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Was ist mehr wert: Ein oder mehrere Leben?
#1
Es kam ja neulich im Filme-Thread die Aussage auf, dass man, um es salopp zu sagen, ein Menschenleben für viele opfern kann.
Nun wollt ich mal wissen, wie ihr dazu steht.

Unterscheiden muss man ja erstmal zwischen zweierlei:
Entscheide ich selbst (wozu es hier ja bereits einen Thread gibt)
oder entscheiden andere darüber? (und darum soll es hier gehen)

Also, nehmen wir mal an, dass ich in einem Flugzeuge sitze (Gott bewahre! *flugangst*) und dieses Flugzeug wird von bösen Menschen entführt und zum Bundestag geflogen, wo gerade eine hitzige Debatte darüber entsteht, ob Flugzeuge fürs Allgemeinwohl abgeschossen werden dürfen.
Und ihr seid der Entscheidungsträger, der sagen muss, obs so oder so knallt. (Jetzt bloß nicht sagen "Abschießen, ich mag die Calesca eh nicht!")

Meine Gedanken dazu:
Zum einen werden die Menschen in dem Flugzeug höchstwahrscheinlich sowieso sterben. Aber eine geringe Chance besteht, dass sie überleben. Sei es durch eine Befreiung des Flugzeugs, weil sich alle Passagiere zusammentun oder sei es dadurch, dass man nach dem Absturz irgendwie verletzt aber lebend liegen bleibt. Also kann man meiner Meinung nach nicht einfach sagen "Sterben eh, also abschießen."

Dann sind noch die Menschen, die vielleicht aus einem dummen Zufall oder Wink des Schicksals genau an der Stelle/in dem Gebäude sind, wo das Flugzeug ungeplant landen wird. Wie hoch ist die Chance, dass man im Vorhinein ahnen kann, wohin die Entführung geht? Man könnte im Voraus evakuieren oder den Dingen freien Lauf lassen und halt mal schauen, wo es hingeht und dann schnell reagieren.

Und jetzt sitze ich im Flugzeug, bin schlecht gelaunt, weil ich mich so ungern entführen lasse und dann rufst du als Entscheidungsträger an und fragst mich, was du tun sollst.
Dann werde ich höchstwahrscheinlich sagen:
"Hab keinen Bock auf so nen Tod. Ich will im Himmel (oder ehr der Hölle) sagen dürfen, dass es böse Terroristen waren und nicht meine eigene Regierung!"
So eine Entführung ist eine ziemlich ungeplante Aktion für mich, aber wenn es passiert, dann muss ich sagen "Naja, Schicksal, ist klar, dass gerade ich in diesem verdammten Flieger sitze." Mehr oder weniger einfach gesagt: Ein verdammter Unfall in meinem Lebenslauf.
Aber wenn die Entscheidung kommt, uns abzuschießen, dann ist das eine überlegte Aktion von vernünftig agierenden Leuten, die gerade Menschen zum Tod verurteilen, weil sie denken, dass sie damit andere retten würden. Was passiert aber, wenn du nen Flugzeug mit 200 Leuten abschießt, um ein Gebäude zu retten, wo 50 drin sind? Mahlzeit.
Ein geplanter Abschuss ist kein "Unfall in meinem Lebenslauf" mehr, das ist dann ziemlicher Mord. Aber sie Entscheidungsträger werden von sich behaupten, dass die Terroristen Morde begehen wollten, aber die Regierung nur Menschen retten wollte und deswegen andere geopfert haben. Mord bleibt Mord.

Kein Mensch sollte Macht über andere haben. Nicht über meine Gedanken, meinen Körper und erst Recht nicht über mein Leben! Ich weiß nicht, wieviele Chancen ich habe, aber ich gehe von einer aus, mein Leben zu leben. Und das Ende möchte ich nicht in fremde Hände legen. Ich muss mich in meinem ganzen Leben selber durchschlagen, aber beim Ende soll ich andere machen lassen (Ich bin übrigens für Sterbehilfe, aber das nur nebenher)? Ich will meine Chance nutzen und ich habe keine Lust auf einen Märtyrer-Tod, wo gesagt wird, dass ich gestorben bin, um andere zu retten. Was gehen mich die anderen an? Wenn es Familie/Freunde wären, ok ... aber würden sich die anderen auch um mich und mein Wohlergehen kümmern?

Wenn jemand stirbt ist das immer sehr viel Leid für seine Umgebung - für die Eltern, für die Freunde, für die nähere Umgebung. Und ist es nicht besser, seine Wut auf die bösen Terroristen zu lenken anstatt sagen zu müssen, dass die Regierung die Tochter/die Freundin/whatever getötet hat? Beides ist ein sinnloser Tod, aber ich sehe da immernoch den Unterschied zwischen "Da konnte man nichts machen, ist halt entführt worden" oder "Ich hätte da was machen können, aber ich hab den Abschuss trotzdem befohlen."

Sollte ich jemals in dieser Lage sein, dass mich jemand anders retten kann, indem er sich opfert, dann würde ich das Angebot ablehnen. Mein Leben ist nicht mehr wert als ein anderes, jeder hat das selbe Recht und ich bin vielleicht in einer richtig miesen Situation gelandet - aber deswegen muss nicht jemand anders für mich leiden.

Das ist alles meine ureigenste Meinung und niemand muss damit einverstanden sein. Und jetzt erzählt mal, was ihr machen würdet, wie ihr darüber denkt.
For what it's worth, I'm glad it's you. It was nice to be happy ... for a while.
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#2
(27.12.2008, 10:29)Calesca schrieb: Es kam ja neulich im Filme-Thread die Aussage auf, dass man, um es salopp zu sagen, ein Menschenleben für viele opfern kann.
Man kann viel salopp sagen und die Frage kann man so auch sicher diskutieren. Da es aber um eine Aussage von mir ging, möchte ich, daß da keine Mißverständnisse aufkommen. ;) Daher eine Klarstellung dazu.

Es ging um das Ende des Filmes "Children of Men", indem gemutmaßt werden kann, daß die Mutter des einzigen Babys der ansonsten unfruchtbaren Menschheit sich wohl nach Ende des Films als medizinisches Versuchkaninchen wiederfinden wird. Und es wurde diskutiert, ob diese Tatsache allein wohl schon einem Happy End entgegenstehen kann. Ich schrieb dazu: "Was ist das Schicksal der einen Frau gegen dasjenige der ganzen Menschheit?"

Damit habe ich die von Calesca hier gestellte Frage überhaupt nicht beantwortet. Es ging nicht darum, daß die Frau getötet werden sollte, sondern daß ihr eine sehr unangenehme Zeit bevorsteht und sie einiges an Tests über sich ergehen lassen müssen wird. Das ist schonmal ein Unterschied. - Aber selbst wenn es um den Tod einer Person oder einer relativ kleinen Personengruppe geht, dann würde es aus meiner Sicht wohl einen himmelweiten Unterschied machen, ob die Opferung zur Rettung von einer begrenzten - wenn auch großen - Zahl an Menschen erfolgen soll oder zum Überleben der Rasse Mensch an sich notwendig ist.

Ich bin strikt gegen eine Abwägung Leben gegen Leben und ein großer Freund der sehr klaren Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Luftsicherheitsgesetz, auf die Calesca mit ihrem Beispiel anspielt. Ich möchte nicht sterben und ich wünsche auch sonst niemandem den Tod. Für mich hat das Menschenleben einen hohen Stellenwert. Aber ob nun viele Menschen gerettet werden können oder nicht, selbst wenn das Flugzeug auf ein Atomkraftwerk alter Bauweise zusteuert - ich finde, es darf den legitimiert tötenden Staat nicht geben (Ausnahmen sind der "finale Rettungsschuß", bei dem es wirklich nur den oder die Täter trifft, die jederzeit durch Aufgabe verhindern könnten, daß sie abgeschossen werden oder eben militärische Aktionen, bei denen Soldaten andere Kombattanten bekämpfen). Menschenleben dürfen schon gar nicht nur zu einer rechnerischen Größe für den Staats werden.

Für den Fall, daß das Überleben der gesamten Rasse Mensch mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit davon abhängt, daß bestimmte Opfer erbracht werden, behalte ich mir da aber vor, andere Maßstäbe anzulegen. Das ist meines Erachtens ein noch höherer Wert. Ob schon der Erhalt eines "Volkes" ausreicht, um Menschenleben zu opfern, bin ich sehr im Zweifel. Der Fortbestand der Menschheit aber eben wohl doch. Wobei das ja zum Glück eine rein hypotheische Frage ist.
"Haut die Säbel auffe Schnäbel."
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#3
Zurgrimm, ich hab deine Aussage auch nur benutzt, um mein Gehirn dazu anzustiften, sich dieser Frage zu stellen - und euch dann im Nachhinein dazu eingeladen, mitzumachen.
For what it's worth, I'm glad it's you. It was nice to be happy ... for a while.
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#4
Letztendlich ist man sowieso allein mit seinem Gewissen (wenn man eines hat :evil:). Gesetze können viele reale Situationen einfach nicht abdecken.

Ich glaube, wer das beste aus so einer Situation machen will, handelt einfach nach Gefühl. (Womit nicht der Weg des geringsten Widerstands gemeint ist). Es gibt ja gar keine „richtige“ Lösung, und man verliert immer (Drama Tragödie im ursprünglichen Sinn).
Ähnliche Probleme machen die Aussagen unter Folter.
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#5
Hui, ich fühle schon, es wird gefährlich, hier irgendwie zu argumentieren. Daher gleich mal eins vorweg: Das hier sind (erstmal) nur ein paar halbgare, spontane Ideen zu dem, was du geschrieben hast. Das hier ist eine beim Schreiben entstandene Meinung, also alles andere gefestigt und so. ;)
Ach ja: Die gehäufte Verwendung des Konjuktivs in diesem Text hat ihren Sinn. Wir wissen ja alle, dass Theorie und Praxis zwei verschiedene Dinge sind. ;)

(27.12.2008, 10:29)Calesca schrieb: Zum einen werden die Menschen in dem Flugzeug höchstwahrscheinlich sowieso sterben. Aber eine geringe Chance besteht, dass sie überleben. Sei es durch eine Befreiung des Flugzeugs, weil sich alle Passagiere zusammentun oder sei es dadurch, dass man nach dem Absturz irgendwie verletzt aber lebend liegen bleibt. Also kann man meiner Meinung nach nicht einfach sagen "Sterben eh, also abschießen."
Solange diese Möglichkeit (ich sag jetzt mal "in relevantem Maße", ohne das näher zu definieren) noch besteht, bin ich auch unter allen nur erdenklichen Umständen gegen einen Abschuss!
So eine Entführung fängt ja bekanntlich im Flugzeug an. Ich stell mir mal vor, ich sitze in einem Flugzeug, das gerade entführt wird. Dann gibt es drei Möglichkeiten:
  1. Die Entführer sagen den Passagieren, dass sie das Flugzeug ins nächste Hochhaus fliegen wollen (-> Ich werde sterben),
  2. sie sagen, dass sie nur mal kurz in die Karibik Urlaub machen wollen (-> Ich werde wahrscheinlich nicht sterben) oder
  3. sie sagen nichts (-> Ich weiß nicht, was passieren wird).
Fall 1 ist klar.
Fall 3 im Prinzip auch: Wenn ich in einem Flugzeug sitze, das entführt wird und meine Entführer mir nicht glaubhaft vermitteln können, dass sie mich nicht umbringen werden, muss ich davon ausgehen, dass sie es tun! Wenn jemand mit einer Waffe auf mich zielt, muss ich davon ausgehen, dass er sie auch einsetzt! Alles andere wäre grob fahrlässiger Umgang mit meinem eigenen Leben. Insbesondere bei all dem, was man über Flugzeugentführungen so weiß. Folglich müsste ich in dieser Situation alles versuchen, was mir einfällt, um mein Leben zu retten. Und nebenbei natürlich das der anderen Passagiere.

Calesca schrieb:Und jetzt sitze ich im Flugzeug, bin schlecht gelaunt, weil ich mich so ungern entführen lasse und dann rufst du als Entscheidungsträger an und fragst mich, was du tun sollst.
Dann werde ich höchstwahrscheinlich sagen:
"Hab keinen Bock auf so nen Tod. Ich will im Himmel (oder ehr der Hölle) sagen dürfen, dass es böse Terroristen waren und nicht meine eigene Regierung!"
Für mich kann ich diese Überlegung eher nicht nachvollziehen. Sterben tut jeder irgendwann. Die einzige Möglichkeit, Art und Zeitpunkt selber zu bestimmen, ist Selbstmord. In allen anderen Fällen ist jemand anderes daran "Schuld". Und hier? Ob ich jetzt Terroristen oder eine Regierung dafür verantwortlich mache, es ist immer ein anderer (also nicht ich). Wer für meinen Tod die Verantwortung trägt, wäre mir in dem Moment, in dem ich selbigen vor Augen habe, mit Sicherheit auch scheißegal.
Die einzige Möglichkeit, die ich also habe, ist, aufzustehen und diesem Terroristen an die Kehle zu springen. "Gesunden Egoismus" nenne ich das mal, denn gefährden tu ich damit bestimmt keinen, da alle anderen Passagiere in genau derselben Situation sind und genau dieselben Folgen zu erwarten haben wie ich. (Gut, sie sterben vielleicht 20 Minuten später, weil ich bei meinem Versuch erschossen werde.)
Es kann eigentlich nur helfen, etwas zu unternehmen. Entweder der Versuch gelingt oder nicht. Im zweiten Fall sterben alle. Im ersten Fall sterbe "höchstens ich" (auch wenn andere mitgemacht haben, bedeutet das für jeden von ihnen, dass "höchstens sie selbst" sterben!).
Das ist jetzt eine Rechnung, die ich auch für mich persönlich, ganz ohne "kalte Rationalität" nachvollziehen kann, sprich: Das fänd ich ethisch okay.

Calesca schrieb:Ich weiß nicht, wieviele Chancen ich habe, aber ich gehe von einer aus, mein Leben zu leben. Und das Ende möchte ich nicht in fremde Hände legen. Ich muss mich in meinem ganzen Leben selber durchschlagen, aber beim Ende soll ich andere machen lassen (Ich bin übrigens für Sterbehilfe, aber das nur nebenher)? Ich will meine Chance nutzen und ich habe keine Lust auf einen Märtyrer-Tod, wo gesagt wird, dass ich gestorben bin, um andere zu retten.
Das seh ich genauso. Daher: Wehren. Das ist das einzige, was für mich dann noch zählen würde: Ob ich in der entsprechenden Situation alles getan habe, um mein Leben zu verteidigen - oder eben nicht. Und dieses "nicht" ist dann auch das einzige, was ich nachher bereuen müsste (wenn ich noch könnte).

So viel zur Situation im Flugzeug.

Über die Frage "Abschuss oder nicht" darf man überhaupt erst nachdenken, wenn man sonst nichts ("besseres") mehr machen kann. Das ist klar. Unter diesem Gesichtspunkt ist das eigentliche Problem die Entscheidung der Frage, ab wann man sonst nichts mehr machen kann. Die Frage für die Leute am Boden ist also, ab wann sie davon ausgehen können, dass der Versuch einer Befreiung des Flugzeugs durch Leute an Bord der Maschine (Passagiere/Flugsicherheitsbegleiter) gescheitert ist. Blöderweise müssen sie halt irgendwann davon ausgehen, damit sie handeln können.
Das ist also die eigentliche Frage? Ab wann darf man von außen eingreifen? Wenn man diesen Zeitpunkt eindeutig bestimmen könnte, wäre der Rest nicht mehr so schwer. Denn wenn klar ist, dass es keine andere Möglichkeit mehr gibt, als dass man draußen jetzt irgendetwas tut (z.B. den Abschuss befehlen) - dann muss man wohl irgendetwas tun. Und da mir sonst gerade keine andere Möglichkeit einfällt, diese Bedrohung ohne Opfer zu beenden, geht es für die Entscheidungsträger schließlich "nur noch" um Schadensbegrenzung (was ja immerhin weitere Menschenleben sind!).
Nur leider lässt sich diese Frage halt nicht so leicht klären...

In der Informatik nennt man sowas "partiell entscheidbar": Wenn das Flugzeug abgestürzt oder sicher gelandet ist, kann ich davon ausgehen, dass der Rettungsversuch an Bord erfolgreich war. Aber solange das Flugzeug noch auf das Gebäude zufliegt, kann nicht sagen, ob der Versuch erfolgreich war, gerade im Gange ist oder überhaupt nicht stattgefunden hat. Und in diesem Fall kann ich eben nicht davon ausgehen, dass schon alles versucht wurde.
Oder anders: Ich kann die Frage "Abschuss oder nicht" nur entscheiden, wenn das Flugzeug sicher gelandet ist.
Partiell entscheidbare Probleme sind übrigens unentscheidbare Probleme. ;)

Calesca schrieb:Was passiert aber, wenn du nen Flugzeug mit 200 Leuten abschießt, um ein Gebäude zu retten, wo 50 drin sind? Mahlzeit.
Die Frage ist dann aber nicht, ob 200 oder 50, sondern ob 200 oder 250. Wenn es sicher ist, dass die 200 definitiv sterben (nochmal: das ist die Voraussetzung!) und man sich entschlossen hat, irgendwie zu handeln, dann ist es natürlich klar, dass man versucht, wenigstens die 50 im Gebäude zu retten. Ganz rational wäre das dann die richtige Entscheidung. (Noch rationaler wäre es eigentlich, (wenn überhaupt) die 50 zu opfern, um die 200 zu retten. Aber man kann ja schlecht das Gebäude wegbomben, damit das Flugzeug Platz hat.)
Was natürlich noch dazu kommt, sind die "äußeren Umstände". Nehmen wir mal das Szenario mit 200 Leuten im Flugzeug und 50 im Gebäude. Wo steht das Gebäude? Wieviele Menschen sind um das Gebäude herum? Ich nenn das jetzt mal so: Wie hoch wäre der "Kollateralschaden" (Unwort, ich weiß... *hust*), wenn das Flugzeug in das Gebäude fliegt? Wie hoch wäre er, wenn das Flugzeug abgeschossen würde? Wenn man das auch noch berücksichtigt, ist es am Ende vielleicht sogar "sinnvoller" (aua...), das Flugzeug fliegen zu lassen? Da muss man dann im konkreten Fall ganz eiskalt kalkulieren.
Das geht sonst auch gar nicht. Sobald man in der Situation anfängt, über diese Dinge nachzudenken, hat man schon verloren. Diese ganzen ethischen Fragen muss man vorher für sich klären (oder nachher, was aber nicht optimal ist). Aber im Ernstfall darf man sich Zweifel nicht erlauben, sonst wird man unfähig, überhaupt irgendeine Entscheidung zu treffen. Deshalb muss das auch jemand machen, der das auch kann. Der dann seine Gefühle abschalten und "auf den Knopf drücken" kann.

Mir fällt dazu nochwas ein, was zugegebenermaßen etwas provokativ ist. Und dann hab ich's auch noch satirisch überspitzt formuliert. Ich will den Gedanken trotzdem teilen:

Wenn man das jetzt weiterdenkt, könnte man sogar zu dem Schluss kommen, dass es ungerecht ist, diesen Menschen überhaupt in die Situation zu bringen (dazu zu zwingen), über das Leben eines anderen (nämlich meines) entscheiden zu müssen. Ich finde, man kann niemandem, der in der Situation war, eine solche Entscheidung treffen zu müssen, im Nachhinein etwas vorwerfen. Was hätte er tun sollen? Selbst keine Entscheidung ist auch eine Entscheidung.
Kann ich also jemand anderen dafür verantwortlich machen, wenn er eine Entscheidung trifft, die ich selbst zu treffen nicht fähig war? Liegt es nicht an meinem eigenen Versagen als Entführtem (keine Entscheidung ist auch eine Entscheidung), dass jetzt jemand anderes sich mit der Frage auseinander setzen muss, ob und wie mein Leben beendet wird? Okay, diese Frage stellt sich mir natürlich nicht mehr, wenn ich in diesem Flugzeug war, aber ist da nicht was Wahres dran?

Makaber und zynisch? Vielleicht. Aber es heißt ja immer, man solle zuerst vor der eigenen Tür kehren. :D

Calesca schrieb:Ein geplanter Abschuss ist kein "Unfall in meinem Lebenslauf" mehr, das ist dann ziemlicher Mord. Aber sie Entscheidungsträger werden von sich behaupten, dass die Terroristen Morde begehen wollten, aber die Regierung nur Menschen retten wollte und deswegen andere geopfert haben. Mord bleibt Mord.

Kein Mensch sollte Macht über andere haben. Nicht über meine Gedanken, meinen Körper und erst Recht nicht über mein Leben!
Ich glaube, dieser Weg, an die Frage heranzugehen, funktioniert so nicht. Wenn es darum geht, den Fortbestand der eigenen Art zu sichern (und ich behaupte, das ist eine solche Entscheidung im Prinzip - nur, dass es im Kleinen nicht wirklich artgefährdend ist), dann geht es nicht um Recht oder Unrecht oder gerecht. Und auch nicht um Kosten oder Nutzen für den einzelnen.
Rechtsstaat schön und gut (ich bin auch froh, dass wir ihn haben), aber solche ethischen Fragen stehen über Recht und Staat. Durch letztere erhält Ethik ja nur eine verbindliche Form. Und Arterhaltung steht über Ethik - jedenfalls, wenn es um die eigene geht.
Und so muss man diese Probleme auch irgendwie betrachten, sonst werden sie immer unentscheidbar bleiben.
Das ist so, als wollte jemand aus der zweiten Dimension die dritte Dimension verstehen. Das geht einfach nicht. Für ein zweidimensionales Wesen wird ein Würfel immer ein Quadrat bleiben. Klar? ^^


Ach ja, den Disclaimer übernehm ich: :D
Calesca schrieb:Das ist alles meine ureigenste Meinung und niemand muss damit einverstanden sein.
Great people care.
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#6
(28.12.2008, 00:54)Boneman schrieb: Unter diesem Gesichtspunkt ist das eigentliche Problem die Entscheidung der Frage, ab wann man sonst nichts mehr machen kann. Die Frage für die Leute am Boden ist also, ab wann sie davon ausgehen können, dass der Versuch einer Befreiung des Flugzeugs durch Leute an Bord der Maschine (Passagiere/Flugsicherheitsbegleiter) gescheitert ist.
Mit einem solchen Versuch kann man wohl nicht ernstlich rechnen. Die Leute an Bord wissen in aller Regel nichts darüber, daß sie mit den Geiselnehmern sterben werden. Die Hoffnungslosigkeit ist dann noch nicht so groß, daß Helden entstehen. Von den 4 in Amerika am 11. September entführten Flugzeugen kam es ja nur in einem davon zur Revolte. Und eine solche Revolte hat normalerweise keine große Aussicht auf Erfolg. Die Täter in Amerika waren "nur" mit Teppichmessern bewaffnet. Und trotzdem konnten es die Passagiere nicht schaffen, zu überleben. - Ich denke schon, daß es in Extremsituationen denkber ist, daß man mit Sicherheit davon ausgehen kann, daß die Menschen an Bord eines gekaperten Flugzeugs sterben werden. So etwa, wenn die Geiselnehmer ihre Absichten offengelegt haben, zu meheren sind und schon relativ kurz vor dem Ziel.

(28.12.2008, 00:54)Boneman schrieb: Das ist also die eigentliche Frage? Ab wann darf man von außen eingreifen? Wenn man diesen Zeitpunkt eindeutig bestimmen könnte, wäre der Rest nicht mehr so schwer. Denn wenn klar ist, dass es keine andere Möglichkeit mehr gibt, als dass man draußen jetzt irgendetwas tut (z.B. den Abschuss befehlen) - dann muss man wohl irgendetwas tun. Und da mir sonst gerade keine andere Möglichkeit einfällt, diese Bedrohung ohne Opfer zu beenden, geht es für die Entscheidungsträger schließlich "nur noch" um Schadensbegrenzung (was ja immerhin weitere Menschenleben sind!).
Du setzt dabei immer voraus, daß es überhaupt eine Entscheidung geben darf. Meines Erachtens geht es aber nicht nur um das "Wann", sondern um das "Ob" überhaupt. Milde Mittel (Abdrängen des Flugzeugs, Verhandeln) darf ich immer anwenden. Aber die Handlung, die Du vorschlägst, führt zum vorzeitigen Tod der Insassen des Flugzeugs. Ich meine, man muß hier mir dem Bundesverfassungsgericht 2 grundsätzliche Wertungen beachten:

- Es darf keine Abwägung Leben gegen Leben geben. Das bedeutet, daß 200 Leben nicht mehr wert sind 250 und ein Leben nicht mehr als eine Million. Ich darf nicht einen unschuldigen (!) Menschen erschießen, um 'zig andere zu retten. Da ich ein Leben nicht einem anderen oder vielen anderen entgegensetzen kann, kann ich das "kalte Zahlenspiel" einfach nicht betreiben. Menschenleben dürfen niemals in bloßen Zahlen bemessen werden. Jedes einzelne Individuum hat Anspruch darauf, daß der Staat sein Leben nach Kräften schützt. Vielleicht klappt das nicht immer, aber aktiv beenden darf er es nicht.

- Es ist egal, wie lange die Menschen an Bord des Flugzeuges voraussichtlich noch leben werden. Mord bedeutet Lebensverkürzung. Ob das Leben um 50 Jahre oder 5 Minuten verkürzt wurde, spielt dabei keine Rolle. Ein 100jähriger Mensch ist auch nicht weniger schutzwürdig, als ein 5jähriger. Diese Sichtweise gebietet (für mich) der Respekt vor dem menschlichen Leben.

Die Grundfrage bleibt immer die gleiche: Darf der Rechtsstaat unschuldige Menschen opfern? Ich möchte diese Frage mit einem klaren Nein beantworten. Das ist bitter, wenn man in dem Hochhaus sitzt, in das das Flugzeug krachen wird, oder neben dem Atomkraftwerk, das getroffen wird. Aber die ganze Situation ist (wie Calesca schon sagt) ein Unfall. Entweder ich (als Rechtstaat) kann ihn mit rechtsstaatlichen Mitteln abwehren oder ich kann das nicht. Wenn ich hier nicht-rechtsstaatliche Mittel zulasse, bin ich im nächsten Schritt dabei, "aggressive Verhöre", also Folter, zu erlauben, damit ich Terroranschläge besser verhindern kann.

Natürlich würde ich das als "vermeidbares" Opfer in der Situation anders sehen. Da würde ich inständig hpffen, daß jemand seine Kompetenzen überschreitet und das Flugzeug abschießt, bevor es in das Haus stürzt, in dem ich sitze. Aber das folgt nur daraus, daß einem die Konsequenz und Rationalität abgeht, wenn es ums eigene Leben geht. Da wäre der Selbsterhaltungstrieb einfach stärker. Das ändert aber nichts daran, was ich abstrakt für richtig befinde.

Daher gibt es meines Erachtens gar keine Entscheidung, die jemand am Boden treffen könnte bzw. dürfte. Tut er es doch, mißachtet er die Menschenwürde der Unschuldigen an Bord, indem er sie nur als "das geringere Opfer" zum Abschuß freigibt.

(28.12.2008, 00:54)Boneman schrieb: Rechtsstaat schön und gut (ich bin auch froh, dass wir ihn haben), aber solche ethischen Fragen stehen über Recht und Staat.
In gewissem Rahmen tun sie das tatsächlich. Es ist nur eben ein Unterschied, ob ich etwas tun darf (weil es o.k. so ist) oder ob man mir eine - eigentlich falsche - Entscheidung nicht vorwerfen kann, weil es eine Gewissensentscheidung ist, die jeder respektieren muß. Das deutsche Strafrecht unterscheidet treffend zwischen Rechtfertigungsgründen und Entschuldigungsgründen. Wer in dieser Situation ein Flugzeug abschießt und Unschuldige tötet, um andere zu retten, ist nicht gerechtfertigt, weil diese Entscheidung rechtsstaatlich nicht in Ordnung und auch nicht tolerabel ist. Er ist aber (übergesetzlich) entschuldigt, weil man diese Gewissensentscheidung einfach respektieren muß.

Wer sich allerdings so entscheidet, stellt sich auf die Seite des Unrechts. Das mag folgendes (natürlich frei erfundenes) Beispiel zeigen:

Das Passagierflugzeug mit 100 Unschuldigen an Bord ist entführt und es besteht kein Zweifel, daß es in unmittelbarer zeitlicher Nähe in ein Hochhaus krachen und mehrere tausend Menschen (Evakuierung so schnell nicht mehr möglich) töten wird.
Militärflugzeuge sind aufgestiegen und erreichen das Flugzeug, auf weitere Befehle wartend. Ein Abdrängen ist nicht mehr möglich.
Der Verteidigungsminister (war im LuftSG so vorgesehen) gibt den Befehl zum Abschuß. Kampfpilot A will den Befehl ausführen und teilt das auch per Funk mit. Er hat entsichert und wird zweifellos gleich feuern. Kampfpilot B kann die Tötung Unschuldiger nicht mit seinem Gewissen vereinbaren. Er schießt den Jet des A ab. Das Passagierlugzeug kracht 10 Minuten später in das Hochhaus und tausende Menschen (darunter die 100 Unschuldigen im Flugzeug) sterben.

Hier ist Kampfpilot B gerechtfertigt, denn Kampfpilot A hat sich auf die Seite des Unrechts gestellt. Den Befehl seines Ministers darf er nicht ausführen, weil der offensichtlich rechtswidrig ist. Der kann ihn nicht rechtfertigen. Hätte er das Flugzeug abgeschossen, wäre er (nur) entschuldigt gewesen, aber rechtlich in Ordnung wäre es eben nicht gewesen, sondern Totschlag. Kampfpilot B hat also Nothilfe für die unschuldigen Menschen an Bord geleistet, als er B abgeschossen hat. Damit ist er gerechtfertigt, denn das war rechtsstaatlich in Ordnung.

Das ist eine harte Entscheidung, aber sie ist Folge klarer Regeln des Rechtsstaates. Die sollten meines Erachtens nicht ausfgeweicht werden.
"Haut die Säbel auffe Schnäbel."
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#7
Karlsruhe verhandelt erneut Luftsicherheitsgesetz
Zitat:Das Bundesverfassungsgericht beschäftigt sich seit heute erneut mit der Frage, wie mit entführten Flugzeugen verfahren werden darf. Vor vier Jahren hatte Karlsruhe einen Abschuss verboten. Doch was ist die Alternative? Diese Frage wollen die Länder Bayern und Hessen geklärt wissen.
Great people care.
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#8
Mag jetzt etwas zynisch klingen, aber kennt hier jemand den Trailer zu "Postal"? :rolleyes:
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#9
:ot: Auf welche Themen man hier so stößt nach ein bischen Stöberei. :)

Ein wenig wundert mich, dass hier der Utilitarismus nach Jeremy Bentham keine Berücksichtigung gefunden hat. Demzufolge ist ja jene Handlung gerechtfertigt und anzustreben, welche das größtmögliche Maß an Glück für alle hervorbringt, was im Umkehrschluss bedeutet, dass ein Maximum an Leid zu verhindern ist.
Dieser Lesart folgend wäre also das Leben vieler mehr wert als das Leben weniger, da der Tod vieler mehr Leid hervorbrächte als der Tod weniger. Natürlich nur unter der Prämisse, dass vom Tod eines einzelnen Menschen immer gleichviele, andere Menschen betroffen wären - der Verlust eines Menschenlebens also immer Leid gleichen Ausmaßes bedeutete.

Aber dies ist natürlich auch wieder nur eine mögliche Antwort einer Denkschule auf eine Frage, auf welche es keine endgültige, richtige Antwort geben kann.
"Alrik war durstig und hat getrunken."
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#10
Ich neige eigentlich auch zum Utilitarismus, nur gibt es bei purem Utilitarismus ein paar Probleme:
1. Das größtmögliche Glück ist schwer zu definieren.
2. Utilitarismus ist zu demokratisch. Wenn 80% der Leute entscheiden, dass die anderen 20% sie unglücklich machen, wäre es von einem (naiven) utilitaristischen Standpunkt aus vertretbar, diese 20% z.B. zu verbannen (oder schlimmeres), um die restlichen 80% glücklich zu machen.
3. Die genaue Entscheidung hängt von deinem Wissen in der jeweiligen Situation ab (wie Alrik schon angemerkt hat). Im klassischen Trolley-Gedankenexperiment (Wagen wird in Kürze 5 Personen überfahren; du hast die Möglichkeit, den Wagen auf ein anderes Gleis umzuleiten, wo nur 1 Person überfahren würde) würde der Utilitarist den Wagen umlenken: 5 Tote sind schlimmer als 1 Toter. Aber was ist, wenn diese eine Person z.B. ein Arzt ist, der kurz vor dem Durchbruch für ein tolles Heilmittel ist? Ein Diplomat, der gerade einen Friedensvertrag aushandeln möchte? Dann mag der eine Tod viele weitere nach sich ziehen. Sofern man das nicht weiß, ist die Enscheidung, den Wagen umzulenken, meiner Meinung nach dennoch die richtige, denn die Chance, eine "wichtige" Person zu erwischen, ist bei den 5 Leuten noch größer.
Man kann auch utilitaristische Entscheidungen beliebig kompliziert und verdreht machen, z.B. ließe sich auch utilitaristisch rechtfertigen, dass man die Entscheidung vom Alter der Leute abhängig macht, vom Beruf, von Einfluss oder Geld ...
Hallo, ich bin's - der Bart von Fidel Castro. Und mir ist total langweilich nie geschnitten wurde.
I'm a roleplayer. My dice are like my relationships: platonic and unlucky.
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