Schweigen senkt sich über die Gruppe.

Hurdin flucht dumpf und stürmt ein paar Schritte in die Dunkelheit, bleibt dann stehen. Keldi knurrt leise, wie ein Tier, das zu spät merkt, dass es hätte zubeißen müssen. Archon steht schon in der Mitte des Platzes, aber da ist nichts mehr – kein Geräusch, keine Bewegung, nur die Gassen, die ins Ungewisse führen.

„Das war… keine einfache Bande,“ murmelt er. „Das war geplant. Gezielt. Perfekt getimed.“


Althea zieht langsam die Hände von ihrer Robe zurück. Ihre Stimme ist ruhig, viel ruhiger als erwartet:

„Er hat sie gesehen. Phex. Und gelächelt.“


Ein paar Sekunden Stille. Dann ein leises, ungläubiges Lachen von Furka, der sich an die Stirn tippt:

„Du bist irre, Mädchen. Aber ich versteh dich.“


Die Gruppe rückt zusammen. Der Nebel kriecht durch die Straßen wie kalter Atem.
Phexcaer hat sich gezeigt.
Die Stadt hat ihre Geste gemacht.

Und nun ist es an ihnen, zu entscheiden, wie sie antworten.


Am Ende des Platzes winkt die halbgeöffnete Tür einer Taverne. Ein warmer Lichtstreifen fällt auf das Pflaster. Ungewohnt in diesem plötzlich sehr bedrohlich gewordenen Ort. Stimmengewirr dringt herüber und das Klirren von Krügen. Keldi fasst die Gruppe zusammen und Hurdin fasst Althea im Arm, als sie sich hinüberbegeben...


…das Licht der Taverne wirkt wie aus einer anderen Welt: flackernd, golden, lebendig. Es schneidet durch die feuchte Dunkelheit wie ein verheißungsvoller Riss in der Fassade einer Stadt, die soeben ihre Maske fallen ließ.

Keldi hebt die Stimme kaum hörbar:

„Kommt. Noch ein Schritt weiter hier draußen, und wir verlieren mehr als nur Geld.“


Er geht voran, mit festen Schritten, als wolle er nicht nur den Weg ebnen, sondern die Gasse selbst davon überzeugen, dass sie ihre Krallen zurückziehen möge.

Althea bleibt einen Moment stehen, ihr Blick haftet noch an der Stelle, wo sie überrumpelt wurde.
Ihre Finger zucken, wie um einen Zauber zu formen, doch sie lässt ab.
Dann spürt sie Hurdins Arm – schwer, schützend, wie ein Mantel aus Fleisch und Vertrauen.
Sie lehnt sich kurz dagegen, nicht schwach, sondern gegenwärtig.

„Ich komme ja schon…“, murmelt sie, fast wie zu sich selbst.
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#45
Unterwegs mit Zwergen #43
(Versatzstücke)

Die Tür zur Taverne gibt unter Keldis Hand nach, und mit einem Schlag prallen Stimmen, Wärme, der Duft von gebratenem Fleisch und süßem Rauch gegen die Gruppe.
Ein paar Köpfe drehen sich – die Fremden aus dem Nebel, voll bewaffnet, eine Magierin mit geweiteten Pupillen, ein Zwerg mit zornigem Blick, ein Schattenläufer mit wachsamem Blick.

Aber dann drehen sich die Gäste wieder um. Der Wirt, ein älterer Mann mit weit offener Schürze, nickt ihnen nur zu, wie man es mit jenen tut, die das Nachtgesicht Phexcaers überstanden haben.

„Freie Tische hinten links. Bier ist warm, Suppe ist stark. Wer zahlen kann, kriegt beides. Wer nicht – kriegt trotzdem was.“


Ein letzter Blick zurück in den dunklen Nebel, dann gleitet die Tür zu.
Ein Moment der Sicherheit.
Ein Ort, an dem die Götter – und Diebe – für ein paar Stunden draußen bleiben müssen.


Die Taverne, in die sie sich geflüchtet hatten, war ein langgezogener, niedriger Raum mit schiefem Boden, verräucherten Balken und einer Mischung aus Wärme und Dämmerlicht, wie sie nur Orte kannten, die nachts Schutz versprachen. Hier schien das Licht nicht gegen die Dunkelheit zu kämpfen, sondern sich mit ihr arrangiert zu haben.

Die Gruppe ließ sich an einem der hinteren Tische nieder – nahe der Wand, mit Blick auf Tür und Theke. Keldi setzte sich als Erster, schwer atmend, die Hand noch immer am Gürtel. Althea glitt daneben auf die Bank, den Blick nach innen gekehrt, die Hände um den Bierkrug gelegt, als sei es ein heiliges Gefäß. Ihre Robe war verschoben, ein Riss im Saum zeugte vom Gerangel. Hurdin setzte sich neben sie, mit finsterer Stirn, aber sanftem Blick. Die anderen folgten schweigend.

Es vergingen Minuten, vielleicht eine Viertelstunde, in der sie kaum redeten. Das Bier war dunkel und schal, aber es wirkte. Der dumpfe Lärm der Taverne wurde zum Deckmantel für das, was nicht gesagt wurde: der Schock, die Demütigung, die Kälte dieser Stadt.

Der Wirt, ein hagerer Mann mit einer Stimme wie ein zerkratzter Kessel, kam nach dem zweiten Krug Bier an den Tisch.
„Ihr seht aus, als hätte euch Phexcaer seine Zähne gezeigt“, sagte er.
Keldi brummte. Hurdin nickte stumm.
Althea hob den Blick – noch nicht ganz zurück im Raum – und erwiderte leise:
„Nur gebissen hat es uns nicht. Noch nicht.“

Der Wirt verzog den Mund zu etwas, das ein Lächeln hätte sein können.
„Das ist mehr, als manche sagen können. Wenn ihr was Warmes wollt: Eintopf mit Bohnen oder Brot mit Zwiebelkuchen. Heute ist ’n guter Tag.“

Sie bestellten zögerlich.
Und während der Wirt wieder verschwand, senkte sich eine andere Aufmerksamkeit auf den Tisch.

Sie hatte sie schon seit ihrer Ankunft gesehen. Die Fremden mit dem Blick, der nach mehr roch als nach Arbeit. Die Frau in der Robe – sicher wichtig. Der Alte mit dem Hammer – sicher gefährlich.
Und dann dieser andere Zwerg, der sie einmal ansah und dabei nicht wie ein Mensch wirkte, sondern wie eine Wand.

Harika saß auf einem der alten Schemeln nahe der Wand, ein Bein locker angewinkelt, das andere lang gestreckt, das Gesicht halb im Schatten der Kapuze, die ihr von den Schultern gerutscht war. Ihre Augen blitzten.
Sie trank nichts, aß nichts – beobachtete nur.

Irgendetwas an der Magierin ließ sie nicht los. Nicht der Reichtum – den hatte sie heute genug gesehen. Auch nicht nur das hübsche Gesicht. Sondern… etwas anderes. Die Art, wie sie den Raum spürte, aber nicht verstand.
So wie Kinder manchmal mit Feuer spielen.
Oder wie Vögel gegen Fensterscheiben fliegen.

Als der Wirt zurückkam, grinste er ihr zu – ein stummer Austausch. Harika stand auf, gähnte übertrieben, streckte sich. Dann ließ sie sich, ganz zufällig, am Nachbartisch nieder.

„Ihr seht aus, als würdet ihr gleich wieder aufbrechen wollen. Schlechte Idee in dieser Stadt, heute Nacht.“


Die Gruppe wandte sich langsam ihr zu.
Hurdin blickte schräg zu ihr hinüber.
„Und wer bist du, kleines Fräulein, das so kluge Ratschläge verteilt?“

Harika grinste breit, schief, und ein Goldzahn blitzte.

„Nur jemand, der die Straßen kennt. Und weiß, wann man den Mantel offen trägt – und wann nicht.“


Dann sah sie Althea an.
Nicht forsch, nicht frech.
Sondern mit einer Mischung aus Neugier und… Bewunderung.

„Ihr seid nicht von hier, das sieht man. Aber ihr seid auch nicht ganz blind.“


Althea hob die Brauen, als hätte sie gerade erst die Präsenz der anderen bemerkt.
Ihre Stimme war ruhig, aber mit einem kaum unterdrückten Zittern.
„Was macht dich so sicher, dass du nicht auch gekommen bist, uns zu bestehlen?“

Harika zuckte die Schultern.
„Hab ich nicht. Sonst hätte ich euch nicht angesprochen.“

Ein kurzer Moment der Stille. Dann, wie von selbst, rückte Hurdin einen Becher zur Seite.
Harika sah ihn an, dann Althea.
Und setzte sich.
Ganz selbstverständlich, wie jemand, der wusste, dass der Platz längst auf sie gewartet hatte.


Sie hatten die Nacht in einer Herberge auf der gegenüberliegenden Seite des Marktplatzes verbracht, dem "Roten Milan". Im Schlafsaal, da das Haus überfüllt war....

Als sie am nächsten Morgen auf den belebten Marktplatz traten, führte Harika sie durch die Gassen ein Stück zurück hinunter zum Fluss. Sie hatten ihr natürlich die ganze Geschichte erzählt und auch, warum sie nach Phexcaer gekommen waren, um nach alten Abkömmlingen der Orklandsexpedition von Hyggelig zu suchen. Und der Name Alrik Derondan sagte Harika etwas...

Eine Weile später stehen Sie bei einem Schmied, der bereits mitten in seinem Tageswerk ist. Nach kurzer Unterhaltung stellt sich heraus, dass es zwar Alrik Derondan ist, aber anscheinend nicht DER Alrik Derondan, sondern nur ein Namensvetter...


Die Morgensonne schien milchig durch das Wolkengrau, das wie ein Schleier über der Stadt hing. Vom Fluss her wehte feuchte Luft, die dem Tag den Geruch von kaltem Eisen, schalem Bier und den Resten der Nacht mitgab. Der Marktplatz vor dem Roten Milan war bereits voller Leben – Händler riefen ihre Waren aus, Kinder liefen barfuß durch Pfützen, Hunde stritten sich um Knochenreste, und aus einem offenen Fenster erklang der klagende Ton einer Geige, die schon bessere Tage gesehen hatte.

Harika führte die Gruppe mit der gewohnten Sicherheit einer Einheimischen durch das Geflecht aus Gassen, Treppen und schiefen Häuserfronten. Ihre Stimme war lebhaft, aber nicht laut – sie erklärte ihnen die Spitznamen der Straßen, zeigte auf versteckte Ecken, deutete auf bestimmte Türme und sagte dann nichts weiter, als wäre das Wissen darum allein schon ein Schutz.

„Wenn ihr ihn wirklich treffen wollt, müsst ihr es gleich tun. Später hat er keine Zeit für Geschichten.“
„Wer?“ fragte Keldi.
Harika grinste: „Der Schmied. Alrik Derondan.“


Altheas Herz schlug ein wenig schneller. Der Name war gefallen, seit sie Phexcaer überhaupt in Betracht gezogen hatten. Die Hoffnung, dass ein Überlebender der Expedition – oder wenigstens ein Kind davon – ihnen Hinweise geben konnte, war Teil ihres ganzen Plans gewesen.

Der Weg führte sie eine kurze Strecke zurück zum Fluss, an einen offenen Platz mit grobem Pflaster. In der Mitte: eine niedrig gebaute Schmiede mit breitem Vordach, unter dem bereits der Amboss dröhnte.

Der Mann, der dort arbeitete, war in seinem Element: große Hände, rußgeschwärztes Gesicht, nackter Oberkörper trotz der Kälte, die Hitze des Schmiedefeuers umgab ihn wie ein Schild. Als sie nähertraten, sah er auf – nicht unfreundlich, aber mit der müden Wachsamkeit eines Mannes, der schon zu oft von Fremden angesprochen wurde.

Harika war es, die das Gespräch begann, in dem für sie typischen Tonfall, halb scherzend, halb prüfend.

„He, Alrik. Ich hab hier ein paar komische Leute mitgebracht. Die meinen, du wärst ein verschollener Held aus alten Geschichten.“


Der Schmied schnaubte, spuckte zur Seite und stemmte die Hände in die Hüften.

„Wenn ich jedes Mal einen Heller bekommen hätte, wenn einer mich für einen anderen gehalten hat, müsste ich nicht mehr hämmern.“


Hurdin trat vor.
„Bist du Alrik Derondan?“

Der Schmied nickte.

„Bin ich. Seit 46 Wintern. Mein Vater hieß auch so. Kam aus Greifenfurt, meine Mutter aus Festum. Warum?“


Ein kurzer Blick ging durch die Gruppe.

Althea trat vor. Ihre Stimme war ruhig, leicht rau von der Nacht.

„Wir suchen jemanden dieses Namens, der mit einer Expedition ins Orkland gezogen ist. Unter dem Banner eines gewissen Hyggelig. Das war vor etwa… dreißig Jahren.“


Alrik sah sie an. Dann schüttelte er langsam den Kopf.

„Nie gehört. Ich bin in Phexcaer geboren. Mein Vater war ein Söldner, der hier hängen geblieben ist. Kein Abenteurer. Nur ein Trinker mit einem guten Händchen für Eisen.“


Stille. Nur das Knistern der Esse, das Klopfen eines Lehrlings im Hintergrund.

Harika lehnte sich gegen einen Pfosten.

„Tja. Dann wohl nicht der Alrik.“


Der Schmied lachte heiser.

„Ich bin nur der Alrik, der bleibt.“


Die Enttäuschung war nicht groß – nicht wirklich. Aber spürbar.

Althea nickte langsam.

„Danke. Es war… den Versuch wert.“


„Immer“, sagte der Schmied. Und wandte sich wieder seinem Amboss zu.
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#46
Unterwegs mit Zwergen #44
(Versatzstücke)

Und nun - sprach keiner aus, aber die Blicke sprachen Bände, als sie von der Schmiede zurück auf den Platz traten...

"Wenn es wirklich einen Alrik Derondan in der Stadt gibt, und das zurückgeht bis zur Expedition, müsste es eigentlich in den Stadtarchiven bekannt sein. Die befinden sich im Stadthaus im Osten jenseits des Phextempels....", so Harika...


…die Worte blieben einen Moment in der Luft hängen, während der Rest der Gruppe still auf den Platz hinaustrat. Sie blieben stehen, direkt an der Schwelle zwischen Schatten und Licht, dort, wo der Atem noch sichtbar war und die Geräusche der Stadt in einem gedämpften Summen lagen.

Keiner sprach es aus, aber alle dachten es: Wenn das nicht der Alrik war, dann ist der wahre vielleicht gar nicht so weit entfernt.

Harika trat neben Althea, ihren Blick fest auf den Weg gerichtet, der sich ostwärts zwischen zwei niedrigen Häusern hindurchschlängelte.

„Die Stadt hat ein Gedächtnis, auch wenn sie selbst manchmal so tut, als hätte sie alles vergessen. Wenn je jemand offiziell in Phexcaer angekommen ist – und wichtig war –, dann steht das in den Registern. Namen, Wohnorte, alte Lizenzen. Der ganze Kram.“


Keldi schnaubte.

„Ich schätze, sie nehmen da nicht einfach jeden rein, der nachsehen will?“


„Kommt drauf an, wer fragt“, antwortete Harika mit einem listigen Grinsen. „Und wie.“


Althea zog sich den Umhang enger um die Schultern, ihre Finger noch kalt von der Begegnung mit dem Schmied.

„Dann sollten wir keine Zeit verlieren.“


Hurdin, der sich bisher nicht geäußert hatte, blickte noch einmal zurück zur Schmiede.

„Er war nicht der Richtige… aber irgendetwas an ihm war trotzdem richtig.“


„Er war ehrlich“, sagte Furka.
„Und ehrlich ist selten in dieser Stadt.“


Langsam setzte sich die Gruppe in Bewegung, Harika voraus, leichtfüßig wie immer, aber mit einem ungewohnten Ernst in der Haltung.

Der Weg würde sie am großen, grauen Phextempel vorbeiführen, dann durch ein altes Viertel mit steinernen Lagerhäusern, bis zum Stadthaus, das sich wie eine verblasste Erinnerung an bessere Zeiten zwischen zwei Gassen duckt.

Ob sie dort den nächsten Hinweis finden würden – oder die nächste Sackgasse –, war noch offen. Aber sie würden es herausfinden. Denn Phexcaer mochte voller Schatten sein…
…aber manche Schatten führen auch ans Licht.


Nun soll nicht gesagt sein, dass in einer Stadt wie Phexcaer die Gauner nur auf den Straßen ihr Unwesen treiben...

Nach einigen Gesprächen im doch recht ansehnlichen Stadthaus und der Entrichtung einiger Gebühren wurden sie dann doch vertröstet auf eine Entscheidung durch den Stadtrat drei Wochen später...

Keldi versuchte es nach einem Fluchen noch einmal bei dem im Foyer sitzenden Schreiber, kam aber auch zu keinem besseren Ergebnis...

Also nichts auf offizieller Ebene... Harika begann sie durch die Tavermen der Stadt zu führen...


…und so begann der zweite Teil ihrer Suche – nicht mehr zwischen Pergamenten und Siegelwachs, sondern zwischen Bierkrügen, Würfeln und den rauchgeschwärzten Balken der Spelunken.

Phexcaer war eine Stadt mit vielen Gesichtern. Tagsüber mochte sie ein müder, windschiefer Ort am Rande der Welt sein – doch nachts wurde sie lebendig. Und niemand kannte diese lebendige Seite besser als Harika.

„Die, die was wissen, reden nicht mit den Leuten, die in Stadthäusern verkehren“, erklärte sie, als sie durch einen Hinterhof zu einer niedrigen Tür führte. „Aber manchmal reden sie, wenn man ihnen zuhört.“


Die erste Taverne war „Dickspecht“, ein Ort mit mehr Schatten als Licht, in dem die Würfel schneller flogen als die Münzen, und wo niemand einen Namen hatte, den er zweimal nannte. Harika sprach mit einem alten Kerl mit einem Augentuch, der auf „Stink-Haimo“ hörte, und Althea schwor, er habe seine Pfeife aus einer alten Kniescheibe gefertigt. Viel wussten sie dort nicht – nur, dass der Name Derondan in der Stadt schon einmal gefallen war. Aber nicht in letzter Zeit.

In der zweiten Taverne, dem „Schnapphahn“, roch es nach Branntwein, Pferdeschweiß und etwas, das Furka nur als „Salamanderdreck“ bezeichnete. Eine halbglatzige Frau mit stahlgrauen Augen und krummem Dolch nannte sich „Tanda von der Brücke“ und erzählte von einem alten Mann, der vor Jahren in einem Lagerhaus am Fluss gewohnt haben soll – „sprach kaum, aber las viel, hatte den Blick eines Offiziers oder Gelehrten – oder beides.“

„Das kann er sein“, murmelte Althea.
„Oder ein weiterer Name in einer langen Reihe.“


Die dritte Taverne war anders. „Wilder Bodir“ war heller, offener, beinahe freundlich – doch die Freundlichkeit war die Art, die sich bezahlt machen will. Harika führte sie direkt an die Theke, wo ein Mann mit blasser Haut und goldenen Zähnen einen langen Monolog über die Regeln von Kartenspielen hielt, ohne je nach Atem zu schnappen.

Er unterbrach sich nur einmal – als Harika ihm ein paar Worte zuraunte. Da hob er den Kopf, musterte Althea lange, und sagte:

„Ihr sucht keinen Namen. Ihr sucht einen Geist. Vielleicht findet ihr ihn im „Schwarzmondviertel“. Wenn er noch lebt… dann dort. Wenn nicht… dann ist er Teil dieser Stadt. Und das ist fast das Gleiche.“


Die Gruppe verließ die Taverne schweigend, begleitet nur vom Knarren der Tür im Wind. Der Abend war vorangeschritten, die Lichter in den Fenstern flackerten. Harika trat neben Althea.

„Manchmal“, sagte sie leise, „ist eine Stadt wie ein Labyrinth. Aber wenn du den Faden nicht loslässt, findest du vielleicht wieder raus.“


Althea nickte – und hielt fester an dem Faden, den sie aufgenommen hatte, lange bevor sie Phexcaer betreten hatte.


Am späten Nachmittag hatten sie eine Runde durch die Stadt durch und betraten noch die Taverne am großen Haus in der Nähe des Stadtarchivs...

Schon etwas gereizt, bekamen sie auch nicht mehr Informationen als woanders auch. Es war schwer zu sagen, was in dieser Stadt stimmte und was die Leute sich nur ausgedacht hatten...

Nach einem schlechten Eintopf, der mehr aus Wasser als aus anderem bestand, spülten sie den Geschmack mit ein paar letzten Krügen Bier weg und traten hinaus in die Dunkelheit...

"Ektor Gremob" murmelte Althea... "Der schmierige Kerl im Tempel des Güldenen", fuhr sie fort, als sie die verständnislosen Blicke der anderen sah... "Irgendetwas weiß er...". Harika wiegte den Kopf abwägend hin und her, ihre Hand fuhr unwillkürlich zum Knauf eines der vielen Messer, die sie am Körper trug...

Aber warum nicht?


Der Platz vor der Taverne war inzwischen beinahe leer, nur ein paar Schatten bewegten sich durch die Gassen, und ein leiser Wind strich durch die halbverfallenen Säulen des nahen Arkadengangs. Das Zwielicht verlieh der Stadt eine eigentümliche Atmosphäre – als würde sie den Atem anhalten, während jemand einen alten Namen flüsterte.

„Ektor Gremob…“ wiederholte Keldi mit skeptischem Blick. „Ich dachte, wir wollten uns von dem fernhalten.“


„Wir wollten nicht blind sein“, erwiderte Althea ruhig. „Und er war nicht überrascht, uns zu sehen. Im Gegenteil. Er hat mit uns gerechnet. Oder mit jemandem wie uns.“


Furka grunzte, nicht einverstanden, aber auch nicht gewillt, sich zu widersetzen. Er hielt sich im Halbschatten, den Blick aufmerksam über die Dächer gerichtet. Die letzte Begegnung mit Ektor war… unangenehm gewesen. Seine Art hatte etwas Kriechendes, als würde er sich durch die Ritzen der Welt winden, stets ein kleines bisschen zu nah und ein bisschen zu informiert.

Harika hatte die Arme vor der Brust verschränkt und musterte Althea, dann die anderen. Schließlich nickte sie.

„Dann sollten wir ihn nicht in seiner Villa aufsuchen“, sagte sie. „Zu viele Augen. Zu viele Türen, die hinter euch zufallen können.“


„Was schlägst du vor?“ fragte Hurdin.


„Manche Männer machen sich nachts auf den Weg zur Ruine des alten Amphitheaters. Warum, weiß keiner so genau. Aber Ektor war schon dort. Mehrmals.“


„Rituale?“ warf Archon ein.


„Oder Treffen“, meinte Harika trocken.


Sie gingen los, keine langen Diskussionen, nur ein kurzer Austausch von Blicken. Althea führte, Harika an ihrer Seite, wie ein Schatten, der ein anderes Licht schützen wollte. Sie bewegten sich durch die Nacht, durch Phexcaer, das in seiner Dunkelheit wahrer zu sein schien als bei Tag. Häuser kauerten sich wie hungrige Tiere aneinander, der Wind trug Fetzen von Gesprächsfetzen und das Klirren ferner Gläser durch die Gassen.

Und irgendwo, zwischen den zerbrochenen Stufen und überwucherten Rängen des alten Amphitheaters, wartete ein Mann mit zu gepflegten Fingern und zu vielen Antworten auf zu wenig Fragen.

Althea wusste: Wenn sie ihn jetzt aufsuchten, dann gab es kein Zurück mehr in die unschuldige Suche.
Ab hier wurde es ein Spiel.
Und es war Phex’ Stadt.


Nur, dass es nicht Ektor Gremob war, sondern ein Mann, der, als sie aus dem Schatten traten ein lamges Schwert unter dem Mantel zog... Und um sie herum hörten sie, wie weitere Klingen gezogen wurden. Ein Hinterhalt!


Die Laterne über dem Amphitheater wirft zitternde Schatten auf das Mauerwerk. Kein Lachen mehr. Keine Straßenmusik. Nur das Schleifen von Metall auf Leder.

Althea fuhr herum. In einer fließenden Bewegung griff sie nach ihrem Stab – oder wollte es tun, doch Furka war schneller. Mit einem Fluch schob er sich vor sie, eine kleine Armbrust aus seinem Mantel reißend, den Bolzen schon eingespannt.

Tondar, aus der Drehung heraus, warf sich zur Seite, suchte Deckung hinter einer der steinernen Sitzbänke – sein Blick scannte die Schatten wie ein Tier.

Keldi hatte längst den Schild aufgezogen, den er seit Prem mit sich führte, und ein dumpfer Ton ertönte, als Hurdin neben ihm in die Hocke ging – bereit, mit bloßen Händen zuzuschlagen, wenn es sein musste.

Und Archon…
…stand still. Keine Waffe gezogen. Nur eine Bewegung mit der linken Hand, kaum sichtbar. Ein Fläschchen, da, wo vorher keines war.

„Vier... vielleicht mehr“, knurrte Keldi, ohne aufzusehen.
„Kein Bandenüberfall“, raunte Furka. „Die riechen anders.“
„Söldner?“ – Tondars Stimme.
„Wissen wir nicht“, zischte Althea. „Aber sie wussten, dass wir kommen.“

Da trat der Mann mit dem Langschwert zwei Schritte vor. Er war nicht maskiert, aber das machte es nicht besser.
„Gebt die Karte heraus. Oder gebt euer Blut. Beides wäre uns recht.“

Althea spürte einen kurzen Impuls der Wut. Dann eine Klarheit.
Ihre Stimme war fest, fast beiläufig:
„Wenn ihr wisst, wer wir sind… dann wisst ihr auch, dass das nicht gut für euch ausgehen wird.“

Und dann war keine Zeit mehr für Worte.
Denn einer der Schatten stürmte vor – und der Kampf begann.


Althea hörte das Schaben von Stiefeln auf Stein.
Instinkt. Kein Denken. Kein Zauber. Nur Bewegung.

Sie drehte sich, riss Harika am Arm herum, schob sie hinter sich, Stab quer, Blick flackernd – aber es war nicht mehr nötig. Harika war schneller. Ein Dolch blitzte in ihrer Hand auf wie ein Gedanke, den man nicht aussprechen kann.

„Ich brauch keinen Schutz, Prinzessin“, zischte sie, und in dem Ton lag keine Abwertung.
Nur eine plötzliche, wilde Nähe.

Sie kämpften Seite an Seite – nicht als Gefährtin und Führerin, sondern wie zwei Tiere, die wussten, wie der andere schlägt, noch bevor er es tat.

Harikas Dolche flogen wie Gedankenblitze. Altheas Magie war roher als sonst, kürzer gesprochen, flackernd. Kein Schauspiel – Überleben.

Ein Angreifer kam zu nah. Harika trat einen Schritt zurück, Althea schwang den Stab wie ein Brenneisen – knack, Schlüsselbein, aus dem Tritt.
Harika sprang vor, Schnitt durch den Oberschenkel, Tritt gegen die Brust.
Zwei Bewegungen, ein Gegner weniger.

Als es vorbei war, standen sie keuchend im Staub.
Blut an den Händen. Am Stab. Am Mantel.
Die anderen kamen aus dem Dunkel – langsam, wachsam.

Archon trat zu ihnen, betrachtete sie einen Moment. Dann ein kaum hörbares:

„Effizient.“

Keldi hob eine Stirn.

„Das war nicht der letzte Überfall. Nicht heute.“


Der Aufstieg war still. Keine Stimme, kein Streit, nicht einmal Furkas übliche Kommentare.
Der Tempel der Praios-Kirche lag über den Dächern der Stadt, beleuchtet von zwei Reihen flackernder Öllampen.

Davor: Zwei Gardisten, vergoldete Brustplatten, gesichtslos in der Uniform.
Sie traten nicht zurück. Sie stellten sich in den Weg.

Keldi schob sich vor – doch ehe er ein Wort sagen konnte, hörte man es:

„Ihr hättet im Amphitheater sterben sollen.“

Eine Stimme aus dem Dunkel der Tempelhalle.
Eine neue Gruppe trat hervor – sechs, vielleicht sieben Männer, diesmal besser gerüstet, organisiert. Kein Abschaum. Disziplin.

Der Priester Gremob war nicht zu sehen.
Aber seine Leute waren es. Und sie trugen das Zeichen des Lichts – entweiht.

Tondar fluchte leise.

„Das wird kein Gespräch mehr.“

Furka spannte die nächste Armbrust.
Harika hatte den ersten Dolch schon wieder in der Hand.

Und Althea…
…fühlte, wie in ihr ein alter Zorn aufflammte. Kein Chaos. Keine Panik.

Nur der Wille, nicht noch einmal überrascht zu werden.


Später Abend, "Roter Milan"

Der Wein ist schlecht, aber warm.
Die Bänke sind hart, aber immerhin nicht kalt.
Und die Stadt – diese Stadt – hat ihre Schatten heute gründlich gezeigt.

Althea sitzt mit dem Rücken zur Wand, der Stab neben ihr angelehnt, die Finger noch leicht blutig.
Niemand redet viel. Es gibt nicht viel zu sagen.

Furka spielt mechanisch mit einem Würfel zwischen den Fingern. Keldi schnitzt an irgendetwas, nur um die Hände zu beschäftigen.
Archon hat ein altes Buch aufgeschlagen, liest aber nicht.
Er beobachtet Harika.

Sie trinkt. Nicht viel. Nicht hastig. Aber mit dem Blick einer Frau, die nichts mehr beschönigt.

Dann – ganz ruhig – sagt sie:

„Ich dachte, ich kann euch durch die Gassen führen. Stattdessen... habt ihr mich durch ein Messermeer getragen.“



Sie lächelt. Müde. Kein Sarkasmus diesmal.

„Wenn ihr morgen noch wollt… dann bring ich euch zu denen, die wirklich wissen, wer Alrik war. Nicht Bettler, nicht Informanten. Sondern jene, die Akten führen, für Dinge, die niemals offiziell waren.“


Kurze Pause. Dann:

„Aber es wird einen Preis haben. Vielleicht nicht Gold. Vielleicht etwas anderes.“


Keiner antwortet sofort.
Aber in diesem Moment ist klar:

Der nächste Tag wird kein Straßenabenteuer.
Er wird eine Reise in die Struktur der Schatten.
In die Orte, wo Namen wie Alrik Derondan nicht verschwinden – sondern unter Bewachung archiviert werden.


Der 10. Peraine begann mit Nebel über dem Marktplatz.
Harika führte sie tiefer hinein in die organisierten Schichten der Unterwelt – weg von den Straßendieben, hin zu den Orten, wo man Türen nur mit Namen öffnet.

Vor dem Bordell „Goldene Pfühle“ blieb Althea stehen. Die schimmernden Vorhänge, die Lachen dahinter – und die Blicke der Gefährten – ließen ihr die Röte ins Gesicht steigen. Harika grinste nur. „Andere Regeln, andere Gassen.“ Doch die Verabredung, die sie hier trafen, verlief ins Leere: niemand erschien.

Am Nachmittag erreichten sie das Spielhaus Bodirtal. Würfel, Karten, Lärm – und hier, endlich, der erste echte Hinweis:
Der Name Alrik Derondan fiel, und man sagte ihnen, er verkehre in den Tavernen der Stadt.

Es folgte eine Odyssee durch das Gasthaussystem Phexcaers, bis sie – in der letzten, einer Spelunke namens „Dickspecht“ – einen Mann fanden, der seinen Namen trug.
Zwielichtig, misstrauisch – und nur gegen eine „Erinnerungsgebühr“ bereit zu reden.

Seine Worte waren einfach:
„Sucht nördlich von hier. Einsiedlersee. Orkschädelsteppe. Dort ging Hyggeliks Zug hin.“

Mehr gab er nicht preis.

So endete der Tag, wie er begonnen hatte: im Roten Milan, zurück auf den schmalen Pritschen des Schlafsaals, das Dröhnen der Stadt draußen, und in den Köpfen die Richtung für das nächste Ziel.
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#47
Unterwegs mit Zwergen #45
(Versatzstücke)

11. Peraine – Phexcaer, Morgendunst über dem Marktplatz

Die Gruppe begann den Tag mit dem mühsamen Sortieren ihrer Ausrüstung.
Der große Marktplatz war laut, voll, ein einziges Durcheinander aus Gauklern, Schafen und Händlern. Zwischen den Ständen machten sie ihre Beute aus der Gremob‑Affäre zu Geld – Waffen, Rüstungen, alles, was zu schwer war, um es weiter mitzuschleppen.

Harika stand daneben, die Hände tief in den Taschen.
„Wenn ihr’s klug anstellt, kauft ihr hier nur das Nötigste. Der gute Kram wird woanders verkauft.“

Sie blinzelte Althea zu und führte sie später durch enge, schmutzige Gassen bis in einen heruntergekommenen Westteil der Stadt. Hinter einem windschiefen Stand mit alten Äpfeln begannen Treppenstufen, die hinunterführten – in offene Nischen am Rand alter Häuser.

Hier war es stiller. Und billiger.
Die Waren sahen benutzt aus, aber ihre Qualität sprach für sich.

Althea deckte sich mit Zaubertränken ein, Archon griff mit leuchtenden Augen nach Bündeln Wirselkraut, so viel er tragen konnte. Keldi schnaubte nur: „Billiger Schrott? Vielleicht. Aber guter Schrott.“

Am Nachmittag kehrten sie zum zentralen Markt zurück, um noch Kleinigkeiten zu ergänzen.

Furka drängte auf einen Abstecher ins Spielhaus, Archon wollte noch zu Heilern –
doch Althea schnitt ihnen das Wort ab:

„Heute bleibt keiner allein. Morgen sind wir hier raus.“

Und so verbrachten sie den Abend im Roten Milan, der Schankraum gefüllt mit Rauch, Stimmen und dem letzten Rest an Wärme, den diese Stadt hergab.

Draußen lag Phexcaer bereits im Nebel, aber für sie war der nächste Schritt klar:
Morgen brechen sie auf. Ziel: Einsiedlersee.

12. Peraine – Morgengrauen über Phexcaer

Der Morgen brach mit einem milchigen Licht über der Stadt an, als die Gruppe noch einmal den Weg zum großen Phextempel nahm. Der Platz davor lag still; nur ein paar Händler bauten ihre Stände auf, der Nebel kroch träge zwischen den Stufen des Tempels.

Diesmal hielten sie sich nicht zurück.
Keldi öffnete einen der schweren Geldbeutel, die sie noch hatten, und ließ die Dukaten wie einen kleinen Wasserfall in den Spendentrog rinnen.

Althea trat näher, ihre Stimme ruhig, aber mit einer Schärfe, die der Nebel trug:

„Diese Stadt muss wieder die Hand des Fuchses spüren. Nicht nur seine Schatten.“

Die Münzen klirrten. Für einen Augenblick schien selbst der Nebel still zu stehen.


Vor dem Tor des Tempels

Draußen wartete Harika.
Sie war nicht die Harika der letzten Tage – nicht die, die alle Wege kennt. Heute stand sie da mit eingezogenen Schultern, die Hände in die Taschen gedrückt, als wolle sie sich an etwas festhalten, das man nicht sieht.

„Also… das war’s dann?“ fragte sie, ohne sie anzusehen.

Althea blieb einen Schritt vor ihr stehen, legte den Kopf leicht schief.
Dann nahm sie Harika einfach in den Arm. Ohne große Worte, ohne Vorsicht.
Eine lange, stille Umarmung, die Harika erst einfrieren ließ – und dann brach die Spannung, und sie hielt sich an Althea fest, viel länger, als es für die Straße von Phexcaer üblich war.

„Pass auf dich auf, kleiner Fuchs,“ murmelte Althea an ihrem Ohr.
„Und… vergiss uns nicht.“

Harika drückte die Stirn an ihre Schulter, ihre Stimme leise, fast trotzig:

„Ich wollt eigentlich mit. Aber ich… ich bleib. Weil ich hier was kann.“

Sie löste sich schließlich, rieb sich mit dem Handrücken über die Augen und grinste schief, so wie nur sie es konnte.

„Wenn ihr wiederkommt, findet ihr mich. Ich werd warten.“

Dann drehte sie sich abrupt um, bevor jemand ihre geröteten Augen sehen konnte, und verschwand zwischen den Häusern.


Der Aufbruch

Die Gruppe schwieg einen Moment, während sie ihr nachsah.
Dann wandten sie sich nordwestwärts.

Die Gassen wurden leerer, das Kopfsteinpflaster bröcklig. Und schließlich erreichten sie die Ecke der Stadt, wo ein niedriger Torbogen hinausführt – nicht auf eine Straße, sondern auf einen grob getretenen Pfad.

Hinter ihnen lag der Fluss, feucht und schwer.
Vor ihnen begann das Land.

Gras, das sich im Wind wiegte, bis an den Horizont.
Die Steppe.

Keldi zog die Schultern hoch, prüfte seinen Gurt.
Althea atmete tief ein.

„Lasst uns gehen. Einsiedlersee.“

Und so ließen sie Phexcaer hinter sich.
Die Stadt wurde kleiner, die Luft klarer.
Vor ihnen lag nur noch das weite, offene Land.
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#48
Unterwegs mit Zwergen #46
(Versatzstücke)

Die Orkschädelsteppe, 13.–15. Peraine

Der Weg war kaum mehr als ein schmaler, fester Tritt im Meer der Gräser.
Sie reichten ihnen bis zur Hüfte, manchmal höher, und wogten in langen, trägen Wellen, sobald der Wind von Osten herüberstrich. Hellgrün und gelbgrün, frisch im Frühling, lag das Land wie ein atmendes Meer da.

Am Horizont war kein Ende zu sehen.
Nur hier und da ein niedriger Hügel, rund wie ein liegender Rücken.
Manchmal, wenn sie den Rücken erklommen, sahen sie weiter entfernt eine kleine Insel aus Bäumen, schwarzgrün und starr, wie verloren in der Bewegung des Grases.

Über dem Boden lag der Geruch von Erde und trockener Wärme.
Von irgendwoher klang das Zirpen von Insekten, ab und zu der Ruf eines Vogels, der sich im Aufwind treiben ließ.
Und der Pfad – ein dunkles Band, das sich wie zögerlich durch die Steppe wand.
Kein Schatten, keine Spur eines Dachs, kein Schutz.

Jeder Schritt ließ das Gras rauschen.
Und je weiter sie gingen, desto klarer wurde: Hier war nichts als Land, Wind und Himmel.
Eine Leere, die schön war.
Und gnadenlos.


Drei Tage durch die Orkschädelsteppe

13.–15. Peraine, 15 Hal


Tag 1 – Hinterhalt in den Gräsern

Der erste Tag in der Steppe begann friedlich.
Gras, Himmel, Wind.
Die Sonne stieg hoch, der Boden unter den Stiefeln wurde hart und trocken.

Als die Sonne schon im Westen hing, kam der Angriff.
Plötzliches Rauschen in den Gräsern, Schatten, die sich lösten.
Orks – fünf, sechs, vielleicht mehr – stürmten aus der Deckung, krummbeinig, mit Keulen und rostigen Klingen.

Es war keine vorbereitete Falle, sondern eine streunende Bande.
Doch sie war wild.

Die Zwerge formierten sich instinktiv, Keldi rief nur „Linie!“ und stemmte sich dem ersten Schlag entgegen.
Bolzen schnitten durch das hohe Gras, Funken sprühten, als Stahl auf Stahl traf.

Althea hob den Stab.
Kein Wort, nur eine Geste – ein Schwall flackernden Feuers, der die Angreifer auseinandertrieb.
Das Gras brannte kurz auf, Rauch stieg auf, und der Wind trug den Geruch von verbrannten Halmen fort.

Als der letzte Ork in die Ferne floh, war das Gras ringsum niedergetreten.
Die Gruppe stand schwer atmend beieinander, nur der Wind flüsterte weiter durch die Steppe.

„Streuner“, sagte Keldi.
„Aber nicht die Letzten.“

Sie zogen weiter, bis die Sonne versank, und schlugen im Schutz einer kleinen Bauminsel ihr Lager auf.


Tag 2 – Die Greifen

Am Mittag des zweiten Tages veränderte sich die Luft.
Kein Laut mehr.
Nur Wind – und dann ein Schatten, der über das Gras glitt.

Zwei Greifen landeten direkt auf dem Pfad, kaum dreißig Schritt vor ihnen.
Kräfte, halb Löwe, halb Adler, Flügel so breit, dass sie das Gras niederdrückten.

Sie fauchten, die Flügel gespreizt, der Blick wie blanker Stahl.
Keldi wollte vorgehen, den Hammer in der Hand –
doch ein einziger Flügelschlag drängte ihn zurück, so gewaltig, dass der Boden bebte.

„Nicht kämpfen,“ murmelte Althea.
Sie trat vor.
Mit leeren Händen.

Einer der Greifen beugte den Kopf herab, so dass sie den warmen Atem spüren konnte.
Die Welt stand still.

Dann – eine Stimme in ihrem Kopf, klar wie Glas:

„Wenn du den Weg willst, dann löse unser Rätsel.“

Und so stand sie da, im hohen Gras, Auge in Auge mit einem Greifen, und hörte sich die Frage an – uralt, einfach, aber nicht leicht.

Sie schloss die Augen, suchte den Faden der Antwort, und sprach schließlich leise.

Stille.

Dann neigte der Greif den Kopf.
Seine Flügel senkten sich, und er trat zur Seite.
Der andere folgte ihm, widerwillig, aber respektvoll.

„Geht“, sagte die Stimme noch einmal.
„Und behaltet euer Maß.“

Die Gruppe ging weiter, bis die Greifen nur noch Punkte im Meer der Gräser waren.


Tag 3 – Das Einhorn

Am dritten Tag, kurz bevor sich die Steppe zu senken begann und der Horizont das Glitzern des Einsiedlersees verriet, kam es still.

Ein Rascheln, dann ein silberner Schimmer zwischen den Halmen.
Ein Einhorn.

Es stand da, fast durchsichtig in der hellen Luft, das Horn wie geflochtenes Licht.
Als sie näher kamen, floh es erst –
dann, nach einem Zögern, kam es wieder.
Schritt für Schritt.

Althea trat vor, hob die Hand, ohne ein Wort.

Die Welt zog sich zurück.
Es war, als würden sie nicht mit Worten, sondern mit Bildern sprechen:
Eine Karte, zerbrochen, ein Teil, das es suchte.
Die Bitte um Hilfe.
Und das Versprechen, zurückzukehren, wenn der Teil gefunden war.

Dann wandte sich das Wesen um.
Ein Sprung, und es war verschwunden.
Nur der Wind rauschte weiter.

Die Gruppe stand still, bis das Zittern in ihren Herzen nachließ.


Abend des dritten Tages

Als die Sonne am Abend sank, wurde der Pfad weicher.
Die Steppe öffnete sich, und in einer weiten Mulde glitzerte Wasser:
Der Einsiedlersee, still, einsam, weit.

Drei Tage, zwei Nächte –
und die Steppe hatte ihnen gezeigt, dass sie nicht leer war.
Nur groß.
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#49
Unterwegs mit Zwergen #47
(Versatzstücke)

Der Abend senkte sich wie ein Schleier über die weite Ebene, als die Gruppe den letzten sanften Hügel hinabstieg.
Vor ihnen lag der Einsiedlersee – ein stilles, fast kreisrundes Wasser, das den letzten Glanz des Tages in fahlem Gold spiegelte.

Frösche quakten irgendwo am Schilfgürtel, Grillen strichen einen feinen Ton durch die Luft, und von fernher roch es nach feuchtem Holz und Rauch.
Das Licht wurde weich, der Himmel ein zarter Übergang aus Blau und Violett.

An der Stelle, wo der Pfad den See erreichte, stand eine einfache Hütte.
Aus groben Balken gebaut, aber mit fester Hand – das Dach mit Schindeln gedeckt, der Schornstein aus Stein gesetzt.
Ein dünner Rauchfaden stieg empor, der im Abendlicht fast silbern wirkte.

Neben der Hütte teilte sich der Boden zu weiteren Spuren:
ein Pfad, der ostwärts verschwand, vielleicht zurück ins Tal der Vrala;
ein anderer, schmaler, der weiter am Ufer entlangführte, als würde er den See umkreisen wollen.

Die Gruppe blieb stehen.
Nach drei Tagen Wind und endlosen Gräsern lag die Welt hier plötzlich still.
Kein Ork, kein Greif, kein Rätsel mehr.
Nur Wasser, das atmete, und das leise Versprechen einer Nacht, die endlich Ruhe versprach.

Furka zog den Kopf ein wenig ein.
„Da brennt jemand Feuer,“ murmelte er.

Keldi nickte langsam, ohne die Hand vom Hammer zu nehmen.
Althea aber sah auf den Rauch und dachte:
*Wer immer hier wohnt, hat beschlossen, sehr weit draußen zu leben.*

Dann traten sie näher an das Ufer.
Die Wellen flüsterten gegen die Steine, und der Tag war zu Ende.

Abend am Einsiedlersee.

Die Gruppe hatte sich von der Behausung des alten Mannes entfernt, um einen stilleren Platz für die Nacht zu finden.
Die Landzunge war kaum mehr als ein schmaler Ausläufer, der sich in den See schob – der Boden sandig, weich, wie ausgewaschen, mit wenigen niedrigen Büschen, die sich im Wind bogen.

Hier, näher am Wasser, war das hohe Gras der Orkschädelsteppe verschwunden. Stattdessen nur kurze, helle Halme, die kaum bis zu den Knöcheln reichten und im Abendlicht wie ein weicher Teppich wirkten.

Das Wasser des Sees lag still, nur manchmal zog eine kleine Welle heran, wenn ein Fisch an der Oberfläche schnappte. Aus den Schilfen drangen die Stimmen der Frösche, ein gleichmäßiges Quaken, durchzogen vom Zirpen der Grillen – eine monotone, aber friedliche Musik.

Die Zwerge saßen am Rand der Böschung, ihre Beine im Sand, während Althea ihren Umhang enger zog und ein paar Schritte allein zum Wassersaum machte. Der Himmel brannte noch von den letzten Resten der Sonne, aber schon schoben sich die ersten Sterne über den Rand der Steppe.

Archon hatte ein kleines Feuer vorbereitet, das in dieser offenen Weite nur wenig Licht gab, aber die Kälte fernhielt.
Hurdin warf einen Blick zurück, zur winzigen Rauchfahne der Hütte am anderen Ende der Bucht.
„Ein guter Ort“, murmelte er.

Keldi nickte, ohne den Blick vom See zu nehmen.
Furka schob ein paar Kieselsteine in den Sand, um eine Linie zu ziehen.
Althea stand noch immer da, ein dunkler Schatten gegen das spiegelnde Wasser.

Hier draußen, am Rand dieses großen, stillen Sees, schien die Stadt Phexcaer weit weg zu sein.
Und die Welt atmete anders. Langsamer.

Man hatte das Gefühl, dass die Nacht ihnen nicht feindlich begegnete. Nur zusah.
Und wartete.


Die Nacht über dem Einsiedlersee war von einer Ruhe, wie sie Althea lange nicht mehr gespürt hatte.
Kein Flackern von Stadtlichtern, kein Knarren von Holz, kein Rufen von Wachen.
Nur das Zirpen der Grillen, das leise Plätschern der Wellen gegen die schmale Sandböschung – und über ihr ein Sternenzelt, so weit, dass es sie fast verschluckte.

Sie lag auf dem Rücken, den Kopf auf den Wasserschlauch gebettet, den Umhang locker über die Schultern gezogen.
Das Feuer war heruntergebrannt, die Zwerge schliefen, in kleinen Hügeln verteilt, nur hin und wieder ein Schnaufen oder ein Rascheln, wenn sich einer drehte.

Altheas Blick hing am Himmel, doch ihre Gedanken waren weit darunter.
Kunchom. Die weißen Türme, die endlosen Märkte, der Geruch von Salz und Gewürzen.
Beilunk, kleiner, aber für sie immer der erste Aufbruch gewesen.
Wie weit das alles fort war.
Wie sehr sich der Weg seitdem verändert hatte.

„Wie bin ich hier gelandet?“ dachte sie und spürte im gleichen Moment, dass die Antwort nicht in den Sternen lag, sondern in jedem Schritt, den sie gegangen war.
Und dass dieser Weg – hier, an diesem stillen See, zwischen Gräsern und Dunkelheit – richtiger war als jeder Plan, den sie je entworfen hatte.

Eine Sternschnuppe zog lautlos über den Himmel, löschte sich über der Steppe.
Althea lächelte nur, drehte den Kopf leicht zur Seite, so dass ihr Blick über die Silhouetten der Zwerge glitt, die da in der Dunkelheit ruhten.
Und dann wieder hinauf, in diese endlose Weite, in der man sich verlieren konnte – oder finden.


Chronik: Die Umrundung des Einsiedlersees
(4.–11. Peraine 15 Hal)


Ankunft

Am Abend des 3. Tages erreichte die Gruppe den Einsiedlersee – erschöpft vom Marsch durch die weiten Gräser der Orkschädelsteppe, die sich bis zum Horizont wie ein grün-goldenes Meer wogen. Der See lag still da, in einen sanften Zwielichtschleier gehüllt, und nur das Quaken der Frösche und das Zirpen der Grillen brachen die Ruhe.

Eine schmale Rauchfahne stieg aus dem Kamin der Behausung des Einsiedlers am südwestlichen Ufer. Von dort führte der festgetretene Pfad weiter nach Osten, während nach Norden nichts mehr als die offene Steppe lag.

Nach einem einfachen Abendessen beim Einsiedler – Fisch, Wurzelgemüse und kräftiger Kräutertee – suchten sich die Gefährten einen Lagerplatz auf einer kleinen Landzunge, wo der Boden sandig wurde und Büsche den Wind brachen. Dort verbrachten sie eine ruhige, klare Nacht am Wasser.


Der See

Der Einsiedlersee war größer, als man zunächst glauben mochte. Eine Umrundung bedeutete Tage, nicht Stunden. Die Ufer waren unterschiedlich:

Im Westen offene, feste Steppe.
Im Norden ein gefährliches Sumpfgebiet, wo jeder Schritt ungewiss war.
Im Osten Quellbäche und Fischreichtum.
Im Süden niedrige Schilfflächen und grasige Böschungen.

Wege gab es keine. Man musste den Spuren der Tiere folgen, manchmal am Wasser entlang, manchmal zurück ins Grasland ausweichen.


Tag 1–2: Der Aufbruch und die Südufer

Die ersten beiden Tage führten die Gefährten entlang der West- und Südufer. Die Reise war anstrengend, aber frei von größeren Zwischenfällen.
Die Sonne stand hoch, der Wind fuhr durch die Steppe, und nur hin und wieder huschten Schatten – Vögel, ein Fuchs, weiter draußen vielleicht ein Rudel Wölfe.


Tag 3–5: Das Nordufer und der Sumpf

Am dritten Tag wurde das Gelände schwieriger. Je näher sie dem Nordufer kamen, desto feuchter wurde der Boden.

Am vierten Tag gerieten sie in die Tiefen des Sumpfes:

Tondar, stets der Vorausschauendste, musste mehrmals Umwege suchen, um nicht bis zur Hüfte im Morast zu versinken.
Furka hatte weniger Glück und verschwand mehrfach fast ganz im trügerischen Boden, wobei er ein paar Ausrüstungsstücke verlor.
Der Humor der Gefährten war ihm sicher:

  „Vielleicht sollten wir dich mit einem Seil am Gürtel führen, Bruder.“
  „Oder dich gleich ganz in Oberorken zurücklassen – da ist der Boden fest.“

Die Nächte hier waren feucht und kalt, das Feuer schwer am Brennen zu halten. Die Steppe zeigte sich von ihrer erbarmungslosen Seite.


Tag 6: Der Monolith

Gegen Mittag des sechsten Tages tauchte er aus dem Dunst auf:
Ein schwarzer Monolith, wie ein gewaltiger Zahn, der aus der Erde ragt.

Die Gefährten beschlossen, ihn zu erklimmen.

Hurdin und Keldi erklommen den Felsen mit erstaunlicher Kraft und Geschick.
Tondar brauchte zwei Anläufe, während Furka sich wieder Spott anhören musste:

  „Zuviel Bier im Winter, Bruder?“
  „Oder hat die Steppe dich zu weich gemacht?“
Althea stieg leichtfüßig empor, als gehörte der Fels ihr.
Archon musste am Ende mit vereinten Kräften hochgezogen werden.

Oben fanden sie, eingelassen in den Stein, ein Schwarzes Auge.
Wer hindurchblickte, spürte, wie die eigene Wahrnehmung sich weitete. Ein neues Verständnis der Welt schien sich zu öffnen – und mit ihm ein bleibendes Geschenk: Jeder gewann einen Punkt Intuition.


Die Botschaft des Auges

Während der Blick durch das Auge brannte, wurden Bilder sichtbar:

Die Pfade, die noch vor ihnen lagen.
Die Spuren Hyggeliks, die weiter nach Norden führten.
Und der Schatten einer wachsenden Gefahr aus dem Orkland.


Begegnung am Monolithen

Als sie den Monolithen hinter sich ließen, tauchte das Einhorn wieder auf.
Es hatte Althea bereits auf dem Weg zum See gefunden.
Diesmal kam es nahe heran, stellte den Huf auf den Boden und ließ ein weiteres Stück der Karte zu Hyggeliks Grab zurück, bevor es wieder verschwand.

Zwischen den beiden war es kein Gespräch, sondern etwas anderes – eine stille Gewissheit, die wie Tau auf der Haut lag.


Tage 7–8: Das Ostufer

Die restliche Umrundung führte sie am Ostufer entlang. Hier war das Land sanfter, die Steppe wich feuchten Wiesen und klaren Bächen.
Ein zweiter kleiner See, gespeist von Quellen, bot reichlich Fische – doch keine Gefahr.


Begegnungen und Kämpfe

Während der gesamten Woche begegneten sie kleinen Gruppen von Goblins, die meist schnell zerstreut wurden.
Kein einziger dieser Kämpfe hatte den Charakter einer Bedrohung – sie waren nur lästig wie die Mücken in der Steppe.


Rückkehr

Nach einer Woche schlossen sie die Runde um den See.
Müde, erschöpft, aber um ein wichtiges Wissen reicher, kehrten sie zur Behausung des Einsiedlers zurück.

Hier sammelten sie sich neu, bevor der Weg sie wieder gen Süden führen würde – zurück nach Oberorken.
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#50
Unterwegs mit Zwergen #48
(Versatzstücke)

Die Versammlung des Ältestenrats von Oberorken fand an diesem Abend in der großen Halle neben dem Ingerimmtempel statt. Das schwere Portal stand weit offen, um den frischen Wind hereinzulassen. Die Halle war schlicht, aber von einer stillen Würde erfüllt: steinerne Pfeiler, geschnitzte Wappen und über dem Feuerbecken der schwere Geruch von Rauch und Eisen.

Althea und Keldi standen nebeneinander, die Spuren der langen Reise noch nicht ganz aus den Kleidern verschwunden. Ihre Umhänge rochen nach Staub und kaltem Wind. Als die letzten Plätze eingenommen waren, herrschte eine aufmerksame, gespannte Ruhe.

Keldi war der erste, der das Wort ergriff. Seine Stimme hatte diesen tiefen Klang, der schon in der Stille etwas Gewicht mitbrachte:

„Wir sind zurück aus dem Orkland. Drei Wochen lang haben wir den Bodirstieg hinter uns gelassen, den Einsiedlersee umrundet, und auf dem Rückweg mussten wir uns den Weg freikämpfen. Das Land nördlich des Passes – ich sage es ohne Umschweife – gehört nicht mehr uns.“

Er ließ die Worte einen Moment im Raum hängen. Ein paar der älteren Zwerge beugten sich vor, die Stirn in Falten gelegt.

„Die Orks sammeln sich,“ fuhr er fort. „Nicht nur Banden. Wir haben Späher gesehen, die auf die Handelsstraße schauen. Große Feuer in den Hügeln. Sie sind nicht mehr vereinzelt. Sie warten.“

Dann sprach Althea. Anders als Keldi war ihre Stimme hell und klar, aber voller Nachdruck.

„Wir haben die Greifen gesehen, die das Land bewachen – und selbst sie warnen uns. Und die, die sich in die Steppe wagen, werden allein gelassen. Wenn ihr die Straßen nicht schützt, wird es bald keine Reisenden mehr geben, die den Bodir oder den Pass queren.“

Ein Murmeln ging durch den Rat. Menschen und Zwerge, die diesen Ort über Winter für sicher hielten, warfen sich Blicke zu.

Althea atmete einmal tief durch und hob dann die Hand, als wollte sie die Worte in eine Linie fassen:

„Wir haben mit eigenen Augen gesehen, wie sie sich bewegen. Wir sind auf Banden gestoßen, die nichts mehr mit den hungrigen Horden des letzten Winters zu tun hatten. Sie waren organisiert, wachsam, still. Wenn diese Strömung weiter nach Süden drängt, werden die ersten sein, die es zu spüren bekommen, die Händlerzüge zwischen Vilnheim, Felsteyn und Oberorken. Und wenn der Pass fällt, ist das Tor zu.“

Keldi nickte, verschränkt die Arme, dann spricht er mit dieser ruhigen Entschlossenheit, die er über den Winter bei den Ältesten gelernt hat:

„Es reicht nicht mehr, die paar Büttel auf den Straßen nach dem Rechten sehen zu lassen. Wir brauchen Patrouillen. Von Oberorken aus den Bodirstieg hinunter. Über die Handelsstraße bis Felsteyn. Wir brauchen Wachen an den Flussquerungen. Und wir brauchen Augen. Vielleicht können die Ottaskins für diesen Winter gewonnen werden – wenn die Thorwaler wachen, schlafen die Orks weniger ruhig.“

Ein alter Zwerg, Barid Eisenfaust, beugte sich nach vorn, seine gefurchte Stirn im Licht des Feuers scharf gezeichnet:

„Ihr redet wie Boten aus einer dunklen Zeit. Aber eure Worte tragen Gewicht. Wir werden uns beraten müssen, und das schnell.“

Eine Frau aus der Vorstadt, deren Stimme man selten in dieser Halle hörte, erhob sich zögerlich:

„Wenn sie wirklich kommen… was wird dann aus den Feldern? Aus unseren Kindern?“

Althea blickte zu ihr und sprach leiser, aber eindringlich:

„Darum sind wir zurückgekehrt, bevor der Pass unpassierbar wurde. Damit wir euch warnen können. Damit noch Zeit ist, Wachen zu rufen und Pläne zu schmieden. Die Stadt hat Winter überstanden – aber dieser Frühling riecht anders.“

Langsam breitete sich Schweigen aus.

Im Rauch des Feuers zogen die Schatten der Pfeiler lang über die Halle.
Man hörte nur das Knacken der Balken.

Keldi legte eine Hand auf den Tisch vor sich, seine Finger trommelten nicht, sie ruhten nur.

„Wir haben euch Berichte hinterlassen – jede Begegnung, jeden Späher, jede Spur haben wir festgehalten. Wir haben ein Bild gezeichnet. Jetzt müsst ihr handeln.“

Althea ließ ihren Blick über die Gesichter wandern. Viele davon hatte sie in den langen Winterabenden kennengelernt, als sie gemeinsam mit Keldi die Chroniken der Stadt zusammengetragen hatte.

Und vielleicht war das der Unterschied: Sie kannten sie jetzt. Sie wussten, dass ihre Worte nicht leichtfertig gesprochen waren.

Der Ältestenrat erhob sich nicht, er beschloss nichts sofort. Aber man spürte, dass diese Nacht länger dauern würde. Dass die Gespräche sich durch die Flure und in die Häuser ziehen würden.

Als Althea und Keldi die Halle verließen, war der Himmel klar. Über den Dächern von Oberorken spannte sich ein Bogen von Sternen. Und irgendwo im Norden lag die Steppe, unsichtbar hinter Bergen und Schnee – aber nicht mehr unsichtbar im Denken derer, die hier saßen.
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#51
Unterwegs mit Zwergen #49
(Versatzstücke)

Am Morgen des 3 Ingerimm verließen sie, ausgeruht und die Vorräte aufgefüllt, Oberorken nach Norden, Richtung Felsteyn.

Sie schritten kräftig aus, da sie wussten, dass sie Felsteyn in einem strammen Tagesmarsch erreichen konnten. Der Frühling hatte auch hier, als sie sich den Hjadlorbergen näherten, Einzug gehalten, der Schlamm des frühen Frühling bildete wieder den festgefahrenen Pfad an der Vrala entlang.

Sie erreichten Felsteyn am Abend, diesen Ort, der ihnen vertraut war. In der Mitte des Ortes der große Platz, auf dem sich die Wagenzüge für die Überquerung des Hjaldorpasses sammelten. Der Ingerimmtempel, Versammlungsort für wehrhafte Gruppen gen Norden. Der Rest des Ortes verstreute Häuser, die sich den feinen Kieshang zur Vrala, hier noch nicht schiffbar, hinunter zogen.

Nur, dass die Notwendigkeit zu Wehrhaftigkeit seitdem sie letzten Herbst hier gewesen waren, nachgelassen hatte...

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Die Überquerung des Hjaldorpasses verlief ereignislos. Auch Orkanger schien den Winter gut überstanden zu haben. Ein Gespräch mit den örtlichen Herbergsvater ergab, dass auf dieser Seite des Gebirges weniger Orks und anderes Gesindel gesichtet worden waren, als noch vor dem Winter.

Der Weg nach Clanegh hinunter war ein Karrenpfad, der durch die dichten Nadelwälder dieser Gegend führte, teils durch eingeschnittene Täler des Vorgebirges, aber stetig bergab. Als sie einem kleinen Bachlauf rasteten, fiel Tondar eine seltsame Fährte auf, die sie zu einer zerklüfteten Felformation führte ... und zur Höhle eines Tatzelwurms. Der Tatzelwurm und die Gruppe beäugten sich misstrauisch - unentschieden. Nach dieser Detour nächtigte die Gruppe wieder auf dem Pfad und erreichte Clanegh am nächsten Vormittag.

Clanegh ist, nicht unähnlich Orvil, ein lokales Zentrum, von dem aus eine solide Straße hinunter zum Golf führt. Nicht mehr Wildnis aber noch nicht Kulturland an der großen Hügelhette, die den letzte Gruß der Hjaldorberge darstellt. Alle Straßen führen auf den zentralen Platz am Travia Tempel zu, enge Häuserzeilen und emsiges Treiben. Nachdem die Gruppe sich orientiert hat, und in der Herberge Travias Segen, schräg gegenüber dem Travia Tempel, Quartier bezogen hat, fragten sie sich nach Treborn Kollberg durch, stellten aber fest, dass dieser hauptsächlich ein fahrender denn niedergelassener Händler ist. Furka zieht die Gruppe dann zur Taverne Clanegh-Bräu, deren Besitzer ein lokales Starkbier ausschenken. Dort verbringen sie den Nachmittag bis in den Abend hinein, bevor sie sich am nächsten Morgen auf den Weg nach Liskor machen, dem nächstgelegenen Hafen am Golf.

Die Straße nach Liskor ist gut befestigt, Morgens begleiten sie ein Stück einen Wagenzug, der mit Hölzern beladen auf dem Weg gen Küste ist, dann schreiten sie weiter aus. Hinter ihnen die letzte hohe Hügelkette, vor ihnen der Weg, der sich durch die Landschaft windet. Gegen Mittag liegt der letzte Wald hinter ihnen, das Land öffnet sich und da liegt er vor ihnen, der Haldingolf...

Sie blicken hinunter auf eine entfernte nahezu spiegelglatte Wasserfläche, die sich zum Horizont erstreckt, während sich die Küste zur linken und zur rechten gleich den Ufern einer gewaltigen Bucht als bläuliche Streifen wahrnehmen lässt. Das Land vor ihnen fällt zu sanften Ufern und dort vorne ist eine Ansiedlung erkennbar, Liskor, einer der Häfen am Golf. Die Gegend vor dem Städtchen ist von landwirtschaftlichen Flächen und kleinen Bauernhöfen geprägt, weit entfernt sieht man als winzige Punkte die kleinen Kutter von Fischern. Die Frühlingssonne in ihrem Rücken liegt über der Szenerie, das Land scheint nach mehreren Monaten Inland, im Gebirge und Steppe aufzuatmen...

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Liskor, an der See gelegen, nach außen hin durch seine Häuserzeilen begrenzt, aber voll offener Bewohner. Auch wenn das Zentrum des Ortes der Hafen ist, liegt in der Ortsmitte ein großer offener Platz, sicher für Warenverkehr aus dem Inland und den regelmäßigen Markt, aber auch für Versammlungen und Feste. An der Thossel, der die Gruppe schon bei Thoss weit landeinwärts gefolgt ist, zieht sich eine Zeile feinerer Häuser entlang, die von der Wichtigkeit der Häfen für den Handel am Hjaldingolf zeugen.

Sie mussten in Liskor einen Tag warten, bis sie ein Schiff nach Vidsand fanden. Althea, begleitet von Hurdin und Archon, fand sich zur Abendstunde im etwas gesetzteren "Einhorn" ein, wo sie eine mystische Interpretation ihrer Begegnung mit dem Einhorn vortrug. Furka, Keldi und Tondar besuchten bei Einbruch der Nacht den gut frequentierten "Seligen Zecher". Furka nahm den Seeleuten ihre Heuer ab, während Keldi und Tondar sich eher erfolglos nach Schiffspassagen erkundigten...

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Vidsand ist ein Beispiel dafür, wie sehr eine Ottaskin wachsen kann. Die ehemalige Umfriedung aus Wehrhäusern im Ort ist nicht zu übersehen, allerdings hat der Hafen den südlichen Bereich des Ortes übernommen, wo neben Lagerhäisern auch ein Werftbetrieb besteht. Östlich davon liegt ein Holzplatz, der von den Wäldern des Landesinneren gespeist wird.

Vidsand ist einer dieser seltenen Momente, in dem Altheas Charme versagte, aber vielleicht liegt es auch an der sehr industriellen Natur des Hafengeländes, oder der überfüllten Kneipe - zumindest Furka hat einen guten Schnitt gemacht...

Am nächsten Tag orientierten sie sich Richtung der Wohngegend, und kehrten gegen Nachmittag in einer der hintersten Ecken des Ortes in eine Taverne ein, die die nicht seefahrenden Anwohner bediente. Hier bekamen sie ihre Information über Ragna Firunjasdotter, und gerade, als die letzten Strahlen der Sonne den Horizont Rosa färbten, klopften sie an einem Haus auf der Seeseite an...

Ragna Firunjasdotter ist eine junge Frau mit wilden blonden Haaren, der Inbegriff thorwalschen Lebens. Sie ist ein Quell des Wissens, aber bestimmt. Sie verfügt über ein Kartenstück, dass sich bei Vergleich als das des Einhorns herausstellt. Danach bittet sie die Gruppe aus dem Haus.

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Den Hafen Tjanset teilen sich Fischer und Händler, die Waren aus dem und für das Landesinnere transportieren. Tjanset ist einfacher und deutlich pragmatischer aufgestellt als Liskor. Ein kleiner geschäftiger Hafen, primär als Umschlagsplatz für Waren, mit Landwegen zu allen umliegenden Orten. Tjanset ist eher ein Durchreisepunkt als ein Ort, an dem man bleibt.

Eine Durchgangsstation, sie begeben sich durch die Dunkelheit von Hafen hinüber zur Herberge Bei Brin (war das nicht der Sohn des Kaisers?), als Furka durch das öffnen und den Lichtkegel einer Tavernentür abgelenkt wird. Schon verschwindet die Hand zu seinen Spielwürfeln in der Tasche, Althea dreht die Augen zum Himmel, Hurdin grinst trocken und folgt Furka, während der Rest der Gruppe den Gastraum betritt... Furka, gefolgt von Hurdin betritt die nächtliche Taverne, die nur noch spärlich besucht ist, und während Furka sich zu einem Spielchen mit späten Schauerleuten neidersetzt, nimmt Hurdin an einem Tisch in Nähe der Bar Platz, bestellt ein Bier und behält Furka im Auge... Ein spätes Essen und kurze eintönige Unterhaltung mit einem übermäßig begeisterten späten Zecher, dann unterbricht Hurdin Furkas nächste Partie und die beiden begeben sich hinüber zur HErberge, wo die anderen bereits schlafen...

Der Morgen in Tjanset war klar.
Ein dünner Dunst lag über dem Golf, der im frühen Licht silbrig schimmerte. Die Luft roch nach Tau und Seetang, nach frischer Bewegung – nach Aufbruch. Während Händler begannen, ihre Waren auf Karren zu laden, durchquerten sechs Reisende die schmalen Gassen zum Hafen:
Althea vornweg, mit kühler Entschlossenheit, Furka hinter ihr, gähnend, aber wachsam. Die Armbrüste der Zwerge glitzerten matt im Licht. Keldi zog seine Kapuze tiefer. Hurdin schulterte seine Tasche, ohne ein Wort. Archon ging mit gesenktem Blick, den Geruch des Hafens prüfend. Tondar musterte derweil routiniert die Seile, Taue, Luken, Männer.

Ein schlanker, schneller Kauffahrer lag vertäut am Steg, die Segel bereits gerefft, die Ladung festgezurrt. Kein Prunk, kein Kriegsschmuck – nur festes Holz, Seil und Segel, dazu das gedämpfte Rufen der Mannschaft.

Der Kapitän, ein hagerer Mann mit grauem Bart und wettergegerbtem Gesicht, musterte die Gruppe nur kurz, dann wies er mit einem Rucken seines Kopfes auf das Deck. „Fahrt für heute nach Overthorn. Kein Komfort. Aber sie läuft wie der Wind.“

Sie zahlten den Preis, verstauten ihr Gepäck zwischen Fässern mit Salzfisch und Ballen mit Leinen, und fanden sich als Passagiere zwischen Händlern, zwei Seeleuten und einem schweigsamen Jäger wieder.

Das Schiff glitt aus dem Hafen, nahm Fahrt auf. Der Wind griff in die Segel, und die Planken ächzten leise, als das Meer sie aufnahm. Anders als bei den knarrenden Küstenkuttern spürte man sofort: Dieses Schiff war gebaut, um Strecke zu machen.

Die Zwerge wirkten ungewohnt ruhig. Hurdin lehnte am Schanzkleid, das Meer im Blick. Tondar überprüfte zum dritten Mal seine Bolzen, ohne dass Gefahr drohte. Furka ließ die Würfel in der Hand rollen, ohne sie zu werfen. Archon rauchte schweigend, der Blick verloren im Abendlicht.

Althea stand einmal mehr am Bug, die Harfe auf dem Rücken, den Stab in der Hand, den Blick auf den Horizont gerichtet. Der Wind spielte mit ihrem Haar, und das Licht der untergehenden Sonne legte einen goldenen Schimmer auf die Wellen.

So verging die Fahrt: kein Nebel, keine Bedrohung, nur der Rhythmus des Meeres, der Geruch von Salz und Teer, und das Gefühl, dass die Küste des Westens näher rückte.

In Overthorn eilte die Mannschaft geschäftig an Land, und die Reisenden folgten. Ein neuer Ort, neue Wege. Die nächste Etappe ihres Weges hatte begonnen.
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#52
Unterwegs mit Zwergen #50
(Versatzstücke)

Nach Tjanset ist Overthorn eine Offenbarung. Einer der größten Häfen am Golf, an der'Spitze des Golfes', liegt Oberthorn auf einer hohen Klippe, nur über See erreichbar, aber einer der wichtigsten Haltepunkte für Schiffe, die weiter in den Norden Thorwals unterwegs sind. Vom großen Hafen aus, am Fuß der Klippe gelegen, windet sich ein steiler Weg im Zickzack die Felswand empor, auf beiden Seiten von Lagerhäusern, Kontoren und Wohnhäusern gesäumt. Das Plateau erreicht, befindet man sich im Hauptteil des Ortes. Lange Häuserzeilen, die dem Rand der Klippe folgen und ein paar weitere Häuser, die den Hang hinauf gebaut sind. Von hier aus genießt man einen hervorragenden Blick hinunter zum Hafen, auf die schimmernden Wellen und über das Wasser des Golfes. Nach Nordwesten am Horizont ist die Insel Manrek zu erahnen.

Dieser Ort schläft nie. Geschäftigkeit am Hafen. Reger Verkehr den Weg die Klippe hinauf. Die Gruppe hingegen muss nach Manrek hinüber. Nach Brendhil, oder nach Manrin...

Bei Ankunft gab es keine anschließende Passage nach Manrek. Die Gruppe übernachtete im Hafenviertel, aber auch am nächsten Morgen war kein Schiff zu finden, das sie übersetzten konnte. Sie verbrachten den Tag in der Stadt, erklommen den Weg die Klippe hinauf, blickten hinab auf die Schiffe, weit entfernt. Zwei Tempel standen sich gegenüber, jeweils am Rande des Plateaus. Über dem Meer stand der Swafnirtempel, zur Klippe hin offen, Stufen führten hinunter zu einem Absatz der Wind und Wetter ausgeliefert war. Auf der anderen Seite, über dem Abfall zum Land trohnte ein Rondratempel, Banner im Wind, der die Bedeutung Overthorns für die Kriegslangschiffe betonte. Nachdem sie sich "genug Wind um die Nase" hatten wehen lassen, wie Keldi sagte, begaben sie sich wieder hinunter. Althea besuchte einige der Kontore, um nach Nachrichten zu fragen, die Zwerge besuchten den "Tuzaker", der eine beachtliche Sammlung an Waffen aus allen Teilen Aventuriens führte. Am Nachmittag trafen sie sich im "Füllhorn", am Hafen. Der Abend brachte ihnen dann endlich eine Passage nach Manrek, nach Manrin, für den nächsten Morgen...


Overthorn, am Nachmittag.
Die Sonne steht hoch, doch ein feiner Wind weht vom Meer herauf und nimmt dem Tag seine Schwere. Die Klippenstraße, die sich vom Plateau zur Hafenebene hinabschlängelt, ist heute belebt, aber nicht hektisch. Inmitten der Geräusche – das Rufen von Hafenarbeitern, das Quietschen von Wagen, das Geklapper von Holz und Metall – geht die Gruppe ihrer Wege.

Althea

Althea geht mit aufrechtem Gang die Stufen der oberen Kaufmannsgasse entlang. Ihr wallender Umhang flattert leicht, das Licht tanzt auf ihrem bronzenen Stirnreif. Zwischen den Kontoren gleitet sie mit einer Mischung aus höflicher Neugier und selbstbewusster Ruhe.

Die Kontore hier sind keine Marktbuden, sondern solide, steinerne Häuser mit geschnitzten Holztüren, schweren Eisenbeschlägen und Fenstern, hinter denen Notare, Schreiber und Händler ihrer Arbeit nachgehen. In jedem wird sie anders empfangen: freundlich, reserviert, neugierig, misstrauisch.

Doch Althea weiß, wie man redet – und wie man zuhört.
Sie fragt nach Schiffen, nach dem Wetter, nach den Preisen für Zimt und Eisen – und nebenbei auch nach Nachrichten aus dem Norden, der Insel Manrek, dem Festland. Sie zahlt keine Münze, aber gewinnt trotzdem – durch Präsenz, durch Sorgfalt, durch ein Lächeln an der richtigen Stelle.
Ein alter Händler, dessen Bart bis auf die Brust reicht, schenkt ihr einen Tee aus einer kleinen, verzierten Kanne.

Sie geht weiter, lässt nichts Greifbares zurück – und doch bleibt ihr Eindruck.

Furka, Keldi, Tondar und Hurdin

Ein paar Gassen weiter, etwas unterhalb der Kontore, betreten die vier Zwerge einen breiten Bau mit offenem Tor und metallenen Schildern. Die Schmiede „Tuzaker“ – ein Name, der in den Tavernen des Nordens mit respektvollem Nicken bedacht wird.

Drinnen: Waffen, soweit das Auge reicht.

Nicht in Haufen, nicht als Trophäen – sondern geordnet. An Wänden, auf Tischen, in verschlossenen Glasvitrinen. Breitschwerter, Thorwaler Äxte, tulamidische Krummsäbel, gar eine Aranische Panzerlanze. Die Zwerge gehen langsam. Sie sprechen kaum, aber ihre Augen sind wachsam, prüfend.

Furka hebt eine Klingenfassung an, dreht sie mit zwei Fingern, prüft den Schwerpunkt.
Keldi murmelt etwas über "billigen Schaft", woraufhin der Händler persönlich herbeikommt – und eine lebhafte, aber respektvolle Diskussion beginnt.
Tondar verschwindet beinahe in einer Wand von Armbrüsten, während Hurdin sich eingehend mit einer ungewöhnlichen Waffe beschäftigt: einem zweiläufigen Bolzenwerfer aus Andergast.

Sie kaufen wenig – vielleicht gar nichts. Aber ihre Art zu prüfen und zu vergleichen wirkt wie ein zeremonieller Tanz. Der Händler beobachtet das Ganze mit einem zufriedenen Lächeln. Dies sind Kundige, keine Touristen.

Archon

Archon war kurz mit hineingegangen, hatte sich jedoch schnell wieder abgesetzt. Die Welt aus Stahl und Rauch ist nicht seine.

Er wandert ziellos durch die Straßen, folgt nicht der Klippe oder den Händlern – sondern dem Wind, den Gerüchen, den Stimmen. Er bleibt stehen bei einem Straßenmusiker, hört kurz zu. Kauft sich eine kleine Flasche mit einem goldenen Elixier, das „gegen alles hilft“. Lächelt.

Dann steigt er hinab zum Hafen und betritt schon am frühen Nachmittag das Füllhorn. Die Taverne ist noch leer. Zwei Seeleute schlafen in einer Ecke, die Wirtin nickt ihm müde zu.

Er nimmt am Fenster Platz, von wo aus man den unteren Kai überblickt.
Bestellt Wein. Nicht, weil er Durst hat – sondern weil es passt.
Er schaut auf das Wasser hinaus, auf die Schiffe – und auf das Leben.


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Marin ist wie Overthorn ein beliebter Haltepunkt auf dem Weg in den Norden. Im Gegensatz zu Overthorns kriegerischem Unterton, ist Manrek aber durch und durch dem Handel verschrieben. Es heisst, dass hier auch Schiffsladungen umgesetzt werden können, deren vorgeriger Besitzer diese vielleicht nicht ganz freiwillig hergegeben habe. Wenn es sich lohnt zumindest... Und lohnen tut es sich, da, was ein Schiff ablädt schnell vom nächsten benötigt wird. Jetzt ist Manrin aber keine Stadt, in der rohe Gestalten über den Marktplatz flanieren, es ist eher so, dass hier Warenpapiere und Ladelisten gerne einmal unter den Tisch fallen. Die Stadt ist offen gebaut, seitens des Hafen zieht sich der Sandstrand, der an der gesamten Südwestküste Manreks vorherrscht, die Häuser dort sind bis an den Sand gebaut. Weiter landeinwärts gehen die Dünen aber in bewachsenes Grasland über, und noch weiter gibt es sogar Kulturflächen und dichten Wald.

Manrin – ein Ort mit Sand in den Gassen und Silber auf der Zunge.

Am Kai wird gerufen, gelacht, gefeilscht – und manchmal dabei ganz nebenbei eine ganze Schiffsladung verschoben. Männer mit wettergegerbten Gesichtern tauschen Warenlisten wie andere Leute Spielkarten, und niemand schaut zweimal hin, wenn auf einem Fass plötzlich ein neuer Absender steht. „Hat sich wohl jemand umentschieden“, heißt es dann, und der Karren rollt weiter.

Die Häuser reichen bis in den Sand, weiß gekalkt, mit bunten Fensterläden und flatternden Stoffbahnen, die den salzigen Wind bremsen sollen. Kinder spielen am Rand der Docks, Händler bieten Fisch, Tuch und Gewürze feil – aber keiner bleibt stehen, wenn nicht auch ein Geschäft dahintersteht. Herzlichkeit, ja – aber zweckmäßig.

Im Hintergrund heben sich die Dünen. Weiter im Landesinneren beginnen gepflegte Felder, Weiden, und schließlich ein stiller, dunkler Wald. Auch dort wird gehandelt – mit Jagdgut, Holz, Geschichten.

Manrin lebt vom Fluss – nicht nur des Wassers, sondern auch des Goldes, der Gerüchte, der kleinen Gelegenheiten.
Nichts wird hier unnötig verkompliziert. Und manches wird gern übersehen – solange man dabei lächelt.

Ein Ort, an dem fast jeder alles hat – oder weiß, wer es hat.
Und wo ein zwinkernder Blick oft mehr wert ist als ein Vertrag mit Siegel.

Manrin in der Nachmittagssonne

Wenn der Tag sich neigt und die Sonne golden durch die kleinen Butzenscheiben fällt, wirkt Manrin wie ein Ort aus einer anderen Zeit – oder vielleicht einfach wie der Ort, an dem die Zeit ein wenig langsamer vergeht.

Am Hafen klingt das Stimmengewirr ab. Die schweren Arbeiten sind getan, die Schiffe entladen, die Lademeister haben ihre Bücher geschlossen – oder zumindest unter dem Tisch verschwinden lassen. Jetzt sitzt man beisammen, mit einem Glas Obstwein oder einer Schale dampfender Fischsuppe, redet leise, lacht viel – und lässt den Wind durch offene Türen wehen.

Die schmalen Gassen führen hinab zum Strand, wo das Leben sanfter pulsiert. Der Sand ist warm von der Sonne, die Wellen lecken gemächlich an den Booten, und wer barfuß dort sitzt, spürt, wie das Meer das Land küsst. Kinder jagen Möwen, ein alter Seemann spielt auf seiner Flöte, und über allem liegt das salzige, würzige Aroma des späten Nachmittags – ein Duft aus Tang, Teer und Sonnenöl.

Hier ist der Handel nicht laut, sondern ein Tanz. Jeder kennt seinen Schritt. Jeder weiß, wann man schweigt – und wann man zwinkert.


Nach einem Nachmittag auf dem zentralen Markt von Manrin begibt sich die Gruppe zur Taverne Sturztrinker, "ein Geheimtipp", wie Furka wissen will. Die Taverne liegt am östlichen Stadtrand, direkt vor den Dünen. Die Nachmittagssonne scheint durch die halb geöffnete Tür, die eine leichte Brise hineinlässt, als die Gruppe sich an einem Tisch an der Fensterfront niederlässt. Es sind nur wenige Gäste anwesend, und die Gruppe sitzt andächtig bei einem Bier. Althea spricht mit dem Wirt und fragt nach Tiomar Swafnildsson. Nachdem der Wirt den Kopf geschüttelt hat und sich wieder zur Theke begibt, schiebt ein anderer Gast seinen Stuhl zurück und kommt auf dem Tisch der Gruppe zu...

Die Tür des *Sturztrinkers* knarrt leise im Wind, während der Wirt mit einer Bewegung, die zugleich routiniert und desinteressiert wirkt, das Glas unter der Theke absetzt. Altheas Frage ist bereits im Raum verhallt, das Kopfschütteln des Wirts eine stumme Antwort.

Doch bevor sich das Gespräch am Tisch wieder der eigenen Runde zuwenden kann, schiebt einer der Gäste seinen Stuhl zurück. Das Geräusch ist nicht laut, aber bestimmt genug, um Aufmerksamkeit zu ziehen.

Erwo von Gollbrinck bleibt kurz neben dem Tisch stehen, als prüfe er den Klang der Stimmen, bevor er selbst den Faden aufnimmt.
„Tiomar Swafnildsson, sagtet ihr?“ Seine Stimme ist warm, aber mit einem Unterton, der den Ernst mitschwingen lässt.
Er mustert die Runde – und es ist mehr als Neugier: ein prüfender Blick, der nicht nur die Gesichter, sondern die Haltung und das Schweigen dazwischen liest.

„Ich kannte ihn.“ Die Betonung auf *kannte* verrät, dass da eine Geschichte liegt, aber er zieht sie nicht sofort hervor. Stattdessen schiebt er sich mit der Selbstverständlichkeit eines Mannes, der das Reisen gewöhnt ist, auf die Bank am Tischende.

„Man sagt, Manrin ist ein Ort, an dem sich Wege kreuzen. Das stimmt. Manche kreuzen sich, und dann… verlieren sie sich. Tiomar, Umbrik, Beorn… wir haben ein Stück dieses Golfs gemeinsam gesehen. Bis es eben nicht mehr ging.“

Er lächelt, nicht breit, eher wie jemand, der gerade einen alten Wein probiert und feststellt, dass er immer noch einen guten Abgang hat. „Und jetzt sitze ich hier, trinke Bier, und höre den Namen eines alten Gefährten, als wäre er gerade in den Raum getreten.“

Erwo lehnt sich zurück, sein Blick wandert kurz zum Fenster, hinaus zu den Dünen. „Wenn ihr ihn sucht, dann führt euch der Weg wohl nach Brendhil. Das ist eine Strecke, die sich zu zweit oder dritt… oder eben mit einer Handvoll Zwerge leichter gehen lässt. Ich könnte euch begleiten. Nicht, weil ich muss. Sondern weil man im Alter die besseren Geschichten erzählt, wenn man sie unterwegs erzählt.“

Er sieht nacheinander jeden an, sein Blick verweilt einen Herzschlag länger auf Althea. Dann hebt er den Krug und trinkt. Keine übertriebene Geste, nur eine stille Zusage, dass das Gespräch noch nicht zu Ende ist – und dass die Reise vielleicht gerade begonnen hat.

Der *Sturztrinker* leert sich langsam, während draußen das Gold der späten Sonne in ein tiefes Kupfer übergeht. Der Wirt wischt noch einmal die Theke ab, und die wenigen Stimmen im Raum werden leiser, wie von selbst. Die Gruppe erhebt sich schließlich, bezahlt, und tritt hinaus in den milden Abend, der vom Duft nach Salz und warmem Sand getragen wird.

Der Weg hinunter zum Hafen ist ruhig, nur das leise Rufen eines Möwenpaares und das ferne Klirren von Tauen an Masten begleitet sie. In der Herberge, deren Fenster zum Wasser hinausgehen, knarrt das Holz unter ihren Schritten.

Oben, in einem schlichten, aber sauberen Gemeinschaftsraum, zieht Erwo sein Gepäck näher zu sich heran. Er öffnet es ohne Hast – und fördert, fast feierlich, eine Weinflasche zutage, deren Glas im Kerzenlicht matt schimmert und von einer dünnen Staubschicht bedeckt ist.

„Hat mich über mehr als eine Reise begleitet,“ sagt er, als er sie in die Mitte des Tisches stellt.

Archon lehnt sich vor, prüft das Etikett – soweit es noch zu erkennen ist – und lässt ein zustimmendes, tiefes Schnalzen hören. „Das ist kein Zufallsfund,“ murmelt er, als wäre er kurz wieder in einer anderen Zeit.

Die Korken klingen beim Ziehen gedämpft, der Wein fließt in einfache Keramikbecher, doch sein Duft ist unerwartet voll. Man trinkt in kleinen Schlucken, redet leiser, und es liegt eine Wärme im Raum, die weniger vom Alkohol kommt, sondern von dem unausgesprochenen Gefühl, dass aus Fremden in diesem Moment Gefährten geworden sind.

Draußen schlägt eine Welle an den Kai. Drinnen brennen die Kerzen noch lange.
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#53
Unterwegs mit Zwergen #51
(Versatzstücke)

Der Pfad entlang der Küste war schon schmal genug gewesen, dass sich die Zwerge hintereinander einreihen mussten, und das salzige Rauschen der Brandung war zum stetigen Begleiter geworden.

Als Tondar die Fährte entdeckte – ein kaum sichtbares Zusammenspiel aus zerdrücktem Gras, einem abgebrochenen Zweig und einem Abdruck im feuchten Sandboden – kniete er sich wortlos hin, strich mit den Fingern darüber, und nickte dann nur knapp. „Da ist jemand lang. Nicht vor Stunden, eher vor Tagen.“

Die Spur führte in ein dichtes Gebüsch, das so unscheinbar war, dass es jeder Wanderer übersehen hätte. Dahinter, ein paar Schritte weiter, lag der wahre Fund: ein zweiter Vorhang aus Dornengestrüpp, dahinter ein dunkler Spalt im Fels. Keldi hielt inne, schob einen Ast zur Seite – und die Höhle öffnete sich wie ein heimlicher Atemzug des Gesteins.

„Das…“, sagte Furka und verzog den Mund zu einem anerkennenden Grinsen, „…müsste der bestversteckte Höhleneingang des Landes sein.“

Das Meer war hier nur noch ein ferner Klang, gedämpft durch das Laub. Die Dunkelheit im Inneren roch nach altem Salz, feuchtem Stein und etwas, das vielleicht Öl oder Teer war. Ein Ort, an dem Stimmen nicht laut werden durften.

Archon prüfte den Schatten mit einem Blick, der eher zählte als suchte, und Althea legte die Hand fester um den Stab.
„Wir wissen, was wir hier finden könnten,“ sagte sie leise.
„Piraten,“ ergänzte Hurdin nüchtern. „Oder das, was von ihnen übrig ist.“

Und so standen sie für einen Moment vor dem Spalt – und die Luft schien ein wenig kühler zu werden, als der erste Schritt ins Innere anstand.


Als sie den verborgenen Pfad hinunter zum Küstenstreifen zurückgehen, riecht die Luft nach Salz und Tang – ein fast zu harmloser Kontrast zu dem, was sie in der Tiefe hinter sich gelassen haben.

Die Sonne steht schon tiefer, wirft lange, goldene Streifen aufs Wasser. Fell- und Lederstücke sind verschwitzt und verschrammt, Metall glänzt matt von eingetrocknetem Salzwasser.

Die Taschen und Rucksäcke sind schwer von erbeuteten Münzen, Schmuckstücken und merkwürdigen, in Tücher gewickelten Artefakten. An den Gesichtern klebt Staub, aber die Augen – besonders Furkas und Altheas – blitzen vom Adrenalin und von der Gier, die gerade noch in einer Mischung aus Gefahr und Entdeckung geschürt wurde.

Erwo läuft hinter der Gruppe und schüttelt leise den Kopf, halb belustigt, halb anerkennend. „Nicht schlecht, für Festlandgeher,“ murmelt er – und Archon schnaubt, ohne sich umzudrehen.

Oben auf der Kuppe halten sie kurz an. Hinter ihnen verschwindet der Höhleneingang wieder unter dichtem Gebüsch, als hätte es ihn nie gegeben. Vor ihnen liegt der Blick auf die offene See – und auf die Route nach Brendhil.

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Sie erreichen Brendhil, als die Sonne gerade hinter Ihnen unter dem Horizont verschwindet. Brendhil ist eine Ottaskin, wie sie im Buche steht. Ein Ring an Häusern, die einen großen Platz umschließt. Zur See hin ein kleiner Anleger und ein landwärtiger Eingang. Der Ort ist, wie so viele Ottaskins, bereits von einem Wehrdorf in eine etwas gemütlichere Siedlung übergegangen. Der zentrale Platz ist weit und sauber.


Sie treten durch den schmalen, mit geschnitzten Pfosten markierten Landzugang, und der Blick öffnet sich auf Brendhil. Die untergehende Sonne liegt wie flüssiges Kupfer auf den Dächern, und das Licht fängt sich in den geschnitzten Giebeln der Häuser, die den weiten Platz umstehen.

Holz und Torf, mit sorgfältig gepflegten Schnitzmustern und wettergegerbten Farben – keine Prunkbauten, aber jede Wand erzählt von jahrelanger Pflege.

Der Platz selbst ist ungewöhnlich breit, fast schon ein Vorhof für die Gemeinschaft: glattgefegt, mit ein paar verstreuten Bänken und einer Feuerstelle in der Mitte, über der gerade ein Kessel hängt. Der Geruch von Fischsuppe mischt sich mit dem rauchigen Atem des Holzfeuers.

Zum Meer hin fällt der Blick auf den kleinen Anleger – kaum mehr als ein Holzsteg mit zwei Dalben – und darüber hinaus auf das spiegelnde Wasser, in dem die Sonne gerade versinkt.

Hier herrscht keine Hektik, nur das ruhige, sichere Treiben eines Ortes, der weiß, wer er ist.


Erwo führt sie zugleich zu einem Haus direkt hinter dem landwärtigen Ortseingang. 'Tiomar Swafnildsson' steht auf einem kleinen Schild. Erwo wirkt etwas nervös, als Althea anklopft.


Die Tür öffnete sich einen Spalt – dann ganz. Ein breitschultriger Mann, Anfang fünfzig, kurze graue Zöpfe an den Schläfen, ein altes Schwertgurt-Leder über der Tunika. Die Augen prüfend, nicht unfreundlich.

„Tiomar Swafnildsson?“, fragte Althea.

„Bin ich.“ Sein Blick wanderte über Erwo – blieb einen Herzschlag zu lang hängen – und ging dann zur Gruppe zurück. „Kommt rein. Nicht im Durchzug reden.“

Drinnen roch es nach Pech und Salz, nach Fischleder und Herdfeuer. Die Stube war einfach: Tisch, Bänke, ein paar sauber gefettete Waffen an der Wand, ein geschnitzter Swafnir am Fensterbalken. Erwo blieb eine halbe Armlänge hinter Althea, als würde er den Fluchtweg im Blick behalten.

Althea legte den versiegelten Brief auf den Tisch. „Von Umbrik.“

Tiomar sah das Siegel, und etwas in seinen Zügen wurde weicher. Er setzte sich, brach das Wachs, las schweigend. Zweimal. Beim zweiten Mal verzog sich sein Mundwinkel wie ein kaum sichtbares Lächeln.

„Er schreibt noch immer wie ein Gelehrter, der zu viel Wind um die Ohren hatte,“ murmelte er. Dann zu Althea: „Er vertraut euch. Das reicht mir.“

Er klopfte auf die Tischplatte. „Setzt euch.“

Keldi stellte die Reisäxte neben die Bank, die Zwerge rückten zusammen, Archon blieb mit dem Rücken zur Wand, so wie immer. Erwo setzte sich zuletzt, die Hände offen auf dem Tisch. „Tiomar.“

„Erwo.“ Ein knappes Nicken, mehr nicht. Zwischen ihnen hing etwas Undefiniertes in der Luft – nicht kalt, nicht warm. Eher: ungeklärt.

Althea holte den Faden: „Wir sind Hyggelik auf der Spur. Karte, Verwandtschaft, Spuren. Ihr kennt Namen, Wege. Und—“ sie deutete auf den Brief „—Umbrik meint, ihr hättet ein Stück verwahrt.“

Tiomar hob eine Kiste unter dem Bett hervor, löste den Riemen. Darin Leinensäckchen, ordentlich verschnürt, ein Bündel Kartenfetzen in Ölpapier. Er legte eines frei: altes Pergament auf dünnes Leder aufgezogen, an einer Seite eine gezackte Bruchkante. In der Ecke eine eingeritzte Rune und ein Strich wie eine gezackte Küstenlinie.

„Hyggelik hat die Karte geteilt, als die Orks anfingen, den Golf enger zu machen,“ sagte Tiomar ruhig. „Nicht in gleich große Stücke, und nicht an die Lautesten verteilt. Ein Teil ging nach Prem – zu einem Namen, den ihr dort leichter hört, wenn ihr erst zu den Bootsbauern geht und nicht in die Hallen. Ein anderer Teil ist in Thorwal geblieben, tiefer in den Werften als in den Tavernen. Dies hier—“ er tippte mit dem Daumen auf das Pergament „—lag bei mir, seit… damals.“

„Warum bei dir?“ fragte Hurdin.

Tiomar sah kurz zu Erwo, dann weg. „Weil ich versprochen habe, es keinem zu geben, der nicht weiß, was’s kostet, sowas zu suchen.“

Er schob das Fragment zu Althea. Sie hob es mit beiden Händen an, wie man etwas anhebt, das mehr wiegt als es aussieht. Die Zackenlinie und die Rune passten in ihr inneres Bild – sie nickte knapp. Tondar hielt schon die anderen Fetzen bereit; Keldi brummte anerkennend, als die Bruchkanten sich „richtig“ zueinander verhielten.

„Was wisst ihr über Hyggeliks Verwandte?“ fragte Archon.

„Weniger als ich gern wüsste,“ sagte Tiomar. „Eine Schwester, die an die Westküste geheiratet hat – dort werdet ihr später hinmüssen, wenn ihr’s ernst meint. Ein Neffe, der zur See ging und in Prem nur noch als Handzeichen in alten Ladebüchern auftaucht. Kein ruhmreiches Haus, kein Banner. Eher einzelne Namen in den Ritzen der Stadt.“

Er stand auf, ging zum Bord, holte eine Tonflasche. „Premer Feuer. Nicht das beste, aber das ehrlichste.“

„Ehrlich genug,“ meinte Erwo trocken. „Für heute.“

Die Stunden wurden rund. Geschichten rutschten aus den Jahren: ein Sturm vor Liskor, eine falsche Karte, die sie fast auf die Steine gesetzt hätte, Umbrik, der mit drei Worten eine Schlägerei erstickte, Beorn, der eine rettete und zwei verlor, weil Entscheidungen nie gerecht sind. Es wurde nicht prahlerisch. Eher sparsam, mit diesen Lücken, die mehr sagen als ausgeschmückte Siege.

Einmal blieb es still, länger als bequem. Erwo sah Tiomar an. „Damals.“

„Nicht heute,“ sagte Tiomar. Kein Gift in der Stimme. Nur eine Grenze. Erwo nickte. „Nicht heute.“

Als die Flasche leer war und der Ofen nur noch warm, erhob sich die Gruppe. Keldi legte die flache Faust an den Brustkorb – zwergischer Dank. Althea verstaute das Kartenstück, als wäre es ein Herz.

„Prem zuerst,“ sagte Tiomar an der Tür. „Geht zu den Werften, nicht zu den Hallen. Fragt nach den Listen, nicht nach den Liedern.“ Dann, nach einem Atemzug: „Und sagt Umbrik… sagt ihm, der Wind hat sich gelegt. Für jetzt.“

Erwo streckte die Hand aus. „Tiomar.“

Tiomar nahm sie. Fester Druck. Kurzes Halten. Loslassen. Etwas blieb unausgesprochen zwischen ihren Händen, aber es war nicht mehr scharf.

Draußen lag Brendhil still, der Platz leer bis auf das Knistern der Feuerstelle. Die See atmete unter Sternen. Althea zog den Umhang enger, die Zwerge schulterten leiser als sonst.

„Prem,“ sagte sie into die Nacht.

„Prem,“ brummte Keldi.

Und irgendwo hinter ihnen schloss sich Tiomars Tür – nicht wie ein Ende, sondern wie ein Punkt im Satz, nach dem man weiterliest.


Sie stehen auf dem Platz, Müdigkeit und Blessuren machen sich bemerkbar. Zur Seeseite befindwt sich in einem freistehenden Haus die Herberge Bei Giryo, das einzige öffentliche Gebäude in Brendhil, wenn man von einem kleinen Krämerladen absieht. Das Haus zeigt Einflüsse südländischen Stils, mit einer umlaufenden Veranda um das Erdgeschoß. Die Gruppe ist zu müde, um das hervorragende Essen des almadanischen Wirts ausreichend zu würdigen, und fällt in die Betten...


Der Platz lag still, nur das ferne Tosen der Brandung schob sich zwischen die Atemzüge. Die Lampen am Anleger flackerten im Wind, warfen lange Schatten der Häuser in das gepflasterte Rund.

„Bei Giryo“, murmelte Archon, als er das freistehende Gebäude am Rand sah – Seeseite, leicht erhöht, die Brandung im Rücken. Es war kein thorwalscher Bau: warme Farben, weiß getünchte Wände, und eine Veranda, die wie ein schützender Arm das ganze Erdgeschoss umschloss. In den Fenstern glomm weiches Licht, und irgendwo duftete es nach gebratenem Fisch und Kräutern, die hier niemand beim Namen kannte.

Der Wirt – ein Mann mit schwarzem Haar, freundlichen Augen und dem leichten Schwung des Südens in der Stimme – begrüßte sie mit einer Mischung aus Neugier und Wärme. „Giryo, aus Almada. Willkommen unter meinem Dach.“ Er bot Speisen an, von denen die Gruppe im Normalfall gesprochen hätte wie von kleinen Festen: marinierter Aal mit Zitruskräutern, kräftiger Linseneintopf, süßes Fladenbrot mit Honigglasur.

Doch Müdigkeit und die letzten Stunden steckten ihnen tief in den Knochen. Sie aßen mechanisch, langsamer werdend, während draußen die Wellen gegen die Mole schlugen. Keiner sprach viel; nur ab und zu ein Nicken oder ein Brummen, wenn ein Bissen wirklich den Weg zum Bewusstsein fand.

Die Zimmer waren schlicht, aber von dieser Ordnung, die man sofort als „gewollt“ erkennt: frische Leinentücher, sauber gefegter Boden, eine Schale mit Wasser am Waschständer. Als Althea das Fenster schloss, hörte sie noch einmal die See – tief, ruhig, fast wie ein Atem, der sie schon im Schlaf erwartet.

Und dann fiel die Gruppe in die Betten, wie man in Wasser fällt: ohne Widerstand, ohne Aufprall, mit dem sicheren Wissen, dass sie erst wieder auftauchen würden, wenn das Licht längst neu über Brendhil stand.


Am nächsten Morgen lagen keine Schiffe im Hafen, was ihnen aber recht war, da sie so einen Tag die Füße hochlegen konnten. Was sie auch taten... Tondar stand auf dem hölzernen Kai und ließ die Augen weit über dem Meer in die Unendlichkeit schweifen, Furka und Erwo statteten dem örtlichen Krämer einen Besuch ab. Als die Sonne sich neigte, saßen sie, nach einer vorzüglichen Mahlzeit, auf der Veranda auf Seeseite. Althea sortierte ihre Pergamente, eine Reihe Karten und Aufzeichnungen, die sie aus der Piratenhöhle mitgenommen hatten. Archon studierte das Rezept, das er einer Truhe entnommen hatte, bis Erwo sich mit der Flasche dunkelroten Weins aus den zentralen Räumen der Piraten zu ihm setzte. Furka lies derweil eine Flasche echtes Premer Feuer kreisen, die er in den Sachen des Piratenkapitäns gefunden hatte - to the victors go the spoils...

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Nachdem am nächsten Morgen ebenfalls keine Passage verfügbar war, machten sie sich auf den zweitägigen Weg zurück über die Insel, zurück nach Manrin...

Dort angekommen, warteten sie einige Tage auf eine Passage nach Süden, nach Prem.

Erwo hatte nach einiger Überlegung entschlossen weiter mit ihnen zu reisen, "um Beorn wiederzusehen", den sie den Weg den Bodir hinauf aufsuchen wollten.
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#54
Unterwegs mit Zwergen #52
(Versatzstücke)

Der lange Bogen nach Thorwal
(Kurzversion)

Manrin – Wartezeit
Vier Tage blieben sie in Manrin, und doch war es keine Zeit, die sich füllte, sondern eine, die sich dehnte. Die Tage im Hafenviertel waren bestimmt vom Warten, vom Schlendern über denselben Markt, vom Wiederholen derselben Gespräche. Abends saßen sie in der Herberge am Hafen, die Fenster zur See hinaus, und sahen die Boote schaukeln, während der Wind die Masten zum Knarren brachte.
Es war eine Pause ohne Erholung – eher das gespannte Innehalten vor der Weiterfahrt.

Überfahrt nach Prem
Schließlich legte ein solides Handelsschiff ab – nicht neu, nicht elegant, aber mit guter Fahrt am Wind. Fünf Tage trug es sie südwärts. Die Nächte vergingen mit Kartenspiel, Geschichten und für Althea mit der langsamen Rückkehr ihrer magischen Kraft. Die Tage waren lang, eintönig, ein Rhythmus von Wachen, Wellen, Mahlzeiten, wieder Wellen.

Erst als das Schiff um die Halbinsel bog und durch die Strömung zwischen der Insel Runin und dem Festland gezwungen wurde, kam Unruhe auf. Der Nord-Süd-Strom drückte hart gegen den Rumpf, das Schiff legte sich schräg, und die Wellen kamen quer.
„Mir ist übel …“, brummte Hurdin.
„Und mir noch mehr!“, keuchte Tondar, bleich wie Kreide.
Zum ersten Mal auf der Fahrt packte die Seekrankheit die Zwerge mit voller Härte.

Am Ende aber, nach durchgestandener Schaukelei, lag Prem vor ihnen. Als sie die Reling hinter sich ließen, stöhnte Hurdin nur:
„Nie wieder Schiffe.“
Ein Satz, den alle sofort unterschrieben.

Prem – Drei Nächte
Drei Nächte Rast im Hafen von Prem: Marktplatz, Tavernen, Tempel. Sie spendeten überzähligen Proviant im Travia-Tempel und spürten für einen Moment die Wärme der Göttin, mitten im Gewimmel der Stadt. Aber lange verweilen durften sie nicht – das nächste Schiff wartete bereits.

Und dort lag es schon wieder am Kai: derselbe alte Seelenverkäufer, der sie schon einmal über den Golf getragen hatte. Niemand nannte ihn beim Namen, aber jeder erkannte sofort die schiefe Takelage, das knarrende Deck, den Geruch nach Salz und Schimmel. Es war, als ob dieses Schiff unausweichlich Teil ihrer Wege geworden wäre – ein schicksalhaftes Vehikel zwischen Prem und Thorwal.

Überfahrt nach Thorwal
Dann begann die eigentliche Tortur: fünf Tage stampfend gegen die Wellen.

Noch am Kai hatte Archon versucht, Mut zu machen:
„Das schafft ihr auch noch.“
Keldi zog nur eine Braue hoch: „Neben dem Krakenmolch?“

Kaum war die Küste verschwunden, brach die Wirklichkeit los. Tentakel schossen aus den Fluten, Althea wurde von einem kalten, glitschigen Arm gepackt, Furka riss sie frei und kämpfte selbst gegen den Griff. Dann wieder Althea – diesmal war es Keldi, der sich gegen den Sog zur Bordwand stemmte. Schließlich schlängelte ein weiterer Arm hinauf zum Mast, wo Archon sich verschanzt hatte. Gemeinsam schlugen sie das Ungetüm zurück, bis das Meer sich wieder glättete.

Die restliche Fahrt war ein dumpfes Stampfen, und diesmal war es nicht nur Seekrankheit, sondern die Erinnerung an den Griff aus der Tiefe, die ihnen den Magen umdrehte. Und immer wieder das Gefühl: Dieses verdammte Schiff bringt uns um.

Thorwal – Drei Nächte
Am frühen Morgen des 10. Rahja liefen sie in Thorwal ein. Der Nebel hing über dem Wasser, Möwen kreischten, und die schwarzen Dächer der Stadt reckten sich gegen den Himmel.
Drei Tage blieben sie: Geschäfte, Tempel, Spiele, Schenken.
Und doch war es mehr als nur Rast – es war ein erleichtertes Ankommen nach dem langen Bogen der Reise. Die Tentakel des Molchs lagen hinter ihnen, und die Namenlosen Tage noch vor ihnen. Für einen kurzen Augenblick fühlte sich Thorwal wie eine sichere Bucht an.

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Prem hatte sie wieder.
Der Aufstieg zur Klippe zog sich steil hinauf, bis zur Trutzburg – über der, zur vollen Stunde, die Wasserfontäne aus dem Swafnirtempel wie ein Schleier in die Dunkelheit stieg. Manrin war bereits verblasst, wie ein Ort aus einem anderen Leben.

In der Zur Trutz empfing sie der Wirt mit einem breiten Grinsen, wies ihnen dieselben Zimmer zu – wieder mit Blick über Dächer und Hafen.

Am nächsten Morgen schleppten sie die Bündel mit der Beute der Piraten hinunter in die Stadt. Storko von Gollbritz, Herm Jurgasvalsson und zuletzt der Einbeinige nahmen die Funde in Augenschein, prüften, feilschten, bezahlten.

Auf dem Rückweg bogen die Zwerge und Erwo zu den Hjalskes ab, während Althea, gedankenverloren, das Amulett zwischen den Fingern drehte, das sie im Gepäck Furkas entdeckt hatte…

Am Abend blieb sie verschwunden.
Die anderen saßen in der Stube und probierten eine Flasche Premer Feuer – das Lachen und der Brand im Hals übertönten für ein paar Stunden jede Frage, wohin sie gegangen war.

(Streiflichter)

Der Hafenmarkt von Prem brodelte wie ein Kessel, in dem jede Zutat aus einer anderen Himmelsrichtung kam. Händler aus Thorwal, Olport, sogar aus Al’Anfa drängten sich unter Planendächern, die im Wind flatterten. Zwischen den Ständen roch es nach geräuchertem Lachs, gebratenen Muscheln und dem schweren Duft südländischer Gewürze – Safran, Zimt, Kreuzkümmel – die auf staubigen Tüchern ausgebreitet lagen.

Ein Schlitzohr mit rotgebundenem Zopf pries lautstark „echtes maraskanisches Kaffeegewürz“ an, während nebenan ein alter Olporter in grobem Wollmantel seine Fässer Hering mit dem finsteren Blick eines Mannes verkaufte, der schon mehr Winter gesehen hatte, als er zählen konnte.

Keldi stand knurrend vor einem Waffenschmied, der ihm eine handvoll Bolzen anbot, deren Spitzen im Licht bläulich schimmerten. Furka dagegen hatte sich bereits an einen Stand gedrängt, an dem kleine Teigfladen in siedendem Öl schwammen – er kaute, noch ehe er bezahlt hatte. Archon verschwand zwischen zwei Ständen, angelockt von einem Kräuterhändler, dessen Kisten voll getrockneter Blätter und glänzender Wurzeln den Duft von fernen Küsten verströmten.

Althea blieb vor einem wettergegerbten Mann mit Rollen feinen Pergaments stehen. Die Karten darauf zeigten nicht nur Küstenlinien und Strömungen, sondern winzige handgemalte Symbole für Strudel, Riffe und „ungemütliche Ankerplätze“. Seine Stimme war leise, aber eindringlich, als er ihr erklärte, dass manche Stellen der See nur im richtigen Mondlicht zu lesen seien – „und das, meine Dame, steht hier.“

Als sie sich später wiederfanden, jeder mit einer anderen Kostbarkeit unter dem Arm, brandete vom Anleger her das Rufen der Hafenarbeiter herüber. Das Meer war noch fern, aber Prem roch und klang, als stünde es mitten auf dem Platz.


Vier Tage lang hatte Prem sie genährt wie ein schwerer, warmer Mantel – Märkte voller Stimmen, Tavernen, in denen der Rauch der Feuerstellen noch lange nach dem letzten Krug in den Kleidern hing, und Nächte, in denen der Blick von der Trutzburg über das schwarze Wasser bis zu den blinkenden Leuchtfeuern reichte.

Am Abend vor der Abreise kam Erwo breit grinsend in die Stube der Herberge. Er ließ sich Zeit, zog den Moment hinaus, bis alle Augen auf ihm ruhten.
„Ich habe eine Passage für uns. Solides Schiff, sagt der Kapitän. Legt bei Morgengrauen ab.“

Es brauchte nur einen Blick – und die Gesichter erstarrten wie in stiller Übereinkunft.
Tondar griff an seinen Gürtel, zog die Klinge aus der Scheide und prüfte die Schneide mit dem Daumen, als wollte er sicherstellen, dass sie noch scharf genug für alles sei, was kommen mochte.
„Krakenmolchwache, erster Tag, ich“, knurrte Furka und zog damit nur ein kurzes, trockenes Lachen der anderen auf sich.

Draußen über Prem rauschte die Brandung gegen den Kai, und irgendwo im Hafen schlug ein Tau dumpf gegen einen Mast. Der Wind trug den Geruch von Salz und Teer herein – und das Versprechen einer Überfahrt, die niemand je ganz vergessen würde.

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Der Angriff des Krakenmolchs kam kurz nach der Ausfahrt, Althea lehnte an der Reling, als sie plötzlich von einem Tentakel umschlungen wurde. Furka wrang sie frei und musste dann selbst mit dem Tentakel kämpfen. Noch während sie wieder auf die Beine kam, griff ein weiterer Tentakel nach Althea. Diesmal war es Keldi, der der Tentakel von ihr zog, aber seinerseits Richtung Bordwand gezogen wurde... Nachdem alle Tentakel mit vereinten Kräften zurück ins Meer getrieben hatten, schlängelte ein weiterer Tentakel von der anderen Bordseite zu Mast an dem Archon sich in Sicherheit gebracht hatte...

Am frühen morgen des 10. Rahja, gingen sie in Thorwal von Land.

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Ankunft
Am frühen Morgen des 10. Rahja lief das Schiff in den Hafen von Thorwal ein. Nebel hing noch über dem Wasser, Möwen kreischten zwischen den Rahen, und über den Dächern der Stadt stieg bereits der Rauch unzähliger Herdfeuer auf.
Die Gruppe quartierte sich im „Enterhaken“ ein – eine unscheinbare Herberge im östlichen Tavernenviertel. Drei Zimmer entlang des Hofes wurden bezogen, gerade so viel Ruhe und Anonymität, wie man nach den Tagen auf See brauchte.

Tag 1

Magistrat & Zeughaus: Ein offizieller Gang – Formularien, etwas Gedränge, und im Zeughaus das Nötigste für den Alltag: ein Hemd für Althea, Schuhe für Hurdin.

Markt & Beilunker Reiter: Furka, Tondar, Hurdin, Archon und Erwo verloren sich im Gewimmel des Marktes, zwischen geräucherten Fischen, Salzballen und Fässern voller Hering. Erwo blieb schließlich bei den Beilunker Reitern hängen – den Boten des Reiches, die auf schnellen Pferden Nachrichten bis in den tiefsten Süden trugen.

Travia-Tempel & Bankhaus: Althea und Keldi besuchten den Tempel, wo der Handelsagent der Familie noch immer seinen Sitz hatte. Hier wurden die 400 Dukaten sicher im Bankhaus eingezahlt – ein Stück Ordnung im Wirbel der Reise.

Immanstadion: Am Nachmittag füllten sich die Ränge. Orkan Thorwal fegte die Festumer Wiesel vom Feld, 23:1, ein rauschendes Fest der Gewalt und des Beifalls.

Tag 2

Eisenhöfe: Die Zwerge und Erwo hielten sich unter ihresgleichen auf. Schmiede, Gießer, Händler, das Donnern der Hämmer im Takt. Gespräche in Khazalid, viel Bier, viel Rauch.

Tsa-Tempel: Althea suchte derweil Ruhe. Zehn Dukaten opferte sie, dann blieb sie lange in stiller Andacht im duftenden Hain der Göttin, weit entfernt vom Lärm der Stadt.

Roter Morgen: Furka, von der Rastlosigkeit gepackt, probierte sich abends beim Falschspiel – und machte den einen oder anderen Thorwaler um ein paar Münzen ärmer.

Verlorener Heller: Am Abend saßen sie schließlich zusammen in der schummrigen Schenke, Würfel rollten, Karten flogen, Stimmen wurden lauter – die Nacht war kurz.

Tag 3
Am Morgen wurden die Bündel geschnürt. Drei Tage Thorwal hatten gereicht – Geschäft, Ablenkung, Andacht und Vergnügen. Nun lockte der Bodir, breit und schwarz unter den Winterwolken.
Sie brachen auf zur Fährstation Tjoila, um den langen Weg nach Oberorken anzutreten.
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#55
Unterwegs mit Zwergen #53
(Versatzstücke)

Es ist beinahe ein Jahr her, dass die Gruppe sich auf diesen Weg gemacht hat, die Handelsstraße den Bodir hinauf, von Thorwal bis ins entfernte Oberorken. Es ist später Frühling, die Nächte sind bereits warm, das Wetter mild.

Aber es ist nicht das Land, das sich beunruhigt zeigt zu dieser Zeit, auf dieser Seite des Jahreswechsels, der Namenlosen Tage. Es ist die Bevölkerung im Land, es sind die Orte, in denen die Menschen etwas hastiger sind als sonst, ein paar Blicke mehr zuwerfen als üblich und etwas kürzer angebunden sind, da jeder versucht, in den nächsten zwei Wochen alles unter Dach und Fach zu bringen...


Die Wege sind trocken, der Fluss klar, das Land beinahe sorglos in seiner Schönheit – doch in den Dörfern und an den Fährstellen liegt diese unterschwellige Nervosität. Händler treiben ihre Geschäfte rascher ab, Bauern handeln wortkarg, und selbst die Kinder, die sonst am Ufer spielen, werden von ihren Müttern früh ins Haus gerufen. Die Namenlosen Tage werfen ihren Schatten, und auch wenn sie noch fern scheinen, spürt man: das Land hält den Atem an.

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Die Fährstation Tjoila, die erste Station auf der Handelstraße, etwa eine Tagesmarsch von Thorwal entfernt, besteht aus einer Handvoll Häusern, die sich um eine kleine Herberge an der Handelstraße und die danebenliegende Fähre gruppieren.

Die Herberge ist keine Offenbarung und ihre Erfahrungen aus ihrer letzten Durchreise bringen sie dazu, sich lieber in den Schlafsaal zurückzuziehen und eine Mahlzeit aus ihrem Reiseproviant zu sich nehmen. Aber es ist immer noch besser, als unter freiem Himmel zu nächtigen...


Die Fährstation wirkt wie ein Ort, der nur dafür da ist, Reisende durchzuschleusen. Zwei, drei niedrige Fachwerkhäuser, eine Stallung, die Herberge und die hölzerne Fähre über den Bodir – mehr gibt es hier nicht. Das stetige Knarzen der Anlegepfosten und das Rufen der Fährleute tragen über das Wasser. Die Herberge selbst ist sauber, aber schmucklos: blanke Bänke, einfache Strohsäcke im Schlafsaal. Niemand rechnet hier mit längerem Aufenthalt; man isst, man schläft, man zieht weiter.

Die Gruppe zieht sich nach einem kargen Mahl – trockenes Brot, etwas Käse, etwas von ihrem eigenen Proviant – in den Schlafsaal zurück. Es ist eine Nacht ohne Geschichten, ohne Begegnungen, aber mit dem beruhigenden Gefühl, wenigstens ein Dach über dem Kopf zu haben.

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Als nächstes folgt das Örtchen Rukian, das etwa einen halben Tagesmarsch weiter entlang der Handelsstraße liegt. Die Handdelsstraße läuft am Ortsrand entlang. Zwischen Straße und Fluss liegt ein größerer Platz, auf dessen Ufer aus schwarzem Kies nachts die umgedrehten Fischerboote liegen. Der Ort liegt derart, dass er meist nur von Reisenden Richtung Thorwal für Übernachtung genutzt wird. Wer von Süden kommt, tendiert dazu durchzureisen...


Rukian ist kein Ort, an dem man verweilt. Schon beim Näherkommen wirkt er mehr wie eine Durchgangsstation als wie ein Ziel: ein paar Häuser, niedrig gebaut, geduckt gegen die Winde, die über den Bodir fegen. Die Handelsstraße führt am Ortsrand entlang, fast so, als wollte sie dem Ort selbst ausweichen.

Zwischen Straße und Fluss öffnet sich ein Platz, karg und weit, als wäre er allein für das Abladen von Waren und Booten geschaffen. Am Ufer liegt schwarzer Kies, groß und rund, der im Sonnenlicht glitzert. Nachts liegen hier die Fischerboote kieloben, wie gestrandete Tiere, um im Morgengrauen wieder ins Wasser gestoßen zu werden.

Die wenigen Reisenden, die hier einkehren, kommen meist von Norden – wer von Thorwal her aufbricht, zieht oft weiter. Die Gruppe jedoch beschließt, hier zu rasten. Das Wirtshaus ist schlicht, mehr Kantine als Stube: eine dicke Suppe, etwas geräucherter Fisch, grobes Brot. Für ein Abendessen und eine Nacht im Schlafsaal reicht es. Ohne viel Aufhebens schlafen sie unter Dach, bevor sie am nächsten Morgen weiterziehen.

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Die Fährstation Angbodirtal zeigt sich im Gegensatz zu der von Tjoila dadurch aus, dass hier ein Efferd Tempel steht. Der Ort ist etwas weitläufiger und mehr von Häusern umschlossen. Ansonsten gibt es hier nichts, nicht einmal eine Beherbergungsmöglichkeit...


Die Fährstation Angbodirtal ist von anderer Art als Tjoila. Wo dort nur Zweckmäßigkeit herrschte, scheint hier zumindest ein Hauch von Bedeutung mitzuschwingen. Der Bodir ist an dieser Stelle breiter, ruhiger, fast träge, und genau hier ragt der kleine, aber solide gebaute Efferdtempel auf. Weiß getünchte Wände, ein einfaches, blau gestrichenes Dach, und davor ein Steinaltar, auf dem Opfergaben in Form von Muscheln, Salz und grobem Brot liegen – alles, was die Reisenden und Fischer dem Gott des Meeres und der Flüsse überlassen.

Um den Tempel herum haben sich ein paar Häuser gesammelt, nicht viele, aber genug, dass der Ort den Eindruck von Geschlossenheit macht. Anders als in Tjoila wirkt es hier fast wie ein Dorf – ein stilles, zurückgezogenes, das sich um den Fluss und die Fährstelle dreht.

Eine Herberge gibt es nicht. Wer hier verweilen muss, findet allenfalls Unterschlupf bei den Tempeldienern, oder schlägt ein Lager am Rande des Dorfes auf. Doch die Gruppe wird weiterziehen: Ein kurzes Gebet an Efferd, vielleicht das Einwerfen einer Münze in die hölzerne Opfertruhe, dann geht es über den Fluss ...

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Es ist bereits Abend, als sie mit der Fähre nach Angbodirtal übersetzen. Angbodirtal ist eine größere Ortschaft, verschachtelte Häuser in der Ortsmitte, mit einem Platz vor dem örtlichen Firun Tempel. Am Rande des Ortes beginnen kleine Bauernhöfe. Dahinter, vor den Hügeln, die sich zum Steineichenwald hinaufziehen, weite Weiden und bestellte Felder - ein landwirtschaftlich geprägter Ort, hier geschützt durch den Steineichenwald, noch nicht in Sichtweite des Orklandes...


Es ist bereits Abend, als sie mit der Fähre über den ruhigen Bodir übersetzen und Angbodirtal erreichen. Anders als die kleinen Ansiedlungen zuvor breitet sich hier eine richtige Ortschaft aus: verwinkelte Gassen, gedrungene Fachwerkhäuser, die sich eng um die Ortsmitte drängen, wo ein kleiner Platz vor dem Firuntempel liegt. Der Tempel selbst ist schlicht, mit rauer Steinfront und einem geschnitzten Geweih über dem Eingang – doch er wirkt wie ein stilles Herz des Ortes, zu dem sich die Leute wenden, wenn die Winter hart oder die Ernten knapp sind.

Am Ortsrand öffnen sich die Gassen in kleine Höfe. Bauernhäuser mit Stallungen, von Zäunen und Hecken eingefasst, dahinter das Land selbst: weite Weiden mit Vieh, Felder, die noch von der letzten Ernte gezeichnet sind, und dahinter die sanft ansteigenden Hügel, die hinauf zum Steineichenwald führen.

Angbodirtal lebt von der Erde und vom Schutz, den der Wald bietet. Hier, fern von der Grenze zum Orkland, herrscht ein Gefühl von Sicherheit – ein Zwischenraum, in dem das Leben einfach, aber solide scheint. Reisende wie die Gruppe sind keine Seltenheit, doch verweilen sie meist nur kurz.


Sie hatten am Abend in der Taverne am Platz nachgefragt, ein paar Münzen für Auskünfte gegeben. Die Leute dort waren kurz angebunden – man merkte die späte Stunde. Doch als Erwo beiläufig Beorns Namen fallen ließ, nickte der Wirt. „Der wohnt draußen, am Rand des Ortes. Wenn ihr ihn kennt, dann klopft ruhig. Der ist so einer, der selten früh schläft.“

Es war bereits um die neunte Abendstunde, als sie den Ort hinter sich ließen. Vor einem kleinen Haus, hinter dem die grünen Weiden lagen, blieb die Gruppe stehen. Althea klopfte an.

Die Tür öffnete sich knarrend. Ein junger Mann, breit gebaut, blond, mit einem offenen Gesicht, trat heraus – und wollte schon etwas sagen, als sein Blick über die Gruppe wanderte. Für einen Moment blieb er wie erstarrt.

Dann leuchteten seine Augen auf.

„ERWO?!“

„BEORN!“

Die beiden Männer stürzten aufeinander zu, warfen die Arme umeinander, lachten und klopften sich kräftig auf die Schultern, als wären die Jahre zwischen ihnen nicht vergangen.

„Bei Swafnir, ich dachte, du wärst längst irgendwo zwischen Olport und Gareth versoffen!“ rief Beorn lachend.

„Und ich hab dich bei der Sache in Uhdenberg für verloren gehalten!“ erwiderte Erwo, nicht minder bewegt.

Die Zwerge blickten einander an, und Furka murmelte trocken: „Scheint, als hätt’ der Kerl doch noch andere Freunde als uns.“

Beorn winkte sie ins Haus. Drinnen war es schlicht, aber ordentlich: ein Holztisch, ein Kamin, ein paar Waffen an der Wand. Doch Beorn sprach fast nur mit Erwo, ihre Stimmen überschlugen sich, altes Abenteuerblut wallte auf. Namen fielen – „Umbrik“, „Tiomar“ –, Geschichten, die für die anderen kaum mehr als Schattenrisse waren, aber spürbar ein Band aus alten Tagen knüpften.

Schließlich zogen die beiden sich in einen Nebenraum zurück. Die Gruppe blieb zurück, wartete, während draußen die Dunkelheit tiefer wurde. Archon tippte ungeduldig mit den Fingern auf den Tisch, Althea saß still, und die Zwerge vertrieben sich die Zeit mit leisem Murmeln.

Erst lange später traten Beorn und Erwo wieder heraus. Beorn hielt ein Stück Pergament in der Hand, das er Althea überreichte. „Ein Kartenfragment. Von einem Ort, der euch weiterführen wird. Umbrik hat’s damals gefunden – ich hab’s aufbewahrt.“

Erwo nickte ernst. „Das ist euer Weg. Aber meiner führt erst einmal nicht weiter. Ich bleibe hier, bei Beorn. Es gibt Dinge zu tun, alte Spuren, die wir aufnehmen müssen.“

Furka wollte schon widersprechen, doch der Blick der beiden Männer ließ ihn verstummen. Es war klar: alte Brüder trennten sich nicht leicht, und noch weniger ließen sie sich davon abhalten.

Als die Gefährten wieder hinaus auf die Straße traten, war es tiefe Nacht. Über Angbodirtal funkelten die Sterne, der Ort lag still und verlassen, nur fernes Hundegebell und das Plätschern des Bodir begleiteten sie.

Die Gruppe stand einen Moment schweigend da. Dann räusperte sich Tondar. „Nun … einer weniger. Aber mit einem Ziel mehr.“

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Bei Auplog folgt die Handelsstraße weiterhin dem Bodir in Richtung der Bevölkerungszentren Vilmheim und Oberorken, allerdings zweigt von hier auch ein nach Westen führender Pfad zur Küste ab, nach Varnheim. Die Häuser des Ortes liegen hauptsächlich entlang dieses Abzweigs in einer langen, treppenähnlichen Linie. Das Ortszentrum liegt beim Tempel, den Herbergen und dem Markt, dort, wo der Pfad von der Küste aus auf den Ort trifft - die Auploger haben sich ihre Position zunutze gemacht, denn obwohl es eher ein kleinerer, unbedeutender Ort ist, haben sie hier einen kleinen Umschlagplatz für Waren, die von der Küste aus kommen, geschaffen. Es ist deshalb auch nicht verwunderlich, dass es sich beim örtlichen Tempel um einen Phex Tempel handelt...


Auplog wirkte auf den ersten Blick fast verschlafen – eine Handvoll Häuser, die sich in Stufen vom Bodir hinaufzogen, wie eine Treppe in die Hügel. Doch der erste Eindruck trog. Wer den Pfad nach Westen zur Küste einschlug, kam unweigerlich hier vorbei, und die Auploger hatten aus dieser Lage einen Vorteil gemacht.

Im Zentrum des Ortes, dort wo der Küstenpfad auf die Handelsstraße traf, lag der kleine Markt: zwei Reihen grober Stände, an denen Fisch, Salz, Wachs und einfache Schmiedewaren feilgeboten wurden. Dahinter erhob sich, unauffällig und unscheinbar, der Phex-Tempel – kein prunkvolles Bauwerk, sondern fast schon ein größeres Bürgerhaus, dessen steinerner Giebel von einem schlichten Fuchsrelief geziert wurde. Hier traf man Händler und Zwischenhändler, die mit scharfem Auge über Preise stritten und ebenso schnell einen Handschlag wie ein spitzes Lächeln anboten.

Die Herbergen des Ortes waren zweckmäßig: einfache Betten, mäßige Mahlzeiten, aber dafür standen sie mitten am Umschlagplatz, und es hieß, dass Reisende dort mitunter überraschende „Angebote“ erhielten – selten offiziell, oft lukrativ.

Für die Gruppe war Auplog kein Ort, um zu verweilen, sondern einer, der sie daran erinnerte, wie viele Ströme von Waren, Münzen und Gerüchten sich in diesen Landen kreuzten. Ein Knotenpunkt, klein, aber voller Schatten, in denen die List des Fuchses lauerte.

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Aber dann, kurz vor Vilheim, Orks Nicht irgendwelche Orks, sondern eine ganze Kriegsbande. Fast ein Dutzend, die der Gruppe auflauerten und sich schnell umzingelt haben. Die Gruppe war gezwungen, sich den Weg mit dem Messer freizukämpfen.

"Orks, diesseits von Vilnheim", brummelte Keldi, als sie fertig waren. Er wechselte Blicke mit Hurdin und Tondar, Althea nickte nachdenklich...


Der Tag neigte sich bereits, als die Straße sich durch eine Senke wand und zwischen Buschwerk und niedrigen Hügeln schmal wurde. Da rauschte es aus dem Unterholz – schwere Schritte, gutturales Gebrüll.

Ein Dutzend Orks, mit Keulen, Speeren, groben Schilden. Keine verstreuten Räuber, keine Hirtenstreiter – sondern eine ganze Kriegsbande, organisiert und entschlossen. Noch ehe die Gefährten voll begriffen, waren sie umzingelt.

Der Kampf war roh und zäh. Klingen prallten auf Holzschilde, Bolzen sirrten, Funken stoben von Altheas Magie. Furka und Keldi hielten die Front, Hurdin und Tondar fochten Schulter an Schulter, Archon stach aus den Schatten, Althea hämmerte Flammenblitze in die Reihen. Blut, Rauch, Schweiß – bis der Ring aufbrach und die letzten Orks in die Büsche flohen.

Die Gruppe stand schwer atmend, Waffen noch in der Hand. Überall lagen die toten Orks, die Luft stank nach Eisen und verbranntem Haar.

„Orks, diesseits von Vilnheim …“ brummelte Keldi schließlich und wischte seine Axt ab.
Hurdin und Tondar wechselten Blicke, als hätten sie dieselbe Frage im Kopf: Was treibt sie so weit her?
Althea nickte langsam, die Stirn in Falten. „Das ist kein Zufall. Sie rühren sich …“

Schwerer als zuvor zog die Gruppe weiter – und das nahe Vilnheim wirkte plötzlich nicht wie Heimstatt, sondern wie Bollwerk an einer Front.

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Als sie den großen Marktplatz von Oberorken betraten, lag er da wie immer: Händler riefen ihre Waren aus, der Geruch von Kohle und Schmiedehammer hing in der Luft, und zwischen den Tempeln sammelte sich das geschäftige Treiben der Stadt.

Doch diesmal war es anders. Die vertraute Wärme war noch da, sie umfing die Gefährten wie bei jeder Rückkehr – und doch lag etwas darunter, ein kaum greifbares Ziehen. Ein Schatten, der nicht sichtbar, aber spürbar war.

Es war der 17. Rahja. Ein Jahr war vergangen seit dem Beginn ihrer Queste. Ein Kreis hatte sich geschlossen – und gleichzeitig begann sich ein neuer, dunkler zu öffnen. Die Namenlosen Tage standen bevor.

Der Marktplatz war noch das Herz der Stadt. Aber die Gefährten spürten, dass er nicht mehr ungeteilt das Herz ihrer Reise war.

Eine Woche verbrachten sie in Oberorken – und doch war es keine Woche der Ruhe. Die gewohnten Tavernen, die vertrauten Straßen, selbst die Hallen des Ingerimm-Tempels gaben ihnen diesmal keinen Halt. Alles fühlte sich gezerrt an, unausgeglichen, wie ein Lied, das nicht in den Takt finden will.

So beschlossen sie, weiterzuziehen. Die Westküste stand auf ihrer Karte, Algrid Trondesdotter in Hjalsingor, Swafnild Egilsdotter irgendwo an den Häfen. Doch drängender noch waren die Namenlosen Tage, deren Schatten immer näher rückte.

Noch acht Tage bis dahin. Fünf Tage Weg bis Thorwal, drei Tage Puffer – genug, um rechtzeitig zurückzukehren, bevor das Land in den grauen Mantel der namenlosen Finsternis gehüllt wird.

Und so war der unmittelbare Plan klar: Abreise nach Thorwal, Rast dort – und dann die Tage, die man besser in einer Stadt verbringt als irgendwo auf der Straße.
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#56
Unterwegs mit Zwergen #54
(Versatzstücke)

Ein Nachmittag in Vilnheim, dann Auplog, Fähre Angbodirtal, eine Übernachtung auf halber Strecke nach Rukian, Rukian, Fähre Tjoila, wo sie es eingedenks der schlechten Herberge vorzogen, den Weg nach Thorwal fortzusetzen und noch einmal auf halber Strecke zu lagern. Ihr Weg war von Eile getrieben, kein langes Aufhalten. Die Orte wurden immer verschlossener, früh geschlossene Fensterläden, wenig Gespräch und misstrauische Blicke über Gartenzäune hinweg. Vom ehedem lieblichen Rahja war nichts geblieben, das Wetter war warm, der Himmel bedeckt und eine Schwüle stellte sich ein. Am Mittag des 28. Rahja erreichten sie Thorwal...

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Sie kommen im Osten der Stadt an und übernachten wieder im Herbergsviertel. Am nächsten Tag machen sie sich auf den Weg in den westlichen Teil, zum Hafen.

Die Stimmung in der Stadt ist anders als auf dem Land. Sicher gibt es einige, die sich hinter verschlossene Türen zurückziehen, aber viele befinden sich in einer aufgekratzten Stimmung, so als stünde ein besonderes Ereignis bevor. In den großen Städten des Lieblichen Felds finden über die Namenlosen Tage berauschende Festivitäten statt (wenn man nicht das Wort Orgien benutzen möchte), aber Thorwal ist etwas mundaner... Auf dem großen Markt am Hafen ist geschäftiges Treiben, der Hafen liegt voll von Schiffen, die hier eine Woche liegenbleiben, und die Tavernen bersten vor Menschen, die meisten Durchreisende. Am Travia Tempel steht permanent eine Abordnung der Stadtgarde...

Sie begeben sich die Straßen zur Klippe hinauf zum "Vier Winde", hier oben ist es ruhiger, das Stadtviertel gediegener. Nachdem sie ihre Zimmer bezogen haben, erledigen sie Besorgungen, wieder hinunter ins Hafenviertel, sie geben ihren überzähligen Reiseproviant wie immer beim Travia Tempel ab. Danach begibt sich Althea wieder zum Tsa Tempel, nur kurz diesmal, mit der Ermahnung Hurdins im Ohr, sie solle in dieser Stimmung nicht alleine herumlaufen...

Thorwal empfing sie nicht mit Schweigen wie die Dörfer entlang der Handelsstraße, sondern mit einem vielstimmigen Dröhnen. Schon am Osttor hatte man den Eindruck, dass die Stadt pulsiert – nicht in Gelassenheit, sondern in einer nervösen, aufgeladenen Stimmung.

Im Herbergsviertel im Osten, wo sie die erste Nacht verbrachten, war es gedrängt wie selten. Zimmer waren knapp, die Stuben voll mit Händlern, Seeleuten und Reisenden, die allesamt beschlossen hatten, lieber unter Dach und in Gesellschaft die Namenlosen Tage zu verbringen. Überall klirrten Krüge, knarrten Bänke, und zwischen den Gesprächen lag etwas Heiseres – Lachen, aber zu schrill, Streit, aber zu rasch beschwichtigt.

Am nächsten Morgen, auf dem Weg in den Westen der Stadt, wurde der Kontrast noch deutlicher. Thorwal schien auf zwei Schultern zu tragen:

die der Vorsicht, verschlossene Türen, hastig zugeschlagene Läden,
und die der Erwartung, ein elektrisches Knistern in den Straßen, als stünde ein Fest bevor, das keiner beim Namen nannte.

Am großen Markt am Hafen brach sich das in voller Wucht Bahn: Händler mit überquellenden Ständen, Marktweiber, die ihre Stimmen überschrien, Schiffe dicht an dicht am Kai, die Masten wie ein Wald aus Seilen und Querhölzern. Viele Kapitäne hatten beschlossen, den Bodir oder die Küste vorerst nicht mehr zu befahren – also lagen sie hier, festgemacht, und ihre Mannschaften strömten in die Tavernen. Dort tobte ein Gedränge, als wollten alle in einer Woche das Maß für zwei Monde füllen.

Doch es war kein ausgelassenes Fest wie im Süden – kein tänzerisches Feuer, keine offenen Orgien wie im Lieblichen Feld. Thorwal feierte anders: roh, gedrängt, biergetränkt. Der Rausch war da, aber er wirkte wie ein Schutzwall gegen das Dunkle, das kommen sollte.

Vor dem Traviatempel stand tatsächlich eine beständige Garde, in voller Rüstung, Schilde an die Seite gelehnt. Nicht wegen einer Bedrohung von außen, sondern wegen der Unruhe innen: zu viele Menschen, zu viel Bier, zu viele unausgesprochene Ängste. Ein stummer Beweis, dass die Stadt sich rüstete, nicht nur gegen Orks oder Stürme, sondern gegen das, was die Namenlosen Tage in den Herzen anrühren.

Weiter oben, am Aufstieg zum „Hotel Vier Winde“, wandelte sich das Bild. Die engen Straßen wichen gepflegten Häusern, die geschnitzten Giebel weniger wild, die Fensterläden gestrichen, die Türen solide. Hier herrschte nicht Stille, aber Gelassenheit – ein Viertel, das sich leisten konnte, Ordnung zu wahren. Im Vier Winde fanden sie ihre Zimmer, der Blick hinaus über die Klippen auf den Hafen: unten der Tumult, oben die Ruhe.

Die Besorgungen führten sie noch einmal hinunter ins Hafenviertel. Überzähliger Proviant wurde im Traviatempel gespendet, eine Geste, die fast schon Ritual geworden war. Im Tempel selbst herrschte ein geordneter Ernst: Tische voller Körbe, Schwestern und Brüder, die auspackten, sortierten, verteilten, als wappne man sich gegen eine Belagerung.

Althea schließlich löste sich, zog sich für kurze Zeit zurück in den Tsatempel. Es war nur ein kurzer Besuch, anders als bei früheren Gelegenheiten. Zu stark war Hurdins mahnender Blick in ihrem Nacken: „Lauf hier nicht allein herum, nicht in diesen Tagen.“ Der Tsatempel selbst aber stand wie ein fremder Ruhepunkt: bunte Stoffe im Wind, leises Murmeln, das Versprechen, dass selbst im Schatten des Namenlosen die Lebenskraft nicht verlischt.

Und so verging der Tag – in einer Stadt, die wie ein Kessel unter Deckel brodelte. Zwei Tage vor den Namenlosen Tagen war Thorwal alles zugleich: Zuflucht, Fest, Schlachtfeld der Stimmungen. Und die Gruppe stand mittendrin, mit einem Gefühl, dass die eigentliche Prüfung noch vor ihnen lag.

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Der nächste Tag, der 30. Rahja, der letzten Tag des zwölfgöttlichen Jahres, verlief schleppend, die Stimmung schien sich über der Stadt zusammenzuziehen. Immer wieder hallte Geschepper oder Geschrei von der Stadt hinauf. Zur Mittagszeit passierte eine Abteilung der Hetgarde ihr Blickfeld und machte sich auf den Weg Richtung Kontorviertel am Hafen. Am Nachmittag stahl sich der wie üblich gelangweilte Furka hinaus. Er machte eine Runde durch die nahen Tavernen...

Das Glück schien im hold, ein starker Anfang in der "Steilen Treppe", sein Beutel füllte sich mehr und mehr mit klingendem Gold... In der letzten Taverne Sturmfelskeller steigerze sich sein Glück noch einmal, bis er in der letzten, riskantesten Runde von seinen Mitspielern als Falschspieler beschimpft wurde. Er schaffte es gerade heil zur Tür hinaus und lief in die Arme von Tondar und Hurdin, die die Taverne durchkämmten, um ihn zu finden...

Zurück im Hotel, und nach einem missbilligenden Blick durch Althea, begaben sie sich in die Taverne der untersten Etage und verbrachten nach einem guten Abendessen die Zeit an einem der Tische, eingezwängt zwischen Händlern und Reisenden - an diesem Abend wollte niemand allein sein...

Mit fortschreitendem Abend wurde die Atmosphäre angespannter und, Reiseberichte, Geschichten und Seemannsgarn, die anfangs noch unterhaltsam waren, drifteten ab ins Bizarre und Schauderhafte - von einem Tisch im Dunkel jenseits des Kamins klang eine Stimme hinüber, die die Geschichte eines sagenumwobenen Totenschiffes erzählte, ein verfluchter Kahn, welcher seit Zeiten die Meere unsicher machte. Die Öllampen waren leidlich heruntergebrannt, als ein lauter Gong von der Theke herüberklang. "Mitternacht!", verkündete die Wirtin. "Die Zwölfe stehn uns bei", presste ein Kaufmann in die Stille. Nach einem letzten Bier, letzten Wein, leerte sich die Schankstube, auch die Gruppe begab sich hinauf zu ihren Zimmern...

Althea hatte sich eine Weile hin und her geworfen. Die Zwerge schienen deutlich unbesorgter zu sein - aber das war die Gunst derer, die die Zwölfe nur als entfernte Verwandte ihres eigenen göttlichen Vater sahen.

Sie trat ans Fenster, öffnete den Verschlag und blickte hinaus in die Nacht über die Stadt hinweg... Es war nicht kalt, es war nicht warm. Der Himmel war nicht dunkel und nicht hell. Ein unangenehmes Zwielicht lag über der Stadt...

──────────────────────────────────

Der Erste Namenlose Tag verging unauffällig. Die Sonne war hinter einem Dunst verborgen und es waren nur wenige Menschen auf den Straßen zu sehen. Die Gruppe verbrachte den Tag im "Vier Winde", aß, sortierte die Ausrüstung. Althea war in ein Buch vertieft. Als die Nacht sich senkte, wurde die Stille außerhalb von Gebell und einem abrupt abbrechenden Heulen eines Hundes durchbrochen. Ansonsten waren nur die metallbewehrten Stiefel der Hetgarde zu hören, die alle paar Stunden auf ihrer Runde vorbeimarschierte.

Tag Zwei tropfte zäh dahin. Die Gruppe aß und langweilte sich. Althea meditierte über ihrem Zauberstab.

Es war spät in der Nacht, als es an Altheas Tür polterte. Sie blinzelte durch den Türspalt, sah Hurdin, seine Armbrust geschultert, Tondar die Klinge seines Dolches prüfen, Furka den Gürtel zurecht rücken. Keldi grinste sie an

"Kommst du mit?“

"Wohin mit?“

"Die Zwingfeste, im Keller, die Tür..."

...

"Ihr seid verrückt"

"Komm schon, da unten ists sicherer als hier oben.“


Unter den Kellern der Zwingfeste.
Was Monate zurücklag, wirkte wie Jahre. Oben hatten sie das Lager der Räuber ausgehoben, doch tiefer unten herrschte eine andere Zeit. Der Stein atmete anders, als sei er von Geschichten durchtränkt, die niemand mehr erzählen wollte.

Gleich zu Beginn eine Tür – grob behauen, die Zeichen gegen Geister eingeritzt. Dahinter nichts Lebendiges, sondern der Hauch von etwas, das schon lange tot war und dennoch nicht wich. Sie spürten die Kälte, noch bevor sie den Raum betraten.

Treppen, Gänge, verzweigte Fluchten. Manche führten ins Nichts, endeten verschüttet, andere in Schächte, steil, gefährlich, als ob sie die Welt selbst abwärts reißen wollten. Einmal glaubten sie, Stimmen zu hören, Schreie, metallisches Krachen – doch alles war nur Erinnerung, ins Mauerwerk gebannt.

Und Spuren von Kämpfen. Blut längst getrocknet, Pfeilspitzen, ein zerbrochener Schild. Was hier geschah, hallte nach, nicht im Echo der Gänge, sondern in der bedrückenden Stille, die danach folgte.

Skelette, die nie zur Ruhe kamen, lagen nicht einfach still. Sie standen auf, griffen an, wie das eine, das Furka mit einem Kolbenstoß zurückdrängte, bevor er es mit einem Bolzen niederstreckte. Keine großen Schlachten, nur einzelne, kurze, schmutzige Kämpfe, die mehr Kraft aus den Nerven als aus den Armen zehrten.

Manchmal war der Weg unpassierbar: verschüttete Gänge, überflutete Räume, Wasser, das still in schwarzen Becken stand und zurückspiegelte, was sie nicht sehen wollten. Sie fanden alte Kammern: Waffen, Schätze, verrostet und doch von Wert. Dinge, die seit Jahrhunderten im Dunkeln gelegen hatten.

Und in den tiefsten Tiefen, wo das Gemäuer nicht mehr wie ein Werk, sondern wie ein Wundenrand wirkte, erhob sich etwas anderes. Kein Geist, kein Skelett – ein Dämon. Formlos und doch greifbar genug, dass sie ihn bekämpfen mussten. Der Sieg war kein Triumph, sondern ein Zwang: sie konnten nicht anders.

Am Ende fanden sie einen Ausgang, mitten in der Stadt. Verloren im Gewirr der Mauern, eine Tür, die längst vergessen war. Sie traten hinaus in die namenlosen Tage, vollbepackt mit Beute – doch was sie im Rücken ließen, war schwerer als alles, was sie trugen: das Wissen, dass die Schrecken in den Tiefen nie ganz verschwunden sind.
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#57
Unterwegs mit Zwergen #55
(Versatzstücke)

1. Praios 16 Hal

Das Kontorviertel wirkte wie eine eigene Stadt in der Stadt. Hier herrschte nicht das Gedränge der Märkte oder der Lärm der Tavernen, sondern das gedämpfte Klirren von Metallbeschlägen, das Knarzen von Winden und das beständige Kommen und Gehen von Schreibern, Boten und Händlern. Schiffe der großen Kompagnien lagen dicht nebeneinander, die Wappen prangten bunt an den Steven, und zwischen ihnen patrouillierten Soldaten in gleichmäßigen Abständen – nicht rau wie Seesöldner, sondern geordnet, diszipliniert.

Althea bewegte sich hier mit einer Selbstverständlichkeit, die selbst Furka überraschte. Wo er die hohen Kontorgebäude eher misstrauisch beäugte – dicke Türen, eiserne Beschläge, überall Wachen – wirkte sie fast wie eine Tochter dieses Viertels. Ihre Gestalt, die elegante Art, den Stab ein Stück lässig in der Armbeuge zu tragen, dazu der sichere Schritt: sie passte in dieses Spiel von Handel und Einfluss.

Im Bankhaus herrschte gedämpfte Geschäftigkeit. Wachslichter erhellten hohe Hallen, Schreiber mit Tintenfingern eilten zwischen Pulten, und hinter schweren Gittern glänzte kurz das Gold, ehe die Tore wieder zufielen. Althea legte weitere 500 Dukaten gegen Wechsel ein. Die Zahlen, die Formeln, die Unterschriften waren ihr vertraut – ein Erbe aus Beilunk, das sie nie wirklich losließ. Für einen Moment wirkte sie wieder wie die Tochter eines Handelshauses, nicht wie eine Magierin mit einem Trupp Zwerge im Schlepptau.

Furka wartete im Vorraum. Er lehnte sich an eine Säule, die Arme verschränkt, und ließ den Blick über die Menschen wandern. Sein Bart zuckte, als ein Schreiber mit hochgezogenen Augenbrauen an ihm vorbeiging – Zwerge waren hier keine Seltenheit, aber Furka sah zu sehr nach Straße aus. Als es ihm langweilig wurde, zog er sein Messer und ein Stück Holz hervor, begann zu schnitzen – erst beiläufig, dann vertieft.

Von der Seite näherte sich eine junge Tsa-Geweihte, die einen Arm voll bunter Stoffe trug. Sie hielt kurz inne, musterte ihn und hob nur eine Augenbraue – nicht streng, eher mit diesem milden Spott, den man Kindern entgegenbringt, die etwas Unerhörtes tun. Furka hielt kurz inne, grinste schief, steckte das Messer wieder ein. „Schon gut“, murmelte er.

Althea trat aus der Halle, Wechselurkunden in der Hand, und sie gingen gemeinsam weiter zum Tsatempel. Hier war die Stimmung anders: bunt, leicht, farbige Bänder flatterten in der Luft, Blumenkränze hingen über den Türen. Für einen Augenblick schien es, als ob selbst die Namenlosen Tage die Schwelle des Tempels nicht überschritten hätten.

Althea kniete nieder, legte 100 Dukaten in die Schale und verharrte still. Sie wirkte weicher als eben im Bankhaus, mehr bei sich selbst. Ein Hauch von Musik klang aus einem Nebenraum, Kinder lachten. Für sie war es ein kurzer, aber inniger Moment: Erinnerung an das Leichte, an das Unverbrauchte, das sie nicht verlieren wollte.

Furka wartete draußen, die Sonne stand milchig hinter Wolken. Er pfiff leise ein paar Töne, klopfte mit dem Messergriff gegen die Säule, und als sie wieder zu ihm trat, sah er nur hinüber und sagte: „Fertig?“ – und sie nickte, mit einem leisen Lächeln.


Das Zeughaus lag etwas abseits, schwerer Bau, dicke Mauern, eiserne Beschläge an den Türen. Es war kein Marktstand, kein Händlergewimmel, sondern Ordnung und Strenge: Waffen auf Gestellen, Rüstungen an Haken, das Klirren von Metall, das Scharren von Stiefeln. Hier kauften nicht Händler, sondern Kämpfer.

Tondar und Hurdin betraten die Halle, beide in voller Erscheinung – breit, schwer, jeder ein Schritt wie eine Wucht. Sofort drehten sich einige Köpfe: Zwerge waren keine Seltenheit, aber zwei auf einmal, so gedrungen und wortkarg, wirkten wie ein Stück Gebirge, das durch die Tür getreten war.

Ein Thorwaler Waffenknecht, die Haare zum Zopf gebunden, trat an sie heran. „Was braucht’s?“ Seine Stimme war brüchig, aber geübt im Tonfall, mit dem man Krieger anspricht.

Tondar nickte kurz, zeigte mit zwei Fingern eine Länge an: Bolzen. Hurdin hielt die Hand waagrecht, als ob er das Gewicht einer Armbrust zeigte, dann klopfte er auf seinen Köcher, der fast leer war. Worte sprachen sie nur bruchstückhaft:
„Bolzen… ja, zwanzig…“ – Tondar rang mit den Lauten.
Der Knecht grinste schief, nickte. „Zwerge brauchen nicht reden. Ich versteh’ schon.“

Es kam zu diesem stillen Verständnis, das Krieger untereinander haben. Der eine deutet, der andere nickt. Ein Griff an den Schaft, ein kurzes Hochziehen der Augenbraue – Ja, das taugt.

Hurdin prüfte die Spitze eines Bolzens, wog ihn in der Hand, murmelte etwas in Zwergisch, das nach Zustimmung klang. Tondar öffnete den Mund, versuchte „gerade“ zu sagen, es kam „gradd“ heraus – aber der Knecht verstand.

„Ja, ja, gerade, guter Schaft.“ Er klopfte Tondar auf die Schulter, so, wie man es mit einem Bruder im Waffenhandwerk tat.

Ein paar Minuten später war der Handel abgeschlossen: Bolzen in Bündeln, noch ein Satz Ersatzriemen, dazu ein kleines Beutelchen mit Schmieröl, das der Knecht ihnen wortlos reichte – „für die Sehnen“, knurrte er.

Tondar zählte die Münzen, Hurdin nickte knapp, und sie drehten sich um, als hätten sie in einer Halle voller fremder Worte und Gebräuche gerade das Nötigste erledigt. Sie verstanden kaum ein Drittel dessen, was gesagt wurde, aber alles, was gemeint war.


Der Marktplatz war noch immer laut, doch die Stimmung hatte sich verändert. Am 1. Praios wirkte das Drängen weniger wie Fest und mehr wie Unruhe. Überall Stimmen, aber kein Lachen, kein Gelächter, das die Spannung brechen konnte. Die Sonne stand nicht warm am Himmel, sondern hart, stechend, wie ein prüfender Blick von oben.

Keldi drängte sich voran, breitbeinig, die Augen ständig über die Menge tastend. Er war hier in seinem Element: wo andere nur Lärm und Gedränge sahen, machte er sich ein Bild – wer stand an den Kontoren, wer redete mit wem, wer hatte Ladung, wer wartete ab. Neben ihm ging Archon, Kapuze tief im Gesicht, schweigend. Er schien weniger die Schiffe als die Menschen zu mustern – die Haltungen, die Mienen, die Ungeduld in ihren Gesten.

Sie ließen den inneren Hafen mit den Kriegsschiffen und großen Handelshäusern hinter sich und bogen ab zum Freihafen. Hier war es rauer, die Luft schwerer vom Salz, und zwischen den Lagerschuppen zogen Männer und Frauen Fässer auf Schubkarren, Seile quietschten in Rollen, Möwen stritten kreischend um Fischreste.

Keldi steuerte einen der Hafenmeister an, ein wettergegerbter Mann mit grauem Zopf. Seine Worte kamen stockend, in einfachem Garethi, das er bewusst wählte, damit auch die Zwerge ihn verstanden:
„Passage? Heute nix. Morgen vielleicht. Viele warten ab. Namenlose Tage, verstehst?“
Keldi nickte, kein Zögern. „Morgen. Wohin?“
Der Mann zuckte die Schultern, machte eine grobe Geste Richtung Schiffe. „Zwei, drei vielleicht. Aber die besten liegen noch fest.“

Sie gingen die Kaie entlang. Kapitäne, die sie ansprachen, winkten ab, andere wollten zu viel Geld, manche schüttelten nur den Kopf. Niemand hatte es eilig, hinauszufahren, außer jenen, die wirklich mussten.

Am Ende des Kais, dort, wo die Bohlen schon knarrten und das Wasser dunkler war, lag ein Seelenverkäufer, alt, schief, die Planken wie vom Salz zerfressen. Keldi erkannte ihn sofort – derselbe wie immer. Sie hatten ihn schon mehrmals genommen.

Der Kapitän, ein dünner Mann mit grauem Bart und wässrigen Augen, lehnte am Geländer. Er grinste, als er die beiden sah. „Ihr schon wieder.“ Seine Stimme krächzte wie ein alter Mast im Wind. „Prem wollt ihr, ja? Morgen mit der Morgenflut. Zehn Tage Fahrt. Kostet wie immer.“

Keldi nickte knapp. Es war kein Schiff, auf das man freiwillig stieg, aber es war das einzige, das ging. Archon stand daneben, schwieg, und aus seiner Haltung sprach weder Zustimmung noch Abneigung – nur dieses stille, dunkle Einverständnis, dass sie ohnehin keine Wahl hatten.

So machten sie die Abrede, und während die Sonne stechend über den Masten stand, wussten sie: morgen früh fahren sie hinaus, und das Meer würde ihnen zeigen, was es in den Tagen nach dem Namenlosen noch barg.
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#58
Unterwegs mit Zwergen #56
(Versatzstücke)

Mit der Morgenflut glitt das alte Schiff schwerfällig aus dem Hafen, das Knarren der Planken lauter als die Rufe der Hafenarbeiter. Hinter ihnen blieb Thorwal im grauen Dunst zurück, vor ihnen lag das offene Meer.

Der Wind trieb salzig und kühl, Möwen schrien noch eine Weile, dann wurde es stiller, nur das Stampfen des Schiffs blieb.

Die Zwerge bewegten sich wie gewohnt – jeder an seiner Seite, Dolche locker, Blicke ins Wasser. Es war Routine, eine stille Wache gegen das, was aus der Tiefe kommen konnte.

Doch diesmal hing eine Spannung in der Luft, die nichts mit der See zu tun hatte. Als ob etwas unsichtbar mitfuhr, lauernd, zwischen Wasser und Horizont.


Der Tag zog sich, das Meer lag schwer und spiegelglatt, als hielte es selbst den Atem an. Praios’ Auge wanderte über den Himmel – erst im Rücken, dann seitlich, schließlich blendend voran. Kein warmes Licht, sondern schneidend, als richte es sich auf jeden von ihnen einzeln.

Die Mannschaft schwieg viel, auch die Zwerge hielten ihre Wache ernster als sonst. Und obwohl die Namenlosen Tage vorüber waren, lag das Gefühl ihres Nachhalls wie eine Schicht Salz auf der Haut – ein Urteil, das noch nicht gesprochen war.


Als die Sonne im Westen wie ein brennender Brand ins Meer sank, flutete ihr rotes Licht noch einmal über das Wasser – und dann brach es abrupt ab, verschluckt von der See. Was blieb, war eine unnatürliche Dämmerung, die zu schnell in tiefe Schwärze kippte.

Dann kam es. Erst ein ferner Schimmer am Horizont, ein graues Wallen, das man noch für Wetter hätte halten können. Doch binnen Herzschlägen wuchs daraus ein wogender Wall aus Nebel und schwarzen Wolken, die sich wie eine Sturmfront von Nordwesten her auftürmten. Nicht langsam und majestätisch, wie es die See kannte, sondern rasant, unnatürlich – als ob die Dunkelheit selbst beschlossen hätte, das Schiff zu verschlingen.

Binnen Minuten legte sich die Welt in Undurchdringlichkeit. Der Wind erstickte, die Luft wurde feucht und schwer, der Blick reichte nur bis zu den eigenen Händen. Alles war Nebel. Nur die Nebenschwanen glühten noch blass, wie schattenhafte Wächter am Rand der Sicht.

Und dann kamen die Geräusche.
Ein Rauschen, tief und rhythmisch, nicht wie Wind, sondern wie viele Segel, die zugleich gegen den Druck anbrüllten.
Ein Knarren, langgezogen, metallisch und hölzern zugleich – wie Tauwerk und Masten, die sich unter Last winden.
Ein Echo, das nirgends herkam und doch von allen Seiten um sie war.

Die Zwerge standen an der Reling, die Dolche jetzt fest in den Fäusten, der Atem dampfend. Niemand sprach.

Und dann, zwischen Schwaden und Dunkelheit, schälten sich Umrisse. Erst nur Schatten im Nebel, dann klarer: ein Rumpf, viel zu groß, viel zu nah, mit geborstenen Planken, die wie Rippen aus der Finsternis ragten.
Das Totenschiff.
Schwarz, knarrend, uralt, mit Segeln, die keine Segel mehr waren, sondern Fetzen, die sich im Nebel spannten, ohne dass Wind sie trieb.

Es kam lautlos näher, als wäre es schon immer da gewesen.

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Das Hauptdeck lag unter ihren Füßen wie eine endlose Ebene aus morschem Holz. Jeder Schritt knarrte, aber nicht so, wie Schiffe sonst knarren – dieses Knarzen kam von tiefer unten, aus dem Rumpf selbst, als würde das Schiff ächzen unter einer Last, die nicht mehr von dieser Welt war. Der Geruch von Moder, Salz und verfaulendem Holz legte sich schwer auf ihre Kehlen.

Furka und Keldi standen vorn, Klingen blank, die Köpfe dicht zusammengesteckt. Ihre Stimmen waren kaum mehr als ein Flüstern, doch selbst im Wispern klang die Schärfe der Lage durch.
Hinter ihnen erhob sich Althea, der Stab fest in der Hand. Die Flamme an seiner Spitze zitterte im Nebel, erhellte kaum mehr als Armlänge – ein kümmerlicher Kreis Licht in einer Finsternis, die sich nicht verjagen ließ. Der Widerschein ließ ihre Züge härter wirken, als wären auch sie von diesem Ort gezeichnet.

Neben ihr prüfte Hurdin wortlos die Schneide seines Dolches. Er ließ die Klinge langsam im matten Schein kreisen, als ob er den Stahl beruhigen wollte, bevor er ihn in den Kampf führte.
Tondar stand knapp hinter ihr, die Finger fest um den Griff seines Jagdmessers, das Auge wachsam, jeder Muskel gespannt wie ein gespannter Bogen.

Und Archon – er wirkte wie ein Schatten in der Dunkelheit, Kapuze tief, Hände in den Falten seines Mantels verborgen. Er stand da, als wolle er jeden Moment rückwärts verschwinden, als sei er der Einzige, der den Ort so sah, wie er wirklich war: nicht ein Schlachtfeld, sondern ein Grab, das besser ungestört bliebe.

Alles war still. Kein Ruderschlag, kein Wind, kein Atem außer dem ihren. Nur das tiefe, leblose Knarren des Rumpfes, das sich anfühlte, als würde das Schiff mit ihnen reden – in einer Sprache aus Holz und Finsternis.


Ihre ersten Schritte waren zögerlich. Das Deck glänzte feucht, glitschig vom Nebel, doch es hielt. Nicht morsch, nicht zerbrochen – als hätte die Zeit hier aufgehört. Links das Bugkastell, rechts das Heckkastell, Schattenrisse im Dunkel. Nur ab und an ein Knarren, so tief, dass man nicht sagen konnte, ob es vom Holz oder von etwas anderem kam.

Sie banden ein Seil, ließen sich durch die Ladeluke hinab. Das Schiff stöhnte leise, als sie Schott um Schott öffneten, durch enge Gänge drängten, das Licht von Altheas Flammenkugel zuckend an die Wände geworfen.

Dann: ein Ruck, ein Schrei – ein Skelett sprang aus der Finsternis. Furka war der erste, der reagierte, rammte die Klinge zwischen die Rippen, während Keldi mit der Schulter dazustieß, den Knochenhaufen zurückwarf und mit einem zweiten Schlag zertrümmerte.

Weiter unten – Zombies, faulige Körper, noch von Tauen umschlungen, die sie wie Gespenster durch die Dunkelheit schleppten. Der Gestank war kaum auszuhalten. Hurdin stieß mit der breiten Klinge zu, Tondar deckte die Flanke, die Messer blitzten im matten Licht. Jeder Schlag fühlte sich an wie Arbeit gegen die Fäulnis selbst.

Schließlich erreichten sie den Hauptladeraum – und der war voll. Untote, Dutzende, die sich bewegten wie Puppen im Takt einer unsichtbaren Hand.
Althea hob den Stab, rief Worte, die wie glühendes Metall in der Kehle brannten – und eine Mumie ging in Flammen auf, die Binden zischten, schwarzer Rauch quoll aus dem Leib. Furka und Keldi kämpften sich durch Skelette, Schwertschläge, klirrendes Gebein, während Hurdin und Tondar die Seiten deckten, keine Lücke lassend.

Doch der Sieg hielt nur Sekunden. Der Raum bebte, Rauch und Feuer tanzten, und dann gab das Holz nach.
Ein Krachen, splitternd, wie ein Schrei. Unter ihren Füßen barst der Boden, die Planken brachen auf, und sie stürzten – alles ein einziger Moment aus Funken, Splittern, Rauch – in den unteren Laderaum hinab.

Das Dunkel schloss sich wieder über ihnen.


Der untere Laderaum lag wie ein Grab im Schiffsbauch – dunkler als alles zuvor, feucht, stickig, die Luft schwer von Rauch und Moder. Zwischen geborstenen Fässern, zerfallenen Kisten und einem Teppich aus fauligem Tauwerk fanden sie etwas, das nicht hierher gehörte.

In der äußersten Ecke, halb verschüttet von Balken und Lumpen, lag eine Gestalt. Keine Kreatur, kein Untoter – eine Frau. In Rüstung, verkrustet von Salz und Staub, doch unverkennbar. Ardora von Greifenfurt.

Sie rührte sich nicht. Haut fahl, Augen geschlossen, wie in einem Schlaf, der keiner war. Keine Verwesung, kein Verfall – nur Stasis, wie von unsichtbarer Hand gehalten.

Althea trat vor, den Stab in der Linken, die Rechte tastete an ihrem Gürtel. Sie spürte das Gewicht des Schwertes, das sie seit Runin trug – das Schwert, dessen Runen im Angesicht von Untoten zu glimmen begannen. Nun, hier unten, waren sie wie kleine Flammen, pulsierend im Takt des Herzschlags der Dunkelheit.

Sie kniete sich neben Ardora. Zögerte einen Atemzug – dann legte sie das Schwert in ihre Hand.

Die Runen glühten hell auf. Ein Zittern durchlief die Kriegerin, dann sog sie hörbar Luft ein, die Augen rissen auf. Hellgrau, scharf, ein Blick, der sofort wach war. Sie richtete sich auf, als hätte sie nie geschlafen, nur gewartet.

„Bei den Zwölfen…“ murmelte Furka, die Klinge noch halb erhoben.

Ardora sah sich um, ihre Finger krampften sich fester um den Griff. Sie stand auf, die Haltung sofort die einer Kämpferin – kein Wanken, kein Staunen, nur Klarheit.

Ihr Blick fiel auf Althea. Für einen Moment, der länger dauerte als ein Atemzug, sahen sie einander an. Zwei Frauen, beide nicht zufällig hier, beide getragen von einem Sinn, der größer war als sie selbst.

„Du führst?“ Ardoras Stimme war fest, ohne Zweifel.
Althea nickte kaum merklich. „Wir führen.“

Ein stilles Einverständnis legte sich zwischen sie. Schwester im Geiste.

Das Schwert in Ardoras Hand brannte mit einem roten Schimmer, als hätten die Runen in ihr endlich die Trägerin gefunden, auf die sie gewartet hatten.

Und von irgendwo in der Tiefe des Schiffs, tief im Rumpf, hallte ein Knarren, das nicht mehr nur nach Holz klang.

... ... ...

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Es ist, als ob ein unsichtbarer Schleier zerrissen wurde, als sie am frühen Morgen im Prem an Land gehen. Die Sommersonne gießt ihr frühes Licht über die roten Dächer, wärmt die Kais und spielt auf den sanft gegen die Kaimauer wogenden Wellenkämmen. Vergessen sind die düsteren Nächte über Thorwal, der modrige Geruch des Totenschiffs, das seinen Frieden gefunden hat, draußen, auf dem Grund des Golfs von Prem...


Der Markt von Prem lag ihnen zu Füßen wie ein aufgeschlagenes, buntes Buch. Zwischen den Ständen flatterten Stoffbahnen in Rot, Grün und Blau, Gewürzsäcke lagen offen, und die Luft war schwer vom Duft getrockneter Kräuter, Fisch, Harz und einem Hauch fremder Gewürze, die irgendwo über die See herübergekommen waren. Händler riefen ihre Preise, Kinder huschten zwischen Karren hindurch, eine Gauklerin schlug mit Fackeln Funken in die klare Morgenluft.

Die Gruppe blieb einen Moment stehen, ließ die Geschäftigkeit wie eine Welle über sich rollen. Furka lachte leise über einen Schlitzohr-Händler, der ihm eine Schnur getrockneter Fische andrehen wollte. Keldi stand ernst daneben, prüfender Blick, als müsse er sicherstellen, dass der Markt nicht auch voller Fallen war. Hurdin zog nur einmal tief die Luft durch die Nase, nickte zufrieden. Tondar ließ den Blick über die bunten Baldachine schweifen, schon wieder mehr bei den Vögeln über den Dächern als bei den Händlern. Archon blieb wortlos, die Kapuze tief, beobachtete, als sei der Markt für ihn mehr ein Theater als ein Basar.
Und Ardora – noch fremd und doch schon Teil – ging neben Althea, das Schwert an der Seite, der Rücken gerade, als würde sie auch hier einen unsichtbaren Kampf ausfechten.

Dann stiegen sie den Weg hinauf, vorbei an den steinernen Toren, die in die Vorburg der Trutz führten. Hier wurde das Stimmengewirr leiser, die Luft kühler, das Pflaster breiter. Die Zwerge zogen direkt in die Herberge ein, „Zur Trutz“, um die Zimmer zu beziehen, das Gepäck niederzulegen.

Althea aber begleitete Ardora weiter, über den Hof zum Rondratempel. Zwischen hohen Säulen legte Ardora das Schwert nieder, kniete, und dankte der Göttin mit ernster Stimme. Die Litanei hallte durch das Rund, voller Kraft, als sei sie die Antwort auf all die Finsternis des Totenschiffs. Althea stand schweigend daneben, hielt den Stab wie eine Fackel und ließ Ardora diesen Moment für sich allein.

Später wurden sie beide auf den Zinnen der Trutz gesehen. Die Stadt breitete sich unter ihnen aus, die Dächer Prem glänzten im Licht, das Meer funkelte, und das Leben auf dem Markt klang wie ein ferner Summton hinauf.
Sie standen nebeneinander, zwei Frauen, beide von einer Quest gezeichnet, die größer war als sie selbst. Worte fielen leise, kaum zu hören, aber der Ausdruck in ihren Gesichtern verriet, dass sie sich verstanden – mehr als in bloßen Worten.

──────────────────────────────────

Ardora verabschiedete sich am übernächsten Tag, sie müsse hinüber nach Thorwal, eine Depesche versenden, nach ihrer langen Abwesenheit. Die beiden Frauen umarmten sich, und als Ardora an Bord des Schiffes ging, sah sie kurz zurück.

Die Gruppe suchte nach Passage zur Westküste, aber es lag gerade kein Schiff mit dieser Route im Hafen. Nach dem Abendessen kam es zu einer erhitzten Diskussion zwischen Althea und Furka. Sie hatte ihm einen Teil der Trankvorräte übergeben wollen, aber sein Bündel war bereits prall gefüllt. In einem alten Helm, dem er wer weiß was auf dem Totenschiff abgenommen hatte, sammelte er wieder Amulette und Geschmeide... "Du weißt, dass das gefährlich sein kann!", Althea schüttete den Inhalt auf dem Tisch, eine schwere Goldkette fiel prasselnd heraus und ein Ring rollte über die Tischplatte. Mit geschultem Auge und geschickten Fingern begutachtete sie die Stücke und pickte letztendlich zwei Amulette heraus.

Es vergingen einige Tage ohne passende Passage, Althea verbrachte die Abende damit, die Amulette zu begutachten, während die Zwerge Premer Feuer verköstigten. Archon begutachtete die Vorräte an Hylailer Feuer und studierte das Rezept dazu... Am vierten Tag begaben sie sich noch einmal zum Händler, Althea achtete darauf, dass Furka vor ihr lief, und verkauften unter Furkas Protest den Inhalt des Helms - den alten Helm wollte der Händler auch nicht haben...

Dann endlich fanden sie eine Passage nach Runin, ein schneller Küstensegler. Von Runinshaven sollten sie etwas zur Westküste finden...
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#59
Unterwegs mit Zwergen #57
(Versatzstücke)

Der Schnellsegler brachte sie ohne Umschweife nach Runin. Nach einigen Erkundigungen im Hafen, in dem wie immer Schiffe aller Herren Länder lagen, fanden sie einen Kutter, der sie gleich am nächsten morgen nach Treban mitnehmen würde - Runinshaven wird nicht umsonst das 'Tor zur Westküste' genannt. Die Sonne stand noch am Himmel, als sie auf die Hauptstraße traten, an deren anderem Ende der Swafnirtempel lag. Leider gab es hier nicht viel anderes - einige Handelsposten und Lagerhäuser, nicht einmal eine Herberge - Runinshaven war ein Haltepunkt. Furka deutete mit dem Daumen auf die Taverne, die am Übergang zum Hafen lag. "Sieht wohl nach dem besten Ort für einen Aufenthalt aus..." Wie immer herrschte dort emsiges Treiben. Althea zog eine Augenbrauen hoch, aber Keldi zuckte mit den Schultern. Sie schulterten ihre Sachen und machten sich auf den Weg über den Platz.


Es ging auf Mitternacht zu. Althea lehnte mit den Schultern an der rau verputzten Wand, die Wärme der Öllampen brannte dumpf auf ihrer Stirn. Sie gähnte, bedeckte den Mund mit der Hand und schloss für einen Augenblick die Augen, als könne sie den Lärm der Taverne damit ausblenden.

Vor ihr lärmten die drei Brüder. Keldi, Hurdin und Tondar hatten schon lange den Punkt überschritten, an dem Bier noch wie Bier schmeckte. Sie prosteten sich zu, lachten über irgendetwas, das sie selbst schon wieder vergessen hatten, und bestellten mit polternden Fäusten den nächsten Krug. Altheas eigenes Bier war inzwischen schal geworden, eine lauwarme Brühe, die sie angewidert von sich geschoben hatte.

Zur Rechten, unsichtbar, aber unüberhörbar, war Furka in seinem Element. Das Klappern von Münzen, das Gemurmel heiserer Stimmen, ein plötzliches Aufbrausen und dann wieder Gelächter – er zog den Seeleuten die Hosen aus, und sie merkten es nicht einmal. Noch nicht. Sie schüttelte leicht den Kopf; kein Grund, einzugreifen, solange er die Wogen glätten konnte, bevor sie hochschlugen.

Weiter hinten, halb im Schatten neben der Theke, saß Archon. Seine Pfeife glomm träge, der Rauch kringelte sich langsam in die stickige Luft. Als ob es das noch gebraucht hätte, in diesem überfüllten, nach Bier und Schweiß stinkenden Raum. Er wirkte unbeteiligt, aber Althea wusste: kein Detail entging ihm.

Sie stieß sich von der Wand ab, gähnte ein weiteres Mal und rieb sich die Schläfen. Reisen hatte ihre Höhen, ja. Aber es hatte eben auch seine Längen. Und Runinshaven war ein Ort, der genau dafür stand: warten, sitzen, Zeit totschlagen, bis der nächste Morgen kam.

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Treban ist eine kleine Ottaskin am südlichen Ende der Halbinsel von Prem. Die Wehrhaftigkeit des ehemaligen Wehrdorfs hat gelitten, als die Aufmerksamkeit um den Ort nachließ - zum guten wie zum schlechten. Hier gibt es tatsächlich nicht viel, ein kleines Handelslager und eine Herberge, die keinen Namen hat, da es keine zweite im Ort gibt. Die Einwohner orientieren sich Richtung Kord, oder sogar Prem...

Hier möchte man nicht festsitzen, dachte Althea, als sie bei ihrer nächtlichen Ankunft nur kleine Fischerboote am Anleger sahen. Der Ort war so spät dunkel, kein Licht, keine einladende Türen. Auch bei der weiter hinten im Ort liegenden Herberge angekommen, mussten sie die Aufmerksamkeit des Wirts erregen.

Und so kam es, dass sie sich, nach einer kurzen Nacht, am Anleger wiederfand, mit ihrem Umhang wedelnd, um die Aufmerksamkeit eines Langboots zu erwecken, dass zu einem kleinen Langschiff hin unterwegs war. "Ihr habt Glück", meinte ein Mann, der seelenruhig an eine Kiste gelehnt stand, "das Postschiff kommt sonst zwei Tage später"...

So kam es, dass sie sich am nächsten Abend bereits im Hafen von Kord wiederfanden, nur einen Tag weiter nördlich gelegen...

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Ein Städtchen, das an Liskor erinnert, mit geschäftigem Hafen und einem großen Warenumschlagplatz vor dem Swafnir Tempel, auf dem auch die Handelsstraße aus Prem mündet. Hier im nördlichen Teil liegen auch die Kontore der Händler. Im südlichen Teil verlieren sich die Gassen, öffnen sich zu manchem größeren Platz. Die Häuser liegen von der Küste zurückgesetzt. Inmitten eines großen Platzes, gegenüber des Travia Tempels, liegt die Herberge Großmast, ein Haus von bester Qualität, in dem die reisenden Kaufleute einkehren.

Sie kamen an späten Nachmittag in Kord an, in der Geschäftigkeit des Hafens und des Warenumschlagsplatz vor dem Swafnir Tempel, in den die Handelsstraße aus Prem mündet. Sie navigierten durch die Warenstapel und Ochsenkarren und wandten sich der Stadtmitte zu. Sie kehrten im "Großmast" ein, ein großes, weiß getünchtes Haus, mit Stufen, die zum Eingang emporführten, und genossen ein hervorragendes Mahl. Althea kam mit einer Gruppe reisender Kaufleute ins Gespräch, die ihnen die hinter dem Haus am Ende des Platzes liegende Taverne Voller Thin empfahlen, "Guter Wein" (mit einem Augenzwinkern)...

Später Abend in Kord
Die Tür des Voller Thin schwingt auf, und sie treten hinaus in die warme Nachtluft. Hinter ihnen klingt noch Gelächter, Stimmen, das Schaben von Stühlen, aber draußen liegt der Platz fast still. Ein paar späte Laternen werfen gelbliches Licht, in dem Staub und Mücken tanzen.

Althea wankt leicht, summt ein paar Takte der Melodie, die sie eben gespielt hat, und versucht, die Harfe in ihrem Bündel festzuhalten. „Ach, war das nicht schön…“, murmelt sie, während sie schwankend mit den Fingern durch die Luft streicht, als wolle sie noch immer die Saiten zupfen.

Keldi und Hurdin gehen links und rechts neben ihr, beinahe wie Leibwächter. Furka grinst in sich hinein, während Archon schweigend hinterher trottet, die Pfeife schon wieder zwischen den Lippen. Tondar schaut ungeduldig Richtung Hafen.

„Kommt schon, wir können noch das Schiff erwischen,“ knurrt er, den Kopf in Richtung dunkler Gassen senkend, die hinunter zum Kai führen.

„Ach was,“ winkt Althea ab, stolpert zwei Schritte, fängt sich am Ellbogen von Keldi und lächelt schief. „Nur für die Nacht, ja? Nur für die Nacht.“ Mit einer überraschenden Beharrlichkeit biegt sie vom Platz ab, direkt zu den Stufen des Großmast.

„Du willst doch…“, setzt Tondar an, aber Keldi hebt die Hand. „Lass sie. Wir sind keine Orks, die ihre Magierin ans Tau zerren.“

So bugsieren sie sie, halb lachend, halb seufzend, die Treppe hinauf, vorbei am Wirt, der nur die Brauen hebt, und in ihre Kammern. Althea sinkt beinahe sofort in die Kissen, noch bevor der Stab seinen Platz an der Wand findet.

Am nächsten Morgen
Die Sonne steht schon hoch, als sie in aller Frühe durch die Straßen eilen. Der Platz vor dem Travia-Tempel ist voller Wagen und Stimmen, die Händler rufen, und über allem liegt das Kreischen der Möwen. Sie hasten hinunter zum Kai, das Gepäck geschultert, die Augen auf den Anleger gerichtet – und sehen nur die leeren Planken, wo gestern Abend noch das Schiff gelegen hatte.

Ein Mann, der Netze flickt, hebt den Kopf und deutet mit dem Kinn aufs Meer hinaus. „Euer Kahn? Schon bei Morgengrauen ausgelaufen.“

„Verflucht“, brummt Hurdin, während Keldi die Faust ballt und Tondar nur schnaubt. Furka schiebt die Hände in die Hüfte, mustert das leere Wasser und zischt: „Hättest du gestern weniger gezupft und mehr geschlafen, wären wir jetzt schon unterwegs.“

Archon bläst einen Rauchkringel in die Luft und murmelt trocken: „Oder mehr getrunken – dann hätte sie überhaupt nicht mehr spielen können.“

Sie schauen sich um – und merken: Althea ist nicht da. „Wo ist sie?“ fragt Keldi, den Blick über den Platz schweifend.

„Hast du sie nicht mit uns kommen sehen?“ knurrt Tondar.

„Nein, du?“ brummt Hurdin.

Schließlich trotten sie zurück zum Großmast, wo Althea verschlafen auf den Stufen sitzt, die Haare wirr, den Stab quer über den Knien, die Augen noch halb geschlossen. „Das Schiff ist…?“ beginnt sie, und Keldi schnaubt nur.

„Weg.“

Sie schaut eine Weile schweigend ins Leere, dann zieht sie die Beine an und murmelt: „Nur für die Nacht, habe ich doch gesagt…“

Die Zwerge stöhnen im Chor, und so beginnt ein ungeplanter Tag in Kord...

Am nächsten Tag waren sie früh am Hafen und hatten Glück, ein Fischer, der zum Markt nach Kord gekommen war, nahm sie mit nach zurück nach Guddasunden. Zwei Tage später verabschiedeten sie sich am breiten Anleger von Guddasunden von ihm.

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Guddasunden liegt am Eingang ein breiten Fjordes hoch auf den zerklüfteten Klippen. Am Fuße der Klippen liegt über einem Kiesbett ein weiter Anleger, auf Holzbohlen einen Schritt über dem Boden. Ein weiter natürlicher Weg führt seitlich die Klippe hinauf, zu seinen Seiten liegen in regelmäßigem Abständen offene Lagerstätten, kleine Schuppen und Räucherhütten. Oben angekommen liegen im Rund der Ottaskin ein Tempel des Swafnir, eine Herberge und eine Taverne. vom zentralen Platz aus kann man direkt hinunter auf die Gischt am Fuß der Klippen blicken. Jenseits der Ottaskin haben sich einige weitere Gebäude angesiedelt. Hier leben hauptsächlich Fischer und die ein oder andere Familie, die sich mit dem Handel von selbst hergestellten Waren ihren Lebensunterhalt verdienen.

Ein windumtoster Ort an dem es nicht zu tun gibt, begibt sich die Gruppe, nachdem sie sich in der einzigen Herberge im Ort einquartiert hat, zur ebenfalls einzigen Taverne. Es sind nur wenige Gäste anwesend, und der Wirt ist eintönig, bis die Gruppe einiges an Bier bestellt hat. Die Gespräche drehen sich um den Ort, natürlich um Prem aber auch um den Hafen von Kord. Eins wir schnell klar, man kommt hier nur mit dem Schiff weg, und das, so Furka, am besten so schnell wie möglich... Als die Nacht eintritt, verlassen sie die Taverne.

An nächsten Morgen lagen - keine - Schiffe im Hafen, und der Hafenmeister kündigte nur ein Schiff zurück Richtung Kord an. Notgedrungen machte sich die Gruppe wieder auf den Weg die Klippe hinauf. Die Zeit verging zäh und am Nachmittag bekam Furka einen Koller und setzte sich in die Taverne ab, wo er die Würfel rollen ließ...

Am nächsten Tag lag nicht einmal das versprochene Schiff nach Kord im Hafen... Ein Grummeln von Furka und auch die anderen Zwerge schauten leicht genervt, während Althea bedächtig die Aushänge an Hafen studierte. Am Nachmittag schloss sich Archon Furka beim Gang in die Taverne an...

Bei ihrem nächsten Besuch lag das angekündigte Schiff nach Kord im Hafen, sonst nichts, und es war gut, dass die Umstehenden keine zwergischen Flüche verstanden. Althea sprach währenddessen mit dem Hafenmeister und kam mit der erleichternden Nachricht zurück, das als nächstes wohl endlich ein Schiff nach Hjalsingor eintreffen sollte - an diesem Nachmittag folgte Hurdin Furka und Archon in die Taverne und Althea begann die Tage und ihre Zwerge zu zählen...

Dann endlich am vierten Tag, kreuzten sich die Wege einiger Schiffe im Hafen von Guddasunden. Und am äußersten Anleger machte sich einige Gischer bereit, die Taue einzurollen. Furka fiel beinahe auf die Knie, und er schnippste dem Kapitän einen extra Dukaten zu, nachdem Althea ihn bezahlt hatte... Die Zwerge gingen brummelnd an Bord, Althea zählte jeden einzelnen, als sie an ihr vorbeigingen...

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Hjalsingor liegt auf einer Landzunge am Eingang eines breiten Fjords. Der Ort wird im Gegenstz zu Guddasunden auch von Hochseerouten angefahren, also zieht sich vom Wasser her ein lebhaftes Hafenviertel, in dem sich Tempel an Händler an Herberge drängen. Das Ortszentrum liegt landeinwärts um die ehemalige Ottaskin, etwas erhaben über dem Ort.

Nachdem sie in Hjslsingor angelegt hatten und von Bord gegangen waren, strebten die Zwerge dem prominent am Hafen befindlichen Efferd Tempel zu, Althea folgte ihnen curiously. Die Zwerge ließen tatsächlich einige Goldstücke springen und dankten Efferd in tiefem Gebrummel für die 'Befreiung'... Fall Efferd denn Rogolan spricht, dachte Althea leicht amüsiert... Danach machten sie sicj auf den Weg ins Hafenviertel und kehrten in der ersten Taverne ein, um sich die Gischt von den Lippen zu spülen und sich nach Algrid Trondesdotter zu erkundigen. Leider kannte der Wirt diese nicht, verwies sie aber zur Taverne oben in der Stadt.Die Gruppe blieb noch eine Weile in der Taverne, rätselnd ob diese oder jene dort vielleicht Algrid sein könnte, verabschiedete sich aber, nachdem der Abend vorangeschritten war. Gegenüber winkten die Betten der Hernerge Swafnirskrug, wo sie nach einem späten Mahl - nicht gerade ein Festessen - in die Federn sanken...

Am nächsten Tag sah sich die Gruppe erst im Hafenviertel um, begutachtete das Angebot der Händler, die sich um den Phextempel drängten und begab sich, als die Sonne sich zu neigen begann zum alten Ortskern hinauf. Sie kehrten in der Taverne Schmiedehammer ein, die um diese Zeit im Gegensatz zum lauteren Hafenviertel nur spärlich besucht war. Das Licht der tiefstehenden Sonne fiel durch die geöffnete Schanktür hinein und der Wirt empfing sie gutmütig mit einem Freibier. Als sie sich nach Algrid Trondessdotter erkundigten, wies er auf einen Tisch vor den westlichen Fenstern, an dem eine junge blonde Frau saß, die dort wie einige andere Anwohner ihre Abendmahlzeit einnahm...

Althea geht voran, die Zwerge folgen mit typischer, etwas polternder Präsenz.

„Verzeiht, seid Ihr Algrid Trondesdotter?“ fragt Althea, höflich, aber direkt.

Die junge Frau blickt überrascht auf, den Löffel noch halb erhoben, dann legt sie ihn beiseite.
„Ja… das bin ich. Wer fragt?“

Keldi verneigt sich leicht. „Freunde Hyggeliks. Wir suchen nach Spuren, wie so viele.“

Ein kurzes Zögern, dann hellt sich ihr Gesicht auf. „Setzt euch. Aber nicht hier – kommt. Nur über den Platz, in meiner Stube ist’s ruhiger.“

Ihr Haus ist schlicht, aber ordentlich. Einfache Holzmöbel, der Geruch von Fisch und Rauch hängt in der Luft. Sie bietet Bier an, setzt sich dann selbst.

„Ihr seid nicht die ersten, die mich wegen Hyggelik aufsuchen,“ beginnt sie leise. „Ich hatte eine Karte, ja. Aber… ich habe sie verkauft.“

„Verkauft?“ Furka beugt sich vor, die Stirn in Falten.

„An Kollborn, den Händler. Für fünf Dukaten.“

Furka schlägt die Hände über dem Kopf zusammen. „Fünf! Zwölffach haben wir bezahlt – zwölffach!“ Die Zwerge brummen zustimmend, während Althea schmunzelnd den Kopf schüttelt.

Algrid lächelt entschuldigend. „Ich wusste nicht, was sie wirklich wert ist. Ich hielt es für einen alten Zettel, ein Relikt aus besseren Tagen.“

Sie lehnt sich zurück, wird ernster. „Aber hört: Sucht Asgrimm Thurboldsson in Breida. Er kennt sich mit Hyggeliks Erbe aus – und hat mehr gesammelt, als er zugibt. Und Tiomar Swafnildsson – den kennt Ihr vielleicht schon. Ich weiß, er war auch in dieser Sache verwickelt.“

Keldi nickt langsam. „Beide Namen sind uns bekannt. Eure Worte bestätigen unseren Weg.“

Algrid senkt den Blick, dann wieder ein freundliches Lächeln. „Dann hoffe ich, dass Ihr erfolgreicher seid als die, die vor Euch kamen.“

Sie verabschieden sich mit Händedruck und Dank. Als die Tür ins Schloss fällt, stehen sie wieder draußen – der Platz liegt still im Abendlicht, das letzte Gold der Sonne bricht sich in den Fenstern des alten Ortskerns.

„Nicht die einzigen, sagt sie,“ murmelt Archon, während Furka immer noch schnaubt.

Althea zieht den Umhang enger und sieht zum Himmel. „Dann lasst uns besser sein, als alle anderen.“

Sie begaben sich zurück zum Hafen, wo se nach einiger Suche ein Fischerboot ausfinfig machten, dass sie mit nach Rovik nehmen würde, am nächsten morgen. Gesagt, getan, Hauptsache weiter. Sie begaben sich zum "Swafnirskrug" und nach dem Abendessen zog es die Zwerge noch einmal hinüber ins "Ottashaven", während Althea es vorzog zu meditieren. Als die Zwerge zurck in die Herberge kam, schlief Althea schon. Beim Frühstück überhörte sie eine Erzählung nach der wohl eine Gruppe Zwerge gestern die gegenüberliegende Taverne unsicher gemacht hätte und in schlechtem Garethi "Wir lagen in Gud-da-sun-den!" gesungen hätten - was es alles so gibt...

Sie begaben sich hinunter zum Hafen und der Fischer legte ab...

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Rovik ist an der Mündung des gleichnamigen Fjords gelegen, an deässen Ende sich Orvil befindet. Die Ottaskin liegt hoch über dem Wasser, vom Anleger ais führen nur, wie in Orvil Leitern und Stufen, sowie ein Lastenaufzug hinauf. Das Fischerboot legt am frühen morgen an, und, abgesehen von einigen Fischerbooten und Lastkänen, liegt auf der anderen Seite der Pier ein schwerer Kutter, der gerade für die Abfahrt vorbereitet wird. Keldi ruft hinüber und Althea bringt in Erfahrung, dass es nach Overthorn unterwegs ist. Als sie wieder ablegen, blickt Althea hinauf nach Rovik. Die wortkargesten Menschen, die sie hier in der Region kennengelernt hat, keine  Herberge, nur eine Namenlose Halle über dem Meer, die Reisenden zugewiesen wird. Und das Gewitter über dem Meer der Sieben Winde, als sie damals hier unterkamen. Auch heute sieht es aus, als ob Rovik von Wolken umhüllt ist, und von Westen treibt der Wind eine Sturmfront voran...

Aber sie sind ja auf den Weg weiter, nach Norden...
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#60
Unterwegs mit Zwergen #58
(Versatzstücke)

Die Anschlusspassage dauert weitere 33 Stunden, und als sie in Overthorn von Land gingen, gingen die Zwerge im Seemannsgang voran. Drei weitere Tage auf See, fast zwei Wochen, nachdem sie aus Prem aufgebrochen waren und sie hatten den nördlichsten Ort der Westküste erreicht.

Es war etwa zwei Monate her, dass sie hier schon einmal durchgekommen waren und sie kehrten zuerst im "Admiral" ein, um sich die Gischt von den Lippen zu spülen... Dann zerstreuten sie sich in der Stadt, begaben sich nach und nach die Häuserzeile zur Klippe hinauf, von der man diesen atemberaubenden Blick auf das Meer und das Umland hatte, und trafen sich, gerade als der Tag sich neigte, in der Taverne Alriks, die sie beim letzten Mal nicht besucht hatten...

Der schwere Kutter stampfte behäbig durch die letzten Wellen, als die Hafenmole von Overthorn in Sicht kam. Dreiunddreißig Stunden war die See unter ihnen gewesen, und nun gingen die Zwerge mit eshalb selbst behauptenfestem Seemannsgang von Bord, als wären sie selbst Teil der Mannschaft gewesen. Fast zwei Wochen war es her, dass sie Prem verlassen hatten – und nun standen sie am nördlichsten Punkt der Westküste.

Die Stadt wirkte vertraut und fremd zugleich. Etwa zwei Monate waren vergangen, seit sie hier zum ersten Mal durchgekommen waren, und vieles hatte sich nicht verändert: der Wind, das Salz in der Luft, das Rufen der Möwen. Zuerst zog es sie in den „Admiral“, wo sie bei einem ersten Bier die Gischt von den Lippen spülten. Furka kommentierte trocken, dass das Bier nicht besser geworden sei – worauf Keldi nur grunzte.

Danach zerstreuten sie sich in der Stadt. Manche sahen bei Händlern vorbei, andere ließen sich treiben, die Straßen hinauf bis zur Klippe. Von dort oben bot sich wieder dieser Blick, der kaum Worte brauchte: das Meer, endlos und gewaltig, und das Land, das sich in Wellen aus Grün und Grau verlor.

Gerade als die Sonne tiefer sank und die Dächer in rötliches Licht tauchte, fanden sie sich wieder zusammen – diesmal nicht im „Admiral“, sondern in der Taverne „Alriks“. Ein Ort, den sie beim letzten Mal gemieden hatten, und dessen Tür nun für sie aufschwang wie ein Versprechen auf Geschichten, Wärme und vielleicht ein neues Kapitel.

Sie betraten das "Alriks", die Taverne ist nicht schlecht besucht. Nach einem gemeinsamen Essen verabschiedet Furka sich hinüber zu einem Tisch in der MItte, an dem man die Würfel klappern hört. Die anderen Zwerge blickten nicht einmal hinterher und Althea lehnte sich entspannt zurück gegen einen Holzbalken des Fachwerks. Man hörte gelegentliches Brummeln von der Mitte aus, aber nichts besorgniserregendes. So verging einige Zeit... "Euer Schützling sollte darauf achten, nicht zu viel zu gewinnen, raunte es plötzlich leise neben Althea!, sie drehte den Kopf, ein Mann , dessen Roben ihn unmissverständlich als wandernden Magier auswiesen, war näher gerückt. Er hob seinen Kelch, in dem es rubinrot schimmerte, und schaute dann sinnierend in den Wein. Der Mann war mittleren Alters, mit grauen Strähnen im schwarzen Haar, einem braungebrannten Gesicht und Händen, die bezeugten, dass er eher auf der Straße unterwegs gewesen, denn in der Studierstube gesessen hatte...

Althea hob eine Braue, der fremde Magier neben ihr hatte eine Stimme wie aus rauem Samt. „Er weiß, was er tut“, erwiderte sie, doch es klang weniger bestimmt, als sie es gedacht hatte.

Curian lächelte, aber ohne Wärme. „Das habe ich über viele gesagt, Mädchen. Manche tun es – manche denken es nur.“ Er drehte den Kelch in der Hand, als würde er darin mehr sehen als nur Wein. „Manchmal ist der Unterschied ein Messer an der Kehle.“

Althea schwieg einen Moment, ehe sie sich aufrichtete. „Und Ihr? Seid Ihr einer, der tut?“

„Früher“, meinte er knapp, und ein Schatten huschte über sein Gesicht. Dann wandte er sich ihr zu, die blauen Augen klar und nüchtern, trotz des Glases in seiner Hand. „Jetzt sehe ich eher zu, dass die, die noch Feuer im Herzen tragen, sich nicht selbst verbrennen.“

Er musterte sie offen, fast durchdringend. „Ihr seid jung. Zu jung für die Schwere, die Ihr euch aufladet. Aber das macht Euch gefährlich – und wertvoll.“

Althea wich seinem Blick nicht aus, legte den Kopf leicht zur Seite. „Und Ihr denkt, Ihr könnt mir sagen, wie ich mit dieser Last umzugehen habe?“

Curian schnaubte ein kurzes Lachen. „Sagen? Nein. Aber ich kann Euch zeigen, wie es aussieht, wenn man sie zu lange trägt. Vielleicht reicht das.“

Aus der Mitte der Taverne drang ein lauter Jubel – Furka hatte offenbar wieder eine Runde gewonnen. Die Zwerge an ihrem Tisch reagierten nicht, als hätten sie das Brummen und Scheppern ihres Gefährten längst ausgeblendet.

Curian aber hob nur sein Glas und nickte fast feierlich. „Und wenn Ihr es zulasst – begleite ich Euch ein Stück. Thorwal ist mein Ziel. Vielleicht lerne ich unterwegs wieder, warum Menschen wie Ihr die Welt nicht aufgeben.“

Althea erwiderte das Nicken. „Dann trinken wir darauf.“

Er füllte ihr den Kelch nach, ohne zu fragen. „Auf Thorwal. Und darauf, dass wir beide den Weg überleben.“

Es ist noch vor Mitternacht, als die Gruppe die Taverne verlässt. Die Zwerge voran, Althea und Ücurian folgend. Curian hat seine Ürobe zugezogen. Sein Stab klackt im Einklang mit dem Altheas auf der Straße. Es ist eine klare Sommernacht über ihnen spannt sich der Sternenhimmel. Die Sterne wirken sehr viel näher, hier oben auf dem Klippe. Bevor sie auf den Weg nach unten einbiegen, schaut Althea noch einmal hinauf. The stars are right, denkt sie...

Die Zwerge stapften vornweg, ihre Schatten kurz und kantig unter dem fahlen Schein der wenigen Laternen. Althea und Curian hielten einen ruhigeren Schritt. Sein Stab klackte im gleichen Rhythmus wie ihrer, fast so, als hätten sie unbemerkt Takt gefunden.

Die Nacht war klar, das Meer rauschte weit unter ihnen. Über der Klippe spannte sich der Himmel, funkelnd, weit – und die Sterne wirkten näher, größer, als wollten sie herabsinken. Althea hob den Kopf, ließ den Blick schweifen. Einen Atemzug lang schien es ihr, als ergäben sie ein Muster. The stars are right, dachte sie, und ihr wurde kalt und warm zugleich.

Curian folgte ihrem Blick, doch sagte nichts. Er zog die Robe enger um die Schultern, der Weinbecher längst gegen den Stab getauscht. Sein Schweigen wirkte nicht abweisend, eher wie das eines Mannes, der dieselben Fragen schon einmal gestellt hatte – und die Antworten nicht mehr suchte.

Die Zwerge bogen schon in die Straße hinunter Richtung Herberge, Stimmen gedämpft im Dunkel. Althea blieb einen Herzschlag länger stehen, als wollte sie den Himmel abspeichern. Dann ging sie weiter, der Stab im Takt mit dem ihren.

An diesem Abend fielen sie früh in die Betten  Am nächsten Morgen, bei einem ausgiebigen Frühstück, besprachen sie ihre weitere Reise. Curians Ziel war Thorwal - man könne direkt von Manrin oder Hjalsingor eine Passage nach Prem bekommen, wenn man einen Hochseefahrer erwischte... "Hauptsache nicht wieder die Küste hinunter," sagte Keldi bestimmt - die Zwerge schienen abgesprochen... "Wie wäre es, wenn wir erst einmal einen Tag rasten", warf Althea beschwichtigend ein. "Ich muss sowieso meine Reiseutensilien ergänzen", stimmte Curian zu. Und so kam es, dass Althea und Archon Curian bei seine Besorgungen begleiteten und Keldi, Hurdin und Tonddar sich zum Waffenemporium hinüber begaben. Furka blieb in der Herberge, war aber als sie im Lauf des Nachmittags zurück jamen, verschwunden, und soll später in der Hafentaverne gesichtet worden sein...

Die Nacht war kurz, der Schlaf tief – wie er es nur nach langen Reisen zu sein vermochte. Am Morgen füllte der Duft von frisch gebackenem Brot und gebratenem Speck die Halle der Herberge „Admiral“. Auf den schweren Holztischen standen Schüsseln mit Hafergrütze und Krüge mit Bier, und für einmal griffen auch die Zwerge ohne Murren zu.

„Thorwal“, sagte Curian knapp, als das Gespräch auf die Zukunft kam. „Von Manrin oder Hjalsingor aus findet man Hochseefahrer, die direkt nach Prem gehen. Mit etwas Glück spart ihr euch den ganzen Küstenweg.“

„Hauptsache nicht wieder die Küste hinunter“, knurrte Keldi und stieß mit der Faust gegen den Tisch. Hurdin und Tondar nickten fast gleichzeitig – ein seltener Einklang, der nur ihre Abneigung gegen die endlosen Zwischenhäfen ausdrückte.

Althea legte beschwichtigend die Hand auf den Tisch. „Wie wäre es, wenn wir erst einmal einen Tag rasten? Wir sind in Overthorn, nicht in Guddasunden. Lasst uns das nutzen.“

Curian zog eine Braue hoch, dann lächelte er schmal. „Ein weiser Vorschlag. Ich muss meine Ausrüstung ergänzen – und ihr vermutlich auch.“

So trennten sie sich nach dem Mahl. Althea und Archon schlossen sich Curian an, während er durch den Markt zog, Stoff für Roben prüfte, Schriftrollenrollen in die Hand nahm und eine neue Ledertasche kaufte. Althea fand sich dabei zwischen Kräuterständen wieder und musterte sorgsam getrocknete Bündel – ein Teil davon wanderte bald in ihren Beutel.

Die drei Zwerge gingen unterdessen zum Waffenemporium, dessen Schild ein blank polierter Streitkolben schmückte. Der Klang von geschliffenem Stahl hallte ihnen entgegen, als sie das Geschäft betraten.

Nur Furka blieb zurück. Er hatte es sich am Fenster der Herberge bequem gemacht, mit einem Becher Bier und einem Stapel Würfel. Doch als die Gefährten am Nachmittag zurückkehrten, war sein Platz leer. „In der Hafentaverne gesehen“, murmelte der Wirt achselzuckend. „Wollte wohl noch etwas Gold in die Welt setzen.“

Der Abend fand Althea, die sich weigerte ins Bett zu gehen, bevor Furka zurück war, sich aber ebenso weigerte zur Taverne hinüber zu gehen, und Curian an einem Tisch in der hinteren Ecke der Gaststube. Curian öffnete gerade die zweite Flasche "des besten Rotwein des Hauses", während Althea ihren Kelch hütete. Ihre Gespräche hatten sich um Mumien auf Runin, Druiden bei Orvil und Räuber am Hjaldorpass gedreht und Althea erzählte gerade vom Rückweg vom Einsiedlersee... Curian schaute sie über gefaltete Hände an, notierte unbewusst Wagnis um Wagnis...

Die Gaststube war fast leer, das Feuer im Kamin zu Glut heruntergebrannt. Nur das leise Knacken der Scheite und das gelegentliche Klirren der Flasche, wenn Curian sie wieder ansetzte, durchbrachen die Stille.

Althea hatte die Beine untergeschlagen, den Kelch zwischen den Händen. Sie hütete ihn, nippte selten, während sie sprach. Von den Mumien auf Runin, die in den Flammen vergingen. Von dem einsamen Druiden bei Orvil, dessen Worte im Nebel verhallten. Von dem Überfall am Hjaldorpass, der sie fast das Leben gekostet hätte.

Curian hörte zu, nicht mit aufgerissenen Augen, sondern mit der Ruhe eines Mannes, der mehr gesehen hatte, als er je erzählen würde. Ab und an wanderte seine Hand zum Kelch, doch meist ruhten seine Finger ineinander verschränkt, als formten sie ein stilles Siegel.

„Ihr tragt zu viel Last auf zu schmalen Schultern“, sagte er schließlich, kaum lauter als ein Murmeln.

Althea hob das Kinn. „Und Ihr? Habt Ihr nie geglaubt, dass Ihr die Welt stemmen müsst?“

Curian lächelte, ein Zug von Bitterkeit darin. „Geglaubt – ja. Versucht – auch. Bis ich gemerkt habe, dass die Welt sich nicht halten lässt. Man kann nur Teile stützen, für eine Weile.“

Er sah sie lange an, über den Rand seiner Hände hinweg. „Aber vielleicht braucht es genau solche wie Euch, die es trotzdem versuchen. Damit Leute wie ich nicht ganz verbittern.“

Althea schwieg, spürte den Ernst in seinen Worten – und zugleich das Gewicht, das nicht ihr gehörte, sondern ihm.

Von draußen drang ein dumpfes Lachen, die Tür ging kurz auf, kalte Nachtluft wehte herein – Furka, schwankend, die Würfel noch in der Faust. Die Zwerge würden ihn morgen tadeln, doch für diesen Abend bedeutete es nur, dass Althea sich endlich erhob.

Curian erhob ebenfalls sein Glas, neigte es leicht gegen sie. „Geht schlafen, Mädchen. Die Welt läuft nicht weg – auch wenn sie manchmal so tut.“

Der nächste Morgen fand sie am Hafen. Furka stampfte mit dem Fuß auf - Keine Passage, und der Hafenmeister sagte vorher, dass die nächsten Tage nur mit Schiffen Richting Hjaldingolf zu rechnen sei. "Und hier kommt man ohne Schiff nixht weg", murrte Keldi. Es ist nicht Guddasunden warf Althea ein, aber die Zwerge waren deutlich verstimmt. "Wenn Angrosch gewollt hätte, das Zwerge zur See fahren, hätte er keine Berge erschaffen", brummelte Hurdin. "Berge", murmelte Tondar, und drehte sich nach Südosten, als könne er dort die Hjaldorberge erspähen... Curian stand abseits.

Der Hafen lag im hellen Morgenlicht, Möwen kreischten, Taue knarrten, und die wenigen Fischer, die ihre Netze flickten, warfen nur flüchtige Blicke zu der Gruppe. Furka stampfte mit dem Fuß auf, dass die Bohlen ächzten. „Keine Passage! Gar keine!“

Der Hafenmeister, ein wettergegerbter Mann mit gefurchter Stirn, hatte es schon vorhin gesagt: „Die nächsten Tage laufen nur Schiffe nordwärts in den Hjaldingolf. Wer südwärts will, muss warten.“

„Und hier kommt man ohne Schiff nicht weg“, murrte Keldi, als hätte er es noch einmal laut bestätigt haben wollen.

„Es ist nicht Guddasunden“, warf Althea ein, den Blick über das Wasser schweifend, „wir werden nicht hier festsitzen.“ Doch die Worte prallten am Grummeln der Zwerge ab.

„Wenn Angrosch gewollt hätte, dass Zwerge zur See fahren,“ brummelte Hurdin, „hätte er keine Berge erschaffen.“

„Berge …“ murmelte Tondar. Seine Augen wanderten nach Südosten, als könnte er durch die Sonne hindurch die Hjaldorberge sehen, die dort weit hinter dem Horizont lagen.

Furka verschränkte die Arme, schnaubte hörbar und spuckte ins Hafenbecken, als hätte er den Ärger damit fortwerfen können.

Curian stand abseits, den Stab locker in der Hand, und beobachtete schweigend. Die Züge seines Gesichts verrieten keine Ungeduld, aber die Ruhe eines Mannes, der gelernt hatte, dass Zeit sich nicht beschleunigen ließ.

„Es wird ein Schiff kommen“, sagte er schließlich, sachlich, nicht tröstend. „Die Frage ist nur, ob ihr die Tage verflucht – oder füllt.“

Die Zwerge knurrten im Chor, doch Althea lächelte dünn. „Dann lasst uns sehen, womit man hier die Zeit füllt.“

Der Tag verging für manche zäh, wie Keldi, Tondar, Hurdin und Furka, die ihn in der Gaststube verbrachten, während Tondar sich wieder zum Swafnirtempel hinauf begeben hatte, als könne er von dort die Schiffe herbeiblicken... Althea und Curian nutzten den Tag um Reisenotizen zu vergleichen, Archon ging abends seine alchimistischen Rezepte mit Curin durch, woruf dieser ihn mit neuem Respekt betrachtete... Die anderen Zwerge gingen heute früh schlafen.

Der Tag legte sich wie Blei über die Zwerge. Keldi, Hurdin und Furka verbrachten die Stunden in der Gaststube, zwischen halbleeren Krügen und dem dumpfen Klacken von Würfeln. Einmal stand Tondar auf, wortlos, und stapfte hinaus – hinauf zum Swafnirtempel. Dort verharrte er lange, die Hände auf die Brüstung gestützt, den Blick hinaus aufs Meer gerichtet, als könnte er mit bloßem Willen die ersehnte Silhouette eines Segels an den Horizont rufen.

Althea nutzte die Stille anders. Gemeinsam mit Curian saß sie im oberen Stockwerk, Pergamente zwischen ihnen ausgebreitet, Feder und Tinte griffbereit. Sie verglichen Reiseberichte, tauschten Beobachtungen über Karten, Wetterzeichen und alte Legenden aus. Curians nüchterne Notizen trafen auf Altheas geschmeidige, manchmal schwärmerische Handschrift – zwei Welten, die sich ergänzten.

Gegen Abend schloss sich Archon dazu, seine Kräuterbücher unter dem Arm. Zögernd legte er ein Rezept auf den Tisch, sprach über Mischverhältnisse und Aufbewahrung. Curian hob zunächst die Brauen – doch dann beugte er sich näher, prüfte mit echtem Interesse die Linien und Anmerkungen. Schließlich nickte er, langsam und anerkennend. „Ihr versteht mehr von der Praxis, als manch selbsternannter Meister. Ich hätte Euch unterschätzt.“ Archon antwortete nur mit einem kaum sichtbaren Lächeln.

Die übrigen Zwerge verschwanden früh in ihre Betten, knurrend, dass man hier wohl noch alt werde, bevor ein Schiff ablegte. Ihre gleichmäßigen Atemzüge füllten bald den Schlafsaal, während unten in der Stube Althea, Curian und Archon noch über Kräuter und Zauberstäbe sprachen – bis die Kerzen niedergebrannt waren.

Die Zwerge standen in Morgengrauen mit Sack und Pack bereit und warteten, bis Althea im vorbeigehen einen Bissen vom Gasttisch genommen hatte. Im Hafen angekommen, ließen sie die Blicke schweifen, als Altheas Augen a0n einem kleinen schnittigen Langschiff hängen blieben - deutlich sichtbar das gepflegte Schild mit dem Namen "Hjallandstolz" am Bug. "Hey, ist das dort nicht das Schiff von Swafnild Egilsdotter?" Die Zwerge drehten sich ihr unwillig zu. Aber tatsächlich, die Frau, die gerde die Taue lösen wollte, blickte zu ihnen hinüber.

Es ist tatsächlich Swafnild Egilsdotter, die aufhorcht, als sie nach Hyggelik frgwn und von ihrer Queste erzählen. Sie kennt eine Reihe weiterer Personen, aber es ist kein neuer Name dabei.Zu Ende des Gesprächs verharrt sie kurz und kaut auf ihrer Lippe. Sie besäße ebenflls einen Teil der alten Karte, die sich allerdings mit anderen Teilen ihrer Habe bei einem Kompagnon in Guddasunden befände. Aber wenn die Gruppe sowieso in die Richtung unterwegs wäre, könne sie sie mtnehmen...

Althea zuckte innerlich zusammen, als Swafnild 'Guddasunden sagte, aber sie zwang sich ein Lächeln auf. "Aber natürlich kommen wir mit". Sienam ihr Bündel auf und folgte Swafnild zum Boot, bis sich Curian deutlich hörbar räusperte. Sie blickte zurück. Die Zwerge hatten sich keinen Schritt bewegt. In ihren Gesichtern stand etwas wie 'Hat sie Guddasunden gesagt?'


Das Hafenbecken lag still im ersten Licht des Praios, Möwen kreisten, und die wenigen Fischer, die ihre Netze flickten, unterbrachen ihre Arbeit, als das schlanke Langschiff „Hjallandstolz“ sich zum Ablegen rüstete. Das Wappen am Bug glänzte frisch gestrichen, und die Frau an Deck wirkte, als sei sie selbst Teil des Holzes – sehnig, wettergegerbt, entschlossen.

„Swafnild Egilsdotter?“, rief Althea hinüber.

Die Frau blickte auf, die Hand noch am Tau. Als sie den Namen Hyggelik hörte, verengten sich ihre Augen, dann nickte sie knapp. „Ihr seid nicht die Ersten, die fragen.“ Sie nannte Namen, vertraut und bekannt, aber nichts Neues. Und dann, nach einem Schweigen, ein Zögern: „Ich habe ebenfalls ein Stück der Karte. Doch es liegt nicht hier – sondern bei meinem Gefährten in Guddasunden.“

Althea lächelte, auch wenn es ihr schwerfiel. „Aber natürlich, wir sind ohnehin auf dem Weg.“ Sie hob ihr Bündel, setzte schon zum Schritt an.

Ein Räuspern, trocken und unüberhörbar. Curian.

Althea wandte sich um. Die Zwerge hatten sich keinen Fingerbreit bewegt. Keldi stand wie in Stein gemeißelt, Hurdin verschränkte die Arme, Tondar sah finster drein. Furka schnaubte nur.

„Hat sie… Guddasunden gesagt?“ Keldis Stimme war mehr ein Knurren.

Swafnild legte den Kopf schief. „Ihr wirkt nicht erfreut.“

„Erfreut?“ Furka trat vor. „Wir haben vier Tage dort verloren! Vier! In einer Ottaskin, die nur Wind und Langeweile kennt.“

„Und jetzt wollt ihr uns freiwillig wieder dahin schleppen?“ Hurdins Augen blitzten.

Einen Moment stand die Luft still. Dann trat Swafnild ans Geländer. „Ihr wollt die Karte, oder nicht?“ Ihre Stimme war hart, aber nicht feindselig. „Es gibt Dinge, die man nicht überspringen kann. Manchmal führt der Weg eben zurück.“

Curian hob die Brauen, sah von den Zwergen zu Althea. „Eine Entscheidung, Mädchen. Eure Queste, euer Pfad.“

Althea atmete tief, spürte den Widerstand der Zwerge wie eine Mauer hinter sich. Doch sie wusste, dass es keine Wahl gab. Sie zwang sich zu einem Lächeln – und nickte Swafnild zu.

„Dann zurück nach Guddasunden.“

Die Zwerge starrten sie an. Furka stieß einen Fluch aus, Hurdin knurrte, Keldi murmelte etwas von „Angrosch und seinen Bergen“. Doch sie bewegten sich. Einer nach dem anderen stapften sie hinter ihr her, brummend, aber entschlossen.

Swafnild grinste schmal, als sie die Taue lösen ließ. „Dann also Guddasunden.“

Und so setzte sich die „Hjallandstolz“ in Bewegung – das Meer öffnete sich, und mit ihm eine neue Schleife im Knäuel der Westküste.

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Die „Hjallandstolz“ glitt südwärts, das Segel voll im Wind, der Bug schnitt durch die gleichmäßig gekräuselte See. Hinter ihnen Rovik, das schweigsame Nest am Fjord, und auch Hjalsingor lag bald schon wieder im Rücken. „Wir halten nicht in Rovik – außer, man will nach Orvil“, meinte Swafnild nur knapp, und niemand hatte Lust, sie zu widersprechen.

Die Überfahrt verlief ohne Zwischenfall. Die Zwerge standen meist an der Reling, missmutig, aber diszipliniert. Curian blieb im Schatten des Segels, den Blick wachsam auf das Wasser gerichtet, und Althea lehnte sich gelegentlich gegen die Bordwand, ließ die Finger unbewusst Muster über den Stab streichen. Es war keine fröhliche Fahrt, aber eine schnelle – fast, als habe das Schiff selbst es eilig, diese Küsten hinter sich zu lassen.

Am Nachmittag liefen sie in Guddasunden ein.

Der breite Anleger unter den Klippen lag ruhig in der Sonne, Möwen schrien, irgendwo knarrte eine Trosse. Doch die Zwerge blieben hart: Sie weigerten sich, auch nur einen Fuß an Land zu setzen. Zu deutlich war die Erinnerung an Tage zäher Langeweile, an Warten und Vergeblichkeit.

Althea und Curian indes schritten über die Bohlen, die Sonne im Rücken, während Swafnild wortlos den Weg die Klippen hinauf nahm. Sie kam nach gut zwei Stunden zurück – und hielt Althea ein Stück Pergament entgegen. „Hier“, sagte sie nur.

Althea entfaltete es. Die Linien, das Pergament – es war vertraut, zu vertraut. Fast deckungsgleich mit dem Kartenstück, das sie von Hjore Ahrensson erworben hatten. Nur feiner, sauberer, mit mehr Selbstverständlichkeit gezeichnet. War das andere Stück eine plumpe Fälschung? Oder gab es mehrere Varianten, abgeschrieben, verkauft, weitergereicht? Althea spürte, wie ihr Magen sich leicht zusammenzog.

Die Zwerge oben an Deck verfolgten die Szene mit misstrauischen Blicken. „Ich habe ohnehin eine Ladung Zwerge an Bord“, meinte Swafnild, die Blicke auffangend. „Wenn ihr wollt, nehme ich euch noch ein Stück mit. Für mich geht’s weiter die Küste runter.“

Althea erwiderte den Blick ruhig. „Wir reisen gerne bis Kord mit.“

So kam es, dass sie noch in derselben Nacht, mit Wind im Rücken, Kord erreichten.

Es war Mitternacht des 27. Praios, als die „Hjallandstolz“ im Hafen festmachte. Die Zwerge stürmten über die Planken, als sei das Schiff in Flammen aufgegangen. Swafnild reichte Althea die Hand zum Abschied. „Vielleicht sieht man sich wieder.“ – „Vielleicht“, erwiderte Althea, und die Hand war fest, fast freundschaftlich.

Dann trat sie an Land – und fand ihre Gefährten bereits in einer Front aufgestellt, die Arme verschränkt, die Gesichter hart. „Glaub ja nicht, dass wir von hier mit dem Schiff weiterreisen“, knurrte Keldi. „Nie wieder Schiffe“, legte Hurdin nach. Tondar nickte grimmig, und Furka spuckte demonstrativ zur Seite.

Einen Augenblick lang stand nur die Brandung im Hintergrund. Dann räusperte sich Curian, die Hände locker auf seinen Stab gestützt. Sein Blick wanderte von den Zwergen zur Straße hinauf. „Nicht die schlechteste Idee“, sagte er trocken. „Hier beginnt wieder die zivilisierte Welt. Von Kord aus erreicht man jeden Ort um Prem – und das ganz ohne Nächte unter offenem Himmel.“

Ein müdes Lächeln zuckte über Altheas Lippen. Die Knödelei der Westküste war zu Ende.
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