Themabewertung:
  • 0 Bewertung(en) - 0 im Durchschnitt
  • 1
  • 2
  • 3
  • 4
  • 5
Naturschutz in Selbstjustiz - ethisch gerechtfertigt?
#33
Wolverine schrieb:Ja, das liegt nicht zuletzt daran, dass das Thema Wale extrem emotionsbeladen ist. Obwohl keine der größeren Walarten vom Aussterben bedroht ist, sondern auf der Roten Liste höchstens als (stark) gefährdet eingestuft wird, wird um das Thema wesentlich mehr gestritten, als um das tatsächliche Verschwinden von Tier- und Pflanzenarten z.B. infolge der Rodung des Urwalds.
Ich weiß, du kritisierst nicht die Aufmerksamkeit, die die Wale bekommen, sondern die fehlende Aufmerksamkeit bei den anderen Arten. Deshalb geht das hier nicht gegen deine Aussagen, gehört aber trotzdem mal auf den Tisch, wie ich finde:

Es stimmt, dass das Thema Wale exemplarisch herausgehoben wurde; ich nenne es mal so, denn emotional betrifft mich das nicht mehr als bei anderen Tierarten. Aber reicht eine Gefährdung denn nicht? Darf man immer erst anfangen, etwas zu tun, wenn es schon fast zu spät ist? Es wird nicht einfacher (und auch nicht billiger), je länger man wartet. So viele Naturschutzgebiete mit Auffangstationen können wir gar nicht einrichten, wie wir dann brauchen, um die einzelnen Populationen wieder hochzupäppeln. Was uns vermutlich im nötigen Maßstab, der das System wieder regulieren würde, gar nicht bei allen gelingen kann.

Wolverine schrieb:Das mag ja sein, nur findet Selbstjustiz (noch) so gut wie nicht statt, hat also kaum bis keine Auswirkungen auf unser Rechts- oder Ethikempfinden. Wieso ist sie also so wichtig ?
Du hast Recht, beziehst dich aber auf eine "andere Art Wichtigkeit" als ich. Selbstjustiz hat keine entscheidende Auswirkung in diesem Sinne, das stimmt. Im Gegenteil, zuerst einmal stößt sie jedem von uns sauer auf. Ich sehe die Wichtigkeit viel mehr darin, dass sie Anzeichen für eine verpasste Entwicklung ist.

Selbstjustiz stellt eine "Ausartung" dar. Ähnlich wie der randalierende Mob, der durch die Straßen zieht, weil z.B. die Steuerlast sich für ihn über ein ertragbares Maß hinaus erhöht hat. Oder ein einzelner Mensch, der sich vor eine Panzerkolonne stellt (wo nicht die Masse der Beteiligten, sondern die Qualität der Auflehnung und die erregte Aufmerksamkeit die Bedeutung ausmacht). Oder der Generalstreik. Und so weiter. Das sind alles Situationen, deren Auftreten bereits eine längere Zeit der Unzufriedenheit vorausgegangen sein muss.
Und genauso ist Selbstjustiz als Anzeichen dafür wichtig, dass etwas in gehörigem Maße schief läuft, was man bisher vielleicht einfach übersehen hat. Natürlich meine ich mit "man" die Regierung oder andere verantwortlichen "Führungskräfte". Genauer: Das Gewaltmonopol. Es ist eine Notwendigkeit einer jeden Gesellschaft, innere Stabilität zu erzeugen - und zwar nicht durch Niederknüppeln von Aufständen, sondern dadurch, dass sie jedes ihrer Mitglieder zufrieden hält, indem sie auf seine Bedürfnisse in dem ihr möglichen Rahmen eingeht.

(Das Auftreten von) Selbstjustiz ist also sehr wichtig. Nur wird sie zu wenig wichtig genommen. Das heißt, Selbstjustiz sollte schon Auswirkungen haben, und zwar auf das Handeln. (In erster Linie sollten natürlich schon vorher Bedingungen herrschen, dass Selbstjustiz & Co gar nicht erst auftreten!) Auf das Rechts- und Ethikempfinden hat sie aber keine Auswirkung, sondern ist bloß Ausdruck desselben und der Tatsache, dass es nicht genug beachtet wird.
(Kleine Klarstellung: Ich rede nicht über Einzelfälle, sondern über Fälle von einer gewissen Tragweite - wobei man darüber streiten kann, inwiefern Einzelfälle auch beachtet werden sollten, vor allem, wenn sie gehäuft auftreten. Auch diesen liegt natürlich ein Missstand zugrunde - wie jedem Verbrechen. Aber das gehört jetzt nicht in diese Diskussion.)

Bis an die Grenze der Ungültigkeit vereinfacht könnte man sagen: Selbstjustiz passiert dort, wo Judikative oder Exekutive ihren Pflichten, herrschendes Ethikempfinden und tatsächliches Recht in Übereinstimmung zu halten, nicht nachkommen.

Zitat:Dir ist bewusst, dass Du da aber Gefahr läufst, gegen Windmühlen ankämpfen zu wollen, wenn Du gegen jede Ungerechtigkeit ankämpfen willst.
In der Annahme, richtig gedeutet zu haben, worauf zu hinauswillst:
Ja. Es geht auch nicht um jede Ungerechtigkeit, sondern um die gröbsten. Solche, die eben irgendwann Selbstjustiz und so weiter hervorrufen (siehe oben). Es ist auch klar, dass immer wieder Fehler in der Rechtsprechung passieren können, auch wenn der rechtliche Rahmen gegeben ist. Das ist nicht, was ich kritisiere. Dass es einmal vorkommt, dass der Ehemann einer ermordeten Frau nach dem Freispruch des tatsächlichen Mörders diesen eigenhändig umbringt, wird man kaum verhindern können. Das ist das, was ich oben "Einzelfälle" nannte.
In einem Rahmen, in dem es zum Beispiel um Menschenrechte oder Naturschutz geht, darf so etwas allerdings nie passieren. Und damit meine ich aus den Gründen, die ich oben dargestellt habe, das (wenn nicht rechtliche, dann zumindest ethische) Fehlurteil, nicht die Selbstjustiz. Das ist nämlich der schwerer wiegendere "Fauxpas".

Ich sehe deine nächste Frage schon: Trotzdem erfordert das einen absolut objektiven Maßstab, wie soll man den denn schaffen? Meine Antwort: Ich habe keine Ahnung.

Vielleicht wäre eine Möglichkeit, in letzter Instanz einfach das "sinnvollere" Urteil zu fällen. Indem z.B. eine "Hierarchie der Wichtigkeit" herangezogen wird. So etwas könnte so aussehen: ... > Umweltschutz (Klima und Natur; im Größten das Weiterbestehen des Ökosystems Erde) > ... > Menschenrechte > ... > Wirtschaftliche Interessen > ... > Kulturelle Interessen > ...
Entschieden würde auf Grundlage dessen, was die möglichen, unterschiedlichen Entscheidungen "kosten", wenn man ihre Auswirkungen an diesen Maßstab anlegt (hier sind Mathematiker gefragt).
Mir ist natürlich klar, dass diese Beispiel-Hierarchie selbst absolut subjektiv ist (erwarte nicht zu viel von mir ;)). Ich glaube aber schon, dass zumindest eine grobe Rangfolge auch objektiv machbar sein müsste. Zum Beispiel gehören alle Faktoren, die das Überleben der menschlichen Rasse betreffen, ganz oben hin; weiter unten die Faktoren für das Überleben eines einzelnen Menschen; noch weiter unten die Wirtschaftsinteressen (die nicht das Überleben betreffen). Auch das ist natürlich wieder nur meine Einschätzung eines objektiven Maßstabes und ich weiß, dass diese drei Beispiele, wenn man von der praktizierten Realität ausgeht, genau umgekehrt angeordnet sein müssten. :evil: Trotzdem: Wenn man ausnahmsweise mal der Wissenschaft glaubt und keiner(!) Lobby, müsste so etwas doch machbar sein...?
(Man beachte bitte, dass das wieder mal ein reines Gedankenspiel ist, das mir spontan beim Schreiben gekommen ist und ich erhebe absolut keinerlei Anspruch auf Sinnhaftig- oder Durchführbarkeit; jeder darf für sich diese Idee gerne sofort wieder verwerfen. ;))


Bezüglich deiner weiteren Punkte zu diesen Dingen verweise ich auf das bereits Geschriebene. Ich denke (und hoffe), dass sich damit alles aufklärt. :)

Wolverine schrieb:Vielleicht, wenn es nicht so großer Unsinn wäre. Im Bio-Unterricht habe ich gelernt, dass seit Entstehung der Erde 99.9 % aller Arten wieder ausgestorben sind und dass der Mensch an 99.9% der Fälle keinen Anteil hatte.
Wie sollte er auch, wo es zu der Zeit, als 99,9% dieser ausgestorbenen Arten lebten, noch gar keine Menschen gab? ;)

Wolverine schrieb:Insofern lässt sich an diesem Punkt leider keine Ethik belegen, weil die Natur keine Ethik kennt.
Die Natur hat deshalb keine Ethik, weil sie keine braucht.

Das Problem beim Menschen ist, dass er in dem Sinne kein Teil der Natur mehr ist, weil er Mittel entwickelt hat, die es ihm erlauben, sich über viele Gesetze der Natur hinwegzusetzen. Das betrifft vor allem auch das Entstehen und Aussterben von Arten. Wir können heute sowohl Arten ausrotten (praktisch nebenbei), als auch neue Arten erzeugen. Wir haben aufgrund unserer technologischen Überlegenheit keine natürlichen Feinde mehr. Wir haben Möglichkeiten, uns auch vor einer Dezimierung durch Naturkatastrophen zu schützen, in dem wir zum Beispiel Bevölkerungsteile einfach ausfliegen.

Ich wüsste nicht, dass es ohne eine solche Entwicklung (oder einer Mutation) einer anderen Tierart möglich ist, so in das Ökosystem einzugreifen. (Ich verweise wieder auf das Räuber-Beute-Schema.) Das erhebt uns automatisch in die Pflicht, eine "ökologische Ethik" zu konzipieren und zu beachten. Denn du sagst es: Genauso, wie wir keine Rücksicht auf die Natur oder die Erde nehmen, nimmt sie auch keine auf uns. Der Erde ist es letztlich egal, wie bewohnbar sie ist. Das Ökosystem Erde ist aber essentiell wichtig für uns. Und da wir nicht abschätzen können, welche Langzeitfolgen die Ausrottung einer Spezies mit sich bringt, müssen wir einfach darauf achten, dass wir so wenig wie möglich (d.h. nur so viel wie nötig) die Selbstregulierungskräfte dieses Ökosystems beeinträchtigen.

Wolverine schrieb:Ich erinnere mich noch gut daran, dass in meiner Jugend zwei Nachbarn im Frühjahr mit ihren 500er Motorädern Ausflüge in den Schwarzwald unternommen haben. Davor haben sie oft bei laufenden Motoren eine halbe Stunde ihre Vorbereitungen getroffen. Mich hat das teilweise massiv gestört: ich konnte in meinem eigenen Zimmer mein eigenes Wort nicht mehr verstehen. Hätten ich (oder vielmehr meine Eltern) die Polizei geholt, hätten die wohl kaum etwas unternommen. Darf ich nun zu Selbstjustiz greifen, weil das Verhalten der Nachbarn unethisch war. Wegen Luftverschmutzung und Lärmbelästigung ?
Wenn ich bei meinem Versuch, die Motorräder abzustellen nicht zufällig den An/Aus Schalter erwische, begehe ich in Selbstjustiz eine Sachbeschädigung (=Straftat).
Erstens gibt es auch in der Frage, wann durch die Verletzung ethischer Regeln eine Handlungsaufforderung gegeben ist, eine Art Verhältnismäßigkeit-Grundsatz. Ist diese Verhältnismäßigkeit nicht gegeben, ist es kontraproduktiv, in Selbstjustiz zu handeln, weil man dann mehr ethische Grundsätze verletzt, als man schützt.

Zweitens hat das Beispiel nicht viel mit der Ethik zu tun, über die wir hier diskutieren. Dort geht es um eine Ethik des menschlichen Zusammenlebens, die ganz andere Fragen aufwirft und auch andere Handlungsmöglichkeiten bietet.
Wenn du allerdings die Mittel der Kommunikation, Eigeninitiative (ganz frech einfach selber ausschalten), usw. bereits unter Selbstjustiz einordnen würdest, hast du tatsächlich leider keine Möglichkeiten, etwas zu tun. ;)
Hättest du die Polizei gerufen, hätte die wohl zurecht nichts unternommen, weil du allein durch den Anruf in diesem Bereich bereits diese Verhältnismäßigkeitsgrenze überschritten hättest. Zumindest würde ich das so einschätzen, wenn ich mir die Gesichter der Motorradfahrer vorstelle, wenn da plötzlich die Polizei steht. :D

---

Btw, ich hätte zu meiner Selbstjustiz-Frage von oben auch gerne noch eine Einschätzung von Zurgrimm, da der in rechtlichen Angelegenheiten ziemlich bewandert zu sein scheint. ;) :)
Alles klar, hab's gesehen. ;)
Great people care.
Zitieren


Nachrichten in diesem Thema
RE: Naturschutz in Selbstjustiz - ethisch gerechtfertigt? - von Boneman - 08.01.2010, 12:12
RE: zum Jubeln - von Rabenaas - 14.05.2012, 08:48
RE: zum Jubeln - von Wolverine - 14.05.2012, 13:39
RE: zum Jubeln - von Edvard - 14.05.2012, 15:00
RE: zum Jubeln - von Zurgrimm - 14.05.2012, 15:23
RE: zum Jubeln - von Edvard - 14.05.2012, 16:20
RE: zum Jubeln - von Wolverine - 14.05.2012, 22:08
RE: zum Jubeln - von Rabenaas - 14.05.2012, 22:28
RE: zum Jubeln - von Wolverine - 14.05.2012, 22:36
RE: zum Jubeln - von Rabenaas - 14.05.2012, 22:59



Benutzer, die gerade dieses Thema anschauen: 5 Gast/Gäste