Themabewertung:
  • 0 Bewertung(en) - 0 im Durchschnitt
  • 1
  • 2
  • 3
  • 4
  • 5
Was ist mehr wert: Ein oder mehrere Leben?
#5
Hui, ich fühle schon, es wird gefährlich, hier irgendwie zu argumentieren. Daher gleich mal eins vorweg: Das hier sind (erstmal) nur ein paar halbgare, spontane Ideen zu dem, was du geschrieben hast. Das hier ist eine beim Schreiben entstandene Meinung, also alles andere gefestigt und so. ;)
Ach ja: Die gehäufte Verwendung des Konjuktivs in diesem Text hat ihren Sinn. Wir wissen ja alle, dass Theorie und Praxis zwei verschiedene Dinge sind. ;)

(27.12.2008, 10:29)Calesca schrieb: Zum einen werden die Menschen in dem Flugzeug höchstwahrscheinlich sowieso sterben. Aber eine geringe Chance besteht, dass sie überleben. Sei es durch eine Befreiung des Flugzeugs, weil sich alle Passagiere zusammentun oder sei es dadurch, dass man nach dem Absturz irgendwie verletzt aber lebend liegen bleibt. Also kann man meiner Meinung nach nicht einfach sagen "Sterben eh, also abschießen."
Solange diese Möglichkeit (ich sag jetzt mal "in relevantem Maße", ohne das näher zu definieren) noch besteht, bin ich auch unter allen nur erdenklichen Umständen gegen einen Abschuss!
So eine Entführung fängt ja bekanntlich im Flugzeug an. Ich stell mir mal vor, ich sitze in einem Flugzeug, das gerade entführt wird. Dann gibt es drei Möglichkeiten:
  1. Die Entführer sagen den Passagieren, dass sie das Flugzeug ins nächste Hochhaus fliegen wollen (-> Ich werde sterben),
  2. sie sagen, dass sie nur mal kurz in die Karibik Urlaub machen wollen (-> Ich werde wahrscheinlich nicht sterben) oder
  3. sie sagen nichts (-> Ich weiß nicht, was passieren wird).
Fall 1 ist klar.
Fall 3 im Prinzip auch: Wenn ich in einem Flugzeug sitze, das entführt wird und meine Entführer mir nicht glaubhaft vermitteln können, dass sie mich nicht umbringen werden, muss ich davon ausgehen, dass sie es tun! Wenn jemand mit einer Waffe auf mich zielt, muss ich davon ausgehen, dass er sie auch einsetzt! Alles andere wäre grob fahrlässiger Umgang mit meinem eigenen Leben. Insbesondere bei all dem, was man über Flugzeugentführungen so weiß. Folglich müsste ich in dieser Situation alles versuchen, was mir einfällt, um mein Leben zu retten. Und nebenbei natürlich das der anderen Passagiere.

Calesca schrieb:Und jetzt sitze ich im Flugzeug, bin schlecht gelaunt, weil ich mich so ungern entführen lasse und dann rufst du als Entscheidungsträger an und fragst mich, was du tun sollst.
Dann werde ich höchstwahrscheinlich sagen:
"Hab keinen Bock auf so nen Tod. Ich will im Himmel (oder ehr der Hölle) sagen dürfen, dass es böse Terroristen waren und nicht meine eigene Regierung!"
Für mich kann ich diese Überlegung eher nicht nachvollziehen. Sterben tut jeder irgendwann. Die einzige Möglichkeit, Art und Zeitpunkt selber zu bestimmen, ist Selbstmord. In allen anderen Fällen ist jemand anderes daran "Schuld". Und hier? Ob ich jetzt Terroristen oder eine Regierung dafür verantwortlich mache, es ist immer ein anderer (also nicht ich). Wer für meinen Tod die Verantwortung trägt, wäre mir in dem Moment, in dem ich selbigen vor Augen habe, mit Sicherheit auch scheißegal.
Die einzige Möglichkeit, die ich also habe, ist, aufzustehen und diesem Terroristen an die Kehle zu springen. "Gesunden Egoismus" nenne ich das mal, denn gefährden tu ich damit bestimmt keinen, da alle anderen Passagiere in genau derselben Situation sind und genau dieselben Folgen zu erwarten haben wie ich. (Gut, sie sterben vielleicht 20 Minuten später, weil ich bei meinem Versuch erschossen werde.)
Es kann eigentlich nur helfen, etwas zu unternehmen. Entweder der Versuch gelingt oder nicht. Im zweiten Fall sterben alle. Im ersten Fall sterbe "höchstens ich" (auch wenn andere mitgemacht haben, bedeutet das für jeden von ihnen, dass "höchstens sie selbst" sterben!).
Das ist jetzt eine Rechnung, die ich auch für mich persönlich, ganz ohne "kalte Rationalität" nachvollziehen kann, sprich: Das fänd ich ethisch okay.

Calesca schrieb:Ich weiß nicht, wieviele Chancen ich habe, aber ich gehe von einer aus, mein Leben zu leben. Und das Ende möchte ich nicht in fremde Hände legen. Ich muss mich in meinem ganzen Leben selber durchschlagen, aber beim Ende soll ich andere machen lassen (Ich bin übrigens für Sterbehilfe, aber das nur nebenher)? Ich will meine Chance nutzen und ich habe keine Lust auf einen Märtyrer-Tod, wo gesagt wird, dass ich gestorben bin, um andere zu retten.
Das seh ich genauso. Daher: Wehren. Das ist das einzige, was für mich dann noch zählen würde: Ob ich in der entsprechenden Situation alles getan habe, um mein Leben zu verteidigen - oder eben nicht. Und dieses "nicht" ist dann auch das einzige, was ich nachher bereuen müsste (wenn ich noch könnte).

So viel zur Situation im Flugzeug.

Über die Frage "Abschuss oder nicht" darf man überhaupt erst nachdenken, wenn man sonst nichts ("besseres") mehr machen kann. Das ist klar. Unter diesem Gesichtspunkt ist das eigentliche Problem die Entscheidung der Frage, ab wann man sonst nichts mehr machen kann. Die Frage für die Leute am Boden ist also, ab wann sie davon ausgehen können, dass der Versuch einer Befreiung des Flugzeugs durch Leute an Bord der Maschine (Passagiere/Flugsicherheitsbegleiter) gescheitert ist. Blöderweise müssen sie halt irgendwann davon ausgehen, damit sie handeln können.
Das ist also die eigentliche Frage? Ab wann darf man von außen eingreifen? Wenn man diesen Zeitpunkt eindeutig bestimmen könnte, wäre der Rest nicht mehr so schwer. Denn wenn klar ist, dass es keine andere Möglichkeit mehr gibt, als dass man draußen jetzt irgendetwas tut (z.B. den Abschuss befehlen) - dann muss man wohl irgendetwas tun. Und da mir sonst gerade keine andere Möglichkeit einfällt, diese Bedrohung ohne Opfer zu beenden, geht es für die Entscheidungsträger schließlich "nur noch" um Schadensbegrenzung (was ja immerhin weitere Menschenleben sind!).
Nur leider lässt sich diese Frage halt nicht so leicht klären...

In der Informatik nennt man sowas "partiell entscheidbar": Wenn das Flugzeug abgestürzt oder sicher gelandet ist, kann ich davon ausgehen, dass der Rettungsversuch an Bord erfolgreich war. Aber solange das Flugzeug noch auf das Gebäude zufliegt, kann nicht sagen, ob der Versuch erfolgreich war, gerade im Gange ist oder überhaupt nicht stattgefunden hat. Und in diesem Fall kann ich eben nicht davon ausgehen, dass schon alles versucht wurde.
Oder anders: Ich kann die Frage "Abschuss oder nicht" nur entscheiden, wenn das Flugzeug sicher gelandet ist.
Partiell entscheidbare Probleme sind übrigens unentscheidbare Probleme. ;)

Calesca schrieb:Was passiert aber, wenn du nen Flugzeug mit 200 Leuten abschießt, um ein Gebäude zu retten, wo 50 drin sind? Mahlzeit.
Die Frage ist dann aber nicht, ob 200 oder 50, sondern ob 200 oder 250. Wenn es sicher ist, dass die 200 definitiv sterben (nochmal: das ist die Voraussetzung!) und man sich entschlossen hat, irgendwie zu handeln, dann ist es natürlich klar, dass man versucht, wenigstens die 50 im Gebäude zu retten. Ganz rational wäre das dann die richtige Entscheidung. (Noch rationaler wäre es eigentlich, (wenn überhaupt) die 50 zu opfern, um die 200 zu retten. Aber man kann ja schlecht das Gebäude wegbomben, damit das Flugzeug Platz hat.)
Was natürlich noch dazu kommt, sind die "äußeren Umstände". Nehmen wir mal das Szenario mit 200 Leuten im Flugzeug und 50 im Gebäude. Wo steht das Gebäude? Wieviele Menschen sind um das Gebäude herum? Ich nenn das jetzt mal so: Wie hoch wäre der "Kollateralschaden" (Unwort, ich weiß... *hust*), wenn das Flugzeug in das Gebäude fliegt? Wie hoch wäre er, wenn das Flugzeug abgeschossen würde? Wenn man das auch noch berücksichtigt, ist es am Ende vielleicht sogar "sinnvoller" (aua...), das Flugzeug fliegen zu lassen? Da muss man dann im konkreten Fall ganz eiskalt kalkulieren.
Das geht sonst auch gar nicht. Sobald man in der Situation anfängt, über diese Dinge nachzudenken, hat man schon verloren. Diese ganzen ethischen Fragen muss man vorher für sich klären (oder nachher, was aber nicht optimal ist). Aber im Ernstfall darf man sich Zweifel nicht erlauben, sonst wird man unfähig, überhaupt irgendeine Entscheidung zu treffen. Deshalb muss das auch jemand machen, der das auch kann. Der dann seine Gefühle abschalten und "auf den Knopf drücken" kann.

Mir fällt dazu nochwas ein, was zugegebenermaßen etwas provokativ ist. Und dann hab ich's auch noch satirisch überspitzt formuliert. Ich will den Gedanken trotzdem teilen:

Wenn man das jetzt weiterdenkt, könnte man sogar zu dem Schluss kommen, dass es ungerecht ist, diesen Menschen überhaupt in die Situation zu bringen (dazu zu zwingen), über das Leben eines anderen (nämlich meines) entscheiden zu müssen. Ich finde, man kann niemandem, der in der Situation war, eine solche Entscheidung treffen zu müssen, im Nachhinein etwas vorwerfen. Was hätte er tun sollen? Selbst keine Entscheidung ist auch eine Entscheidung.
Kann ich also jemand anderen dafür verantwortlich machen, wenn er eine Entscheidung trifft, die ich selbst zu treffen nicht fähig war? Liegt es nicht an meinem eigenen Versagen als Entführtem (keine Entscheidung ist auch eine Entscheidung), dass jetzt jemand anderes sich mit der Frage auseinander setzen muss, ob und wie mein Leben beendet wird? Okay, diese Frage stellt sich mir natürlich nicht mehr, wenn ich in diesem Flugzeug war, aber ist da nicht was Wahres dran?

Makaber und zynisch? Vielleicht. Aber es heißt ja immer, man solle zuerst vor der eigenen Tür kehren. :D

Calesca schrieb:Ein geplanter Abschuss ist kein "Unfall in meinem Lebenslauf" mehr, das ist dann ziemlicher Mord. Aber sie Entscheidungsträger werden von sich behaupten, dass die Terroristen Morde begehen wollten, aber die Regierung nur Menschen retten wollte und deswegen andere geopfert haben. Mord bleibt Mord.

Kein Mensch sollte Macht über andere haben. Nicht über meine Gedanken, meinen Körper und erst Recht nicht über mein Leben!
Ich glaube, dieser Weg, an die Frage heranzugehen, funktioniert so nicht. Wenn es darum geht, den Fortbestand der eigenen Art zu sichern (und ich behaupte, das ist eine solche Entscheidung im Prinzip - nur, dass es im Kleinen nicht wirklich artgefährdend ist), dann geht es nicht um Recht oder Unrecht oder gerecht. Und auch nicht um Kosten oder Nutzen für den einzelnen.
Rechtsstaat schön und gut (ich bin auch froh, dass wir ihn haben), aber solche ethischen Fragen stehen über Recht und Staat. Durch letztere erhält Ethik ja nur eine verbindliche Form. Und Arterhaltung steht über Ethik - jedenfalls, wenn es um die eigene geht.
Und so muss man diese Probleme auch irgendwie betrachten, sonst werden sie immer unentscheidbar bleiben.
Das ist so, als wollte jemand aus der zweiten Dimension die dritte Dimension verstehen. Das geht einfach nicht. Für ein zweidimensionales Wesen wird ein Würfel immer ein Quadrat bleiben. Klar? ^^


Ach ja, den Disclaimer übernehm ich: :D
Calesca schrieb:Das ist alles meine ureigenste Meinung und niemand muss damit einverstanden sein.
Great people care.
Zitieren


Nachrichten in diesem Thema
RE: Was ist mehr wert: Ein oder mehrere Leben? - von Boneman - 28.12.2008, 00:54



Benutzer, die gerade dieses Thema anschauen: 1 Gast/Gäste