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Die Rache der Elfin
#1
Den Zwölfen zum Gruße,

da dies mein erstes Durchspielen der Nordlandtrilogie ist, werde ich euch an meinen Ersterfahrungen teilhaben lassen. Die Namen der Abenteuerer dieser Heldengruppe sind von Tolkien entliehen.

Diese Gruppe besteht aus der Auelfin Arwen (Efferd), dem Firnelfen Haldir (Ingerimm), dem Jäger Faramir (Travia), seinem Bruder und Krieger Boromir (Rondra), dem Streuner Aragorn (Praios) und dem Waldelfen Legolas (Firun).

Dieser Reisebericht wird aus den Erlebnissen der Elfin Arwen erzählt, die sich seit Monaten als Magd unter den Einwohnern Thorwals versteckt.

Erster Tagebucheintrag am Marktag den 07. Travia

. . . Ich fror, als ich aufwachte. Es war nicht nur die Kälte der ewig feuchten Steinwänden. Ich fror, weil ich eine Gefahr heraufziehen spürte, deutlicher noch als vor wenigen Monaten, wo ich mich wimmernd in der stinkenden Taverne "Vier Winde" verkrochen hatte. Starr vor Konzentration lag ich im Stroh der muffigen Käsekammer, die ich nachts mit den anderen Küchenmägden teilte. Es war etwas Zwingendes in der düsteren Vorahnung, wie ich es noch nie zuvor empfunden hatte. Ich rollte mich zu einem winzigen Bündel zusammen. Ich preßte die Arme um meinen Oberkörper, um die verkrampften Schultern zu lockern. Dann, während ich mich entspannte, Muskel um Muskel, Gelenk um Gelenk, versuchte ich zu erfassen, welche subtile Drohung es sein möchte, die mich weckte. Die Gefahr lag bestimmt nicht innerhalb der Mauern von Thorwal. Sie näherte sich auch nicht vom gepfasterten Marktplatz, wo die Grashalme unerbittlich durch den bröckeligen Mörtel drängten, grüne Zeugen der Verwahrlosung. Sie kam nicht von den Tempeln und sie lauerte auch nicht in den Steinhäusern der Handwerker am Marktplatz. Dennoch durchfuhr sie meine Sinne, vibrierte durch jeden Nerv meines schmalen Körpers. Völlig wachgerüttelt, versuchte ich die Drohung zu identifizieren, bevor meine Empfänglichkeit verflog. Ich sandte meine Gedanken bis zum Pass aus, weiter als ich mich seit Monaten gewagt hatte. In Thorwal war die Gefahr nicht - noch nicht. Und sie hatte nichts Vertrautes an sich. Getrieben von dem Zwang, die beklemmende Drohung zu erforschen, suchte ich im Stroh nach meinen Lederstiefeln. Ich erhob mich, bürstete mir mechanisch ein paar Strohhalme aus dem verfilzten Haar und schlang es im Nacken zu einem häßlichen Knoten. Ich stieg über die schlafenden Mägde hinweg. die sich der Kälte wegen dicht zusammendrängten und huschte die ausgetretenen Stufen zur eigentlichen Küche hinauf. Der Koch und sein Helfer lagen auf dem langen Tisch vor dem Herd, die breiten Rücken dem schwach glimmenden Feuer zugewandt. Sie schnarchten mißtönend. Ich glitt durch die dunkle Küche auf die Tür zu, die durch die Taverne hinaus auf den Marktplatz führte. Das Kopfsteinpflaster unter meinen Sohlen war eiskalt und ich schauderte, als die Nachtluft meine geflickten Kleider durchdrang. Ich starrte angestrengt nach Osten, wo sich die steinernen Brüste des Passes schwarz gegen das erste Licht der Dämmerung abhoben. Unentschlossen wandte ich mich nach links, denn die Gefahr schien auch aus dieser Richtung zu kommen. Ich sah starr in diese Richtung, als könnte ich durch beschwörende Blicke eine Brücke zu der Gefahr schlagen, die ich spürte. Und dann ließ die warnende Vorahnung mich los. Ich seufzte. Ich hatte keine Antwort im Morgengrauen gefunden, nur zwiespältige Andeutungen. Ich mußte warten. Ich hatte die Warnung vernommen und akzeptiert. Ans Warten war ich gewöhnt. Hartnäckigkeit, Ausdauer und List waren mit meine stärksten Waffen. Dazu kam die unerschöpfliche Geduld, die mich ein Leben lang auf Rache sinnen ließ. Ich richtete mich hoch auf und atmete die klare, frische Morgenluft ein. Verschreckt wirbelte ich plötzlich herum. Mit aufmerksamen Blicken spähte ich über den Marktplatz, ob mich jemand in dieser ungewöhnlichen Pose entdeckt hatte. Ich löste mein Haar und ließ die dicken, fettigen Strähnen ins Gesicht fallen. Ich nahm wieder die gebeugte Haltung an, die ich seit Monaten vortäuschte. Die ersten Sonnenstrahlen fielen über den Marktplatz und ich huschte eilig durch die Taverne in die Küche und hinab in die Käsekammer und legte mich wieder ins Stroh neben die noch schlafenden Mägde und fiel in einen unruhigen Schlaf . . .
#2
Zweiter Tagebucheintrag am Praiostag den 08. Travia

. . . An diesem Morgen betraten drei Menschen und zwei Elfen die Taverne. An ihrer Kleidung erkannte man, dass es sich um Edelmänner handelte.
"Willkommen in Thorwal, auf den Ländereien von Verwalter Rodiak. Er steht zu euren Diensten" meinte Rodiak selbstgefällig.
Ein Pedant konnte in der Verwendung der dritten Person eine versteckte Beleidigung sehen. Boromir überhörte sie, aber sie paßte zu den Informatioenen, die er über Rodiak erhalten hatte. Auch die Behauptung, dass Rodiak ein gieriger Mann war, schien zu stimmen. Seine unruhigen Augen nahmen jede Einzelheit von Boromir ´s Kleidung auf, und er zog die Stirn kraus, als er den kostbaren Schwertgriff bemerkte. Boromir hingegen fielen die protzigen Ringe an der linken Hand des Verwalters auf. Seine Kleidung verriet Reichtum, aber sie war fleckig und ungeplegt.
"Wir sind auf der Reise" erklärte Boromir lässig "und erbitten Ihre Gastfreundschaft, Verwalter Rodiak."
"Nun meine Herren . . ." Rodiak zögerte und hielt erwartungsvoll den Kopf schräg. Einen Herzschlag lang überlegte Boromir, ob ihn der Verwalter absichtlich herausforderte. Der Name des Kriegers war in ganz Thorwal ebenso bekannt, wie der Name seines Bruders Faramir. Boromir ´s Miene blieb unbewegt, aber er ließ die Augen nicht von Rodiak. Gemächlich, mit einer wohldosierten Spur von Arroganz trat Faramir näher.
"Wir benötigen zwei Quartiere. Ein Zimmer für meinen Bruder und mich, das zweite Zimmer für unsere drei Begleiter."
Es gefiel Boromir, wie Faramir mit dem Verwalter umsprang. Er deutete praktisch an, dass Rodiak nicht selbst zählen könne. Aber dabei formulierte er seine Worte so geschickt, dass Rodiak keine Möglichkeit zum Protest hatte. Rodiak deutete unwirsch auf eine hochschwangere Frau in einem blauen Gewand. Weiße Strähnen durchzogen ihr Haar und in ihrem Gesicht waren tiefe Linien der Enttäuschung und Bitterkeit eingegraben. Sie kam schwerfällig näher und blieb in einiger Entfernung von ihrem Gemahl stehen. Aus ihrer Haltung schloß Boromir, dass sie Rodiak so weit wie möglich aus dem Wege ging.
"Die Herrin von Thorwal, Mutter meiner Erben" sagte Rodiak ohne Stolz und ohne jede Herzlichkeit.
"Mylady . . ." Boromir zögerte, da Rodiak ihren Namen nicht genannt hatte. Sie warf ihrem Gatten einen argwöhnischen Blick zu.
"Gemma" sagte Rodiak scharf.
Boromir verbeugte sich tief "Mylady Gemma, meine Begleiter und ich erbitten die Gastfreundschaft dieser Taverne."
"Herr Boromir, Sie und ihre Männer sind uns herzlichst willkommen." Boromir entging weder die Betonung des Adverbs noch die Tatsache, dass Lady Gemma sofort seinen Namen gewußt hatte. Boromir ´s Lächeln war freundlicher, als es die Höflichkeit verlangte. Er empfand Mitleid für sie. Die Zahl der Frauen in diesem Anwesen ließ darauf schließen, dass Rodiak auch hier seiner Gier freien Lauf ließ. Rodiak liebte kleine, plumpe Frauen und hatte offensichtlich nichts für Zärtlichkeit übrig. Er war ein Zuchtbulle, kein Liebhaber. Einige der Mädchen waren den ganzen Winter über nicht mit Wasser in Berührung gekommen und alle rochen nach ranzigem Fisch. Lediglich Lady Gemma stellte eine Ausnahme dar. Gleich nach der Vorstellung führte Rodiak seine ungebetenen Gäste zu den Quartieren, die er ihnen zuwies. Boromir und Faramir verließen am Abend gemeinsam ihr Quartier. Aragorn, Haldir und Legolas würden ihnen unauffällig folgen, um bei den Handwerkern zu halten und die Tempel zu besuchen . . .
#3
Dritter Tagebucheintrag am Feuertag den 10. Travia

. . . Boromir befand sich nun bereits den dritten Tag bei Rodiak und nur seiner starken Selbstbeherrschung war es zu verdanken, dass es nicht zu offener Zwietracht kam. Boromir überlegte, welch ein Glück es war, dass er und nicht Aragorn dem Verwalter entgegen getreten war. Bei Aragorn, dem die Ehre über alles ging, hätte Rodiak mit seiner Taktik Erfolg gehabt. Ebenso bei Haldir oder Legolas, die noch zu jung waren, um Geduld oder Zurückhaltung zu üben. Rodiak kam näher und verwickelte Boromir in ein Gespräch.
"Es gibt Widerstand gegen meine Herrschaft in Thorwal." Boromir musterte Rodiak von der Seite.
"Wie unklug von den Leuten" erwiderte Boromir gleichgültig.
Rodiak drehte sich ruckartig um. Seine Augen blitzten und seine Rechte hing Millimeter über dem Schwert. Boromir war sprachlos. Der Mann würde tatsächlich wagen, seine Waffe gegen einen Krieger zu erheben. Fast war er enttäuscht, als Rodiak sich abwendete und sich wieder entfernte.
"Eines Tages töte ich ihn noch" sagte Boromir leise. Faramir kam nun besorgt näher.
"Habe ich recht gesehen? Er wollte sein Schwert ziehen?" Faramir ´s Blick war hart und forschend.
"Offentsichtlich fiel ihm gerade noch rechtzeitig ein, dass ich ein ehrbarer Krieger bin."
"Sei vorsichtig Bruder, er will dich umbringen."
"Versuchen kann er es" meinte Boromir höhnisch.
"Er soll ein heimtückischer Kämpfer sein." Faramir war sehr ernst geworden.
"Hälst du ihn für stärker als mich?" fragte Boromir einwenig gekränkt.
"Nein, das nicht" versicherte Faramir rasch. "Ich hatte noch keine Gelegenheit, ihn beim Kampf zu beobachten, aber man hört so allerlei. Er tötet oft, auch wenn garkein Grund dazu besteht."
"Sind wir Schwächlinge, weil wir den Kampf meiden?" fragte Boromir aufgebracht. "Du schämst dich wohl für unsere Erziehung?"
"Nein. Das trifft weder für dich noch auf mich zu. Aber die Herausforderung, mit der uns Rodiak täglich begegnet, ist schwer zu ertragen. Manchmal bedauere ich es fast, dass er uns keinen Grund zum kämpfen gibt."
"Vielleicht ändert sich das noch. Irgend etwas in Thorwal macht unseren stolzen Verwalter nervös" gab Boromir zu bedenken.
"Hier in der Taverne befindet sich eine verborgene Kraft" murmelte Faramir.
Ich holte derweil die Asche aus dem Ofen und hatte mich so still wie möglich verhalten, damit mich Rodiak nicht hinausschickte. Ein Lächeln stahl sich über meine Züge. Starke Edelmänner in Thorwal. Eine günstige Gelegenheit. Aber ich musste mit großer Vorsicht zu Werke gehen. Diese Edelmänner waren ein besonderer Menschenschlag. Sie kannten weder Zorn, noch Gier oder Furcht. Ihr Urteilsvermögen blieb immer ungetrübt. Ihre Reaktionen waren schnell. Auch ein Firnelf und ein Waldelf waren unter den Edelmänner und in deren Adern floß das gleich Elfenblut, wie in meinen Adern. Es hatte die gleiche Farbe wie Menschenblut. Ich wußte es, denn ich wurde oft genug geschlagen. Einen Moment blieb ich stehen und hielt den Atem an. War das die Gefahr, die ich vor ein paar Tagen in der Morgendämmerung gespürt hatte? Die entscheidene Begegnung zwischen Rodiak und den Edelmännern? Nein, die Warnung hatte nichts mit Rache zu tun gehabt. Der Ascheneimer schlug gegen meine Schienbeine, als ich mit schlürfenden Schritten durch die Tür in die Küche ging. Rodiak sollte es kalt haben. Ich hatte kein neues Feuer im Ofen entfacht. Mein Lachen hallte dumpf von den feuchten Wänden wider. Der Koch schaute mich nur verwundert an und stieß mich an einen der Spülsteine. Ich machte mich daran, die fettigen Bestecke mit Sand abzureiben. Zwei Hunde waren an den Bratspieß gekettet und drehten ihn langsam herum. Der Koch rieb den zähen Ochsen, den man schnell geschlachtet hatte, mit Gewürzen ein und fluchte über die knappen Vorräte. Getrocknete Früchte, von der letzten mageren Ernte, wurden aufgeweicht und zwei der ältesten Mägde putzten Wurzelgemüse. Ein Küchenhelfer knetete Brotteig und ein anderer bereitete mit großer Sorgfalt die Soße zu. Ich starrte ihn wie gebannt an, bis er nach der falschen Gewürzdose griff. Dann schob ich unauffällig mehr Holz in den Brotofen. Ich steuerte die Hunde so, dass sie verschieden schnell liefen. Dadurch verkohlte das Fleisch auf der einen Seite und blieb auf der anderen roh. Das Festmahl sollte zu einem Fastenmahl werden . . .
#4
Vierter Tagebucheintrag am Wassertag den 11. Travia

. . . Die kichernde Tischdame, die Rodiak Boromir zugewiesen hatte, ging Boromir gründlich auf die Nerven. Sie nieste unaufhörlich, ohne das Taschentuch zu benutzen, mit dem sie kokett herumwedelte. Ein säuerlicher Geruch strömte von ihr aus. Auch sie erwartete ein Kind von Rodiak. Man sah es noch nicht, aber sie hatte ihren Zustand Boromir anvertraut. Boromir ignorierte sie, wann immer es ihm möglich war. Sie wedelte mit ihrem Taschentuch und Boromir hielt den Atem an. Lady Gemma kam langsam die Treppe herunter und betrat den Saal. Ihre Schritte waren auffallend unsicher. Boromir ging Lady Gemma entgegen, um sie zum Tisch zu führen. Nur der leichte Druck ihrer Finger auf seinem Arm verriet die Dankbarkeit, die sie empfand. Sie war blaß und um ihren Mund hatten sich tiefe Linien eingegraben.
"Ich sehe, man hat versucht, den Saal einwenig aufzuräumen" sagte sie leichthin.
"Ein wenig" erwiderte Boromir trocken und warf einen Blick auf die Holzbalken, an denen die Spinnenweben klebten. Von Zeit zu Zeit ließen sich die Insassen der hauchdünnen Netze blitzschnell auf den Boden oder die Tischplatte fallen. Frische Binsenmatten bedeckten die fettverspritzten Steinplatten. Die Tische sahen aus, als seien sie eben erst gescheuert worden und das Glas der Wandleuchten war blankgerieben. In ihrem hellen Schein zeigte sich schonungslos der Schmutz des Saales. Fünf Mägde schwankten unter dem Gewicht des gebratenen Ochsen herein. Zwei von ihnen waren ekelerregend schmutzig. Boromir hoffte nur, dass sie mit der Zubereitung des Mahls nichts zu tun hatten. Es stank nach verbrannten Knochen und verkohltem Fleisch. Selbst der Humpen mit Zwergenbier, der herumgereicht wurde, roch irgendwie säuerlich. Der Wirt schliff das Tranchiermesser und tat, als sei alles in Ordnung. Lady Gemma hielt den Atem an. Ihre Hände krampften sich um die Stuhllehnen. Sie schluckte mühsam. Auch Boromir war der Appetit vergangen. Als nächstes trugen die Mägde auf Holztabletts das Brot herein. Man hatte versucht, die verbrannten Krusten abzuschaben oder ganz wegzuschneiden. Das Gemüse war zerkocht und Lady Gemma winkte angewidert ab, als ich ihr die Platte reichen wollte. Boromir warf mir einen scharfen Blick zu. Lady Gemma fühlte sich nicht wohl, das war deutlich zu sehen und ihre Übelkeit hatte nichts mit dem unappetitlichen Mahl zu tun. Lady Gemma wurde von den ersten Wehen gepeinigt. Boromir sah zu Rodiak hinüber. Der Verwalter beobachtete mit finster gerunzelter Stirn die Versuche des Wirtes, einpaar eßbare Portionen aus dem Braten zu schneiden. Boromir berührte ganz leicht Lady Gemma ´s Hand. Sie drehte den Kopf so, dass sie ihn aus dem Augenwinkel sehen konnte. Ein schwaches Lächeln lag auf ihren Lippen. Der Wirt bot Rodiak mit zitternden Händen ein paar Fleischstücke an. Der Verwalter schleuderte sie ihm mit einer wütenden Handbewegung mitten ins Gesicht. Unwillkürlich seufzten die beiden Elfen, denn es waren die einzigen eßbaren Teile überhaupt gewesen.
"Das nennst du Fleisch?" brüllte Rodiak.
Seine Stimme hallte von der gewölbten Decke wider, dass die Spinnennetze zerrissen und ihre Insassen auf den Tisch plumpsten. Boromir entfernte rasch die Spinnen von Laddy Gemma ´s Platz. Sie kämpfte gegen eine neue Wehe an.
"Mehr konnten wir in der kurzen Zeit nicht auftreiben" wimmerte der Wirt.
Bratflüssigkeit lief ihm über die Wangen. Rodiak warf das Weinglas nach ihm. Als nächstes kam die Platte mit dem heißen Gemüse.
"Offensichtlich ist Thorwal nicht in der Lage, seinen Herrn zu bewirten" hörte Haldir sich sagen.
"Sie werden wohl auf die Herrschaft verzichten müssen."
Mit einemmal herrschte Stille im Saal. Rodiak drehte sich langsam um und starrte den Firnelfen an. Während Haldir überlegte, wie er seinen Worten die Schärfe nehmen konnte, sah er, dass Legolas sich langsam erhob, die Hand an der Waffe.
"Ich habe wohl nicht recht verstanden?" Das Gesicht des Verwalters war ausdruckslos. Nur seine Augen brannten.
Haldir nahm eine lässige Haltung an. Der Firnelf nahm ruhig ein wenig Gemüse auf die Gabel und begann es zu kauen. Dabei fiel ihm auf, das Legolas alle Anwesenden durchdringend musterte. Abrupt erkannte Haldir, was geschehen war. Irgendwie wurde er manipuliert. Er, der Firnelf Haldir, sollte in eine Position gebracht werden, wo er dem Kampf gegen Rodiak nicht mehr ausweichen konnte. Weshalb? Was steckte dahinter? Krampfhaft bemühte sich Aragorn, die Ruhe zu bewahren. Wieder spürte er die fremde Macht in seiner Nähe. Er musste sich jetzt auf Rodiak konzentrieren und irgendwie verhindern, das der Verwalter Haldir zum Duell forderte. Ein lautes Stöhnen durchbrach das bedrohliche Schweigen. Mit geballten Fäusten wandte sich Rodiak Lady Gemma zu und einen Moment lang sah es so aus, als wollte er sie schlagen. Aber dann erkannte auch er, dass die Wehen sie ergriffen hatten. Rodiak warf den Kopf nach hinten, entblößte sein breites gelbes Gebiß und lachte schallend.
"Gut, ich verzichte. Ich verzichte zugunsten ihres Kindes, wenn es ein Sohn ist und am Leben bleibt." Sein Lachen klang brutal.
"Gehört und bezeugt." Aragorn war aufgesprungen und deutete auf seine Begleiter. Sie erhoben sich ebenfalls.
"Gehört und bezeugt" wiederholten sie, wie es Brauch war.
Damit hatte sich die Spannung gelöst. Rodiak stieß, immer noch lachend, seinen Stuhl um. Er stieg darüber hinweg und begann mit seinem Messer große Stücke aus dem gebratenen Ochsen zu säbeln, die er sich mit bloßen Fingern in den Mund stopfte. Als Boromir sich über Lady Gemma beugte, um ihr beim Aufstehen behilflich zu sein, umklammerte sie heftig seinen Arm. Einen Moment lang waren ihre Lippen dicht neben seinem Ohr.
"Er will Sie töten, Boromir" flüsterte Sie. "Er tötet gern."
"Krieger haben ein zähes Leben, Mylady. Aber ich danke Ihnen."
"Ich möchte nicht, dass er Sie tötet" sagte sie mit zusammengepreßten Lippen. "Wir haben so wenige Edelmänner."
Er befahl zwei Mägden, sie nach oben zu tragen. Boromir suchte nach einer weiteren Magd, entdeckte aber nur mich, wie ich den Boden säuberte. So rief er den Wirt zu sich und befahl ihm, die Hebamme zu holen. Der Wirt stieß mit dem Fuß nach mir.
"He, du. Lauf hinunter zu den Höfen und verständige die Hebamme. Du weißt sicher, wo sie wohnt."
Mit einer Geschicklichkeit, die nicht zu mir passen wollte, wich ich dem Tritt aus. Ich rannte aus der Taverne und ins Freie, um die Hebamme zu holen. In meinem Innern wühlte die Verzweiflung. So nahe! Und dann hatte ich doch versagt. Warum hatte Rodiak den Firnelfen nicht herausgefordert? Und dieser Haldir, warum hatte er versucht, Zeit zu gewinnen? Er war stark und jung und hatte die beherrschten Züge eines echten Kämpfers. Und warum mußte Lady Gemma diesen kostbaren Augenblick zerstören? Wenn ihr Stöhnen Rodiak nicht abgelenkt hätte, so wäre es zum Duell gekommen und nicht einmal Rodiak, der als heimtückischer Kämpfer bekannt und einer der Mörder meiner Familie war, hätte etwas gegen einen Firnelfen ausrichten können . . .
#5
Fünfter Tagebucheintrag am Windstag den 12. Travia

. . . Lady Gemma wurde von heftigen Wehen geschüttelt und es ging ihr nicht gut. Als ich mich zurückziehen wollte, warf mir die Hebamme einen so flehenden Blick zu, dass ich zögernd blieb. Das Gesicht der schwangeren Frau war zu einer Grimasse verzerrt. Ihre Haut hatte einen grauen Ton angenommen. Sie war schweißgebadet und ihr Atem ging stoßweise.
"Das sieht nicht gut aus" flüsterte die Hebamme. "Sie blutet zu stark, sie werden beide sterben. Das ist zuviel Blut."
Zuviel Blut, dachte ich. Lady Gemma hatte mir nie etwas getan und das Kind kommt zu früh. Es würde sterben. Ich warf einen Blick auf das verzerrte Gesicht. Lady Gemma hatte sich die Unterlippe blutig gebissen. Jetzt stöhnt sie nicht. Warum musste sie es gestern im Saal tun? Zorn überkam mich. Diese Frau hatte aus irgendeinem Grund Rodiak und Haldir im entscheidenen Augenblick abgelenkt. Ich preßte Lady Gemma ´s Hände grob zusammen. Der Schmerz von dieser unerwarteten Seite riss Lady Gemma aus einer ihrer kurzen Ruhepausen. Sie wischte sich den Schweiß aus den Augen und warf mir einen verzweifelten Blick zu.
"Was habe ich dir getan?" keuchte sie.
"Getan? Ich hatte es fast geschafft, dass sich Rodiak mit einem der Edelmänner duellierte, als Sie zu stöhnen begannen."
Ich hatte alle Vorsicht vergessen. Aber es war gleichgültig. Die Frau würde nicht mehr lange leben. Lady Gemma ´s Augen weiteten sich.
"Aber Rodiak durfte den Elfen nicht töten. Wir haben so wenige edle Elfen. Wir brauchen sie alle."
Sie konnte nicht weitersprechen, weil sie von neuem von einer heftigen Wehe ergriffen wurde. Ihre schweren Fingerringe schnitten in meine Hände, als sie sich an mich klammerte.
"Was wollen Sie damit sagen?" flüsterte ich heiser.
Aber die Frau litt solche Schmerzen, dass sie kaum atmen konnte. Ihre Augen schienen aus den Höhlen zu treten und ich war von diesem Elend so erschüttert, dass ich instinktiv alles tat, um die Pein der Gebärenden zu lindern. Dennoch ließen mich die Worte der Totkranken nicht los. Die Frau hatte also nicht Rodiak, sondern den Elfen beschützt. Die Hebamme preßte ihre Hände gegen Lady Gemma ´s Leib und rief ihr nervöse Ratschläge zu. Aber Lady Gemma war so vom Schmerz überwältigt, dass sie nichts mehr hörte. Ein krampfhaftes Zucken durchlief ihren Körper. Sie bäumte sich auf. Als ich sie zu stützen versuchte, öffnete sie die Augen mit einem Ausdruck unendlicher Erleichterung. Dann brach sie in meinen Armen zusammen und rühte sich nicht mehr. Ich ließ Lady Gemma in die Kissen gleiten und sah erstaunt in das Gesicht der Toten. Ein triumphierendes Lächeln lag auf ihren Zügen. Ich hatte nun einen Ansatzpunkt, das Kind. Ich würde sagen, dass es lebte und das es ein Junge sei. Die Edelmänner würden kämpfen müssen, sie hatten den Eid geschworen. Ich eilte hinaus. Einen Moment blieb ich auf der Treppe stehen und holte tief Atem. Ich wartete, bis der Triumph von meinen Zügen gewichen war. Dann schlürfte ich mit gebeugten Schultern in den Saal.
"Lady Gemma ist von uns gegangen, aber das Kind lebt" rief ich mit hasserstickter Stimme. "Es ist ein Junge."
Rodiak sprang auf und starrte mich zornig an. "Was sagst du da Weib?"
"Das Kind lebt und es ist ein Junge" wiederholte ich und kam näher.
Wut verzerrte die Züge des Verwalters. Mit einem raschen Schritt war er bei mir und seine Faust traf mich ins Gesicht, bevor ich ausweichen konnte. Ich stürzte zu Boden und blieb reglos liegen.
"Halt Rodiak." Aragorn ´s Stimme zerriss das Schweigen, eben als mir Rodiak einen Tritt versetzen wollte. Rodiak wirbelte herum. Seine Hand umklammerte mechanisch sein Schwert.
"Wir haben Ihre Worte gehört und bezeugt, Rodiak" sagte Aragorn mit warnend ausgestreckter Hand. "Sie müssen zu Ihrem Eid stehen."
"Bezeugt? Edelmänner?" Rodiak lachte verächtlich. "Weiber seid ihr alle."
Er betrachtete die Männer mit spöttisch zusammengekniffenen Augen. Im nächsten Augenblick hatte Aragorn sein Schwert in der Hand. Selbst Rodiak staunte, mit welcher Schnelligkeit das geschehen war.
"Weiber?" fragte Aragorn gefährlich leise.
Er trat näher. Der Schein der Wandleuchten lag auf der blanken Klinge. Rodiak hatte ebenfalls sein Schwert gezogen. Er duckte sich zum Angriff. Alle anwesenden Männer rückten die Tische zur Seite, um mehr Platz für die Kämpfenden zu schaffen. Aragorn konnte sich jetzt nicht um mich kümmern und hoffte, dass ich bei dem Sturz nicht ernstlich verletzt worden war. Er sprang zur Seite, als Rodiak sich mit einem mächtigen Sprung auf ihn werfen wollte. Aragorn parierte den Angriff mit Leichtigkeit, aber er wußte, dass er vorsichtig sein musste. Rodiak brachte mehr Gewicht in den Kampf mit. Aragorn musste sich auf seine Beweglichkeit verlassen. Mit Kraft richtete er gegen Rodiak kaum etwas aus. Rodiak ging zu einem Täuschungsmanöver über. Er bemühte sich, Schwächen bei seinem Gegner zu entdecken. Die beiden standen einander geduckt gegenüber und belauerten sich. Wieder griff Rodiak an. Aragorn ließ ihn nahe heran kommen, so nahe, dass er gerade noch mit der Rückhand parieren konnte. Seine Schwertspitze schlitzte den Ärmel des Verwalters auf. Rodiak fauchte wütend. Der Mann war schneller, als sein Gewicht vermuten ließ und Aragorn musste ein zweites Mal parieren. Diesmal ging die feindliche Klinge nur knapp an seiner Lederrüstung vorbei. Mit finsteren Mienen umkreisten die beiden einander. Jeder suchte nach einem Deckungsfehler des Gegners. Rodiak bemühte sich, den leichteren, schnelleren Streuner in Richtung Wand zu manövrieren, wo er nicht mehr ausweichen konnte. Aragorn tauchte unter den wild rudernden Armen von Rodiak hinweg. Der Verwalter hielt ihn fest und preßte ihn gegen sich. Aragorn versuchte sich verzweifelt aus der Umklammerung zu lösen und mit der Linken den bewaffneten Arm des Gegners nach oben zu drücken. Plötzlich schnellte sein Knie hoch. Gleichzeitig ließ er sich zu Boden fallen. Rodiak krümmte sich vor Schmerzen und Aragorn gelang es freizukommen. Allerdings verriet ihm ein stechender Schmerz in der linken Schulter, dass er getroffen war. Rodiak war rot angelaufen. Sein Atem ging rasch und hart. Aber Aragorn fand keine Zeit, seinen knappen Vorteil auszunutzen, denn sein Gegner sprang wutentbrannt auf und griff an. Aragorn brachte mit einem Satz einen Tisch zwischen sich und Rodiak. Er behielt den Verwalter ständig im Auge, während er seine Schulter abtastete. Offenbar hatte ihn die Klinge nur gestreift. Er konnte den Arm bewegen. Plötzlich packte Rodiak ein paar Knochen, die auf dem Tisch lagen und schleuderte sie zu Aragorn hinüber. Der Streuner wich instinktiv aus und im nächsten Moment hatte Rodiak das Hindernis übersprungen. Aragorn trat blitzschnell zur Seite und das Schwert verfehlte ihn um Millimeter. Sein eigenes Schwert fuhr tief in den Oberarm des Verwalters. Rodiak schwankte und der Streuner trat einen Schritt näher. Aber er hatte den Feind unterschätzt. Der Verwalter versetzte ihm einen wuchtigen Schlag gegen die Rippen, so dass er zu Boden stürzte. Aragorn rollte sich zur Seite, als er sah, dass Rodiak sich mit dem Schwert auf ihn werfen wollte. Irgendwie kam er wieder auf die Beine. Rodiak schoss über sein Ziel hinaus und verlor das Gleichgewicht. Mit aller Kraft stieß der Streuner zu. Sein Schwert drang tief in den Körper des Gegners. Rodiak fiel auf die Steinplatten und rührte sich nicht mehr. Er starrte auf den Toten. Es hatte ihm keinerlei Vergnügen bereitet, den Mann umzubringen. Er war nur erleichtert, dass er selbst noch lebte. Seine Rippen schmerzten und seine linke Schulter brannte. Er stolperte zu mir hinüber. Ich lag immernoch reglos am Boden. Vorsichtig drehte er mich herum. Ein häßlicher blauer Fleck machte sich auf meiner Wange breit. Verschwommen nahm ich wahr, dass Boromir im Saal das Kommando übernommen hatte. Aragorn tastete mit zitternden Fingern nach meinem Herzen. Es schlug langsam, aber kräftig. Ein tiefer Seufzer entrang sich seinen Lippen. Der Schlag hätte ebenso tödlich sein können, wie der Sturz selbst. Die Erleichterung mischte sich mit Ekel. Ich strotzte nur so vor Schmutz, so dass man unmöglich sagen konnte, wie alt ich war. Aragorn hob mich auf und trug mich zu seinem Zimmer. Er wußte, dass Boromir die Situation beherrschte. Im Zimmer angelangt, legte er mich auf sein Bett und machte Licht. Vorsichtig schob er meine verfilzten Haarsträhnen zur Seite. Er drehte mein Gesicht hin und her. Ich hatte schmale, regelmäßige Züge. Auf meinen bloßen Armen zeichneten sich blaue Flecke und Narben ab, aber meine Haut war jung und faltenlos. Er hatte selten so feingliedrige Hände gesehen. Aragorn lächelte und konnte sein Glück noch nicht fassen. Er beugte sich über mich, um mir die schmutzigen Lumpen vom Körper zu streifen, doch dann zögerte er. Ich war zu mir gekommen und sah ihn aus großen, hungrigen Augen an. Ich zeigte keine Furcht, lediglich Argwohn.
"Möchten Sie einen Streuner täuschen, Mädchen?" fragte Aragorn.
Er lehnte sich gegen den geschnitzten Bettpfosten. Erst jetzt merkte er, wie sehr seine Schulter schmerzte.
"Wie heißen Sie, Mädchen?" fragte er neugierig.
Ich setzte mich langsam auf. Ruhig stützte ich mich ab und musterte ihn.
"Rodiak?" fragte ich.
"Tot, wie heißen Sie?" fragte er nochmal.
Ein triumphierendes Leuchten huschte über mein Gesicht. Ich ließ mich aus dem Bett gleiten und richtete mich hoch auf.
"Ich heiße Arwen und Sie haben einen Mörder meiner Familie gerichtet" erklärte ich mit fester Stimme. "Und dafür danke ich Ihnen."
Aragorn betrachtete mich einen Augenblick, begeistert von meiner stolzen Haltung.
"Was wird nun aus dem Kind?" fragte er mich.
Meine Augen blitzten und ich lächelte hart.
"Es gibt kein Kind. Lady Gemma starb, bevor das Kind geboren wurde. Ich habe gelogen."
"Gelogen?" fuhr Aragorn auf.
"Ja" erwiderte ich höhnisch und warf den Kopf hoch.
"Ich habe gelogen. Das Kind war noch nicht geboren. Ich wollte lediglich sichergehen, dass einer von euch Rodiak zu einem Duell herausfordert."
Er packte mich hart am Handgelenk, verärgert, dass er auf mich hereingefallen war.
"Sie haben mich zum Töten gezwungen" sagte er ungläubig.
"Sie haben Mut, Arwen. Wollen Sie sich uns anschließen und mit uns reisen? Oder tragen Sie lieber Lumpen?" fragte er spöttisch.
"Gefallen Ihnen das verfilzte Haar und die rauhe Haut ihrer Hände? Schlafen Sie gerne im Stroh? Sie sind jung, zumindest nehme ich das an."
Er gab seiner Stimme einen skeptischen Klang. Ich betrachtete ihn kühl. Meine Lippen waren zusammen gepreßt.
"Wenn ihr mir helft, die restlichen Mörder meiner Familie zu rächen, dann wäre ich gewillt, mit euch zu reisen."
Ich hatte mich aus seinem Griff gelößt und meine Augen blitzten.
"Dann willkommen in unserer Gemeinschaft, ich werde die anderen informieren" sagte Aragorn. "Sie können also zuerst baden."
Er beugte sich über eine Truhe und wühlte ein paar saubere Kleider hervor. Er schob mir die Kleider und einen Beutel mit Waschkleie zu und deutete auf den Vorhang, der den Baderaum vom Schlafgemach abtrennte. Dann drehte er sich um und ging hinaus. Ich hob die Kleider und den Beutel mit der Waschkleie auf und ging weiter in den Baderaum. Er war nicht groß, genügte aber vollkommen für seinen Zweck. Ein breiter Felsvorsprung bildete eine Art Stufe in das kreisförmige Badebecken. An einer Seite standen eine Bank und ein paar Regale mit Handtücher. Endlich. Ich atmete befreit auf. Mit spitzen Fingern streifte ich die Lumpen vom Leib und schob sie mit dem Fuß zur Seite. Dann bestieg ich das Badebecken und verrieb eine handvoll Kleie zu einem Brei. Ich scheuerte meine Arme und das blaugeschlagene Gesicht sauber. Dann schrubbte ich meinen Körper, bis halb vernarbte Wunden wieder zu bluten begannen. Dann tauchte ich unter und nahm noch mehr Kleie und verrieb sie im nassen Haar. Immer wieder spülte ich die Strähnen, bis ich das Gefühl hatte, dass sie einigermaßen sauber waren. Noch einmal bearbeitete ich meinen Körper mit Kleie. Es war eine geradezu rituelle Waschung. Meine Haut brannte und prickelte. Schließlich verließ ich zögernd das Badebecken. Ich steckte das triefende Haar hoch und trocknete mich mit einem frischen Handtuch ab. Dann streifte ich ein zartgrünes Kleid aus weichem Stoff über. Es war zu locker, aber ich schnürte es mit Hilfe einer Schärpe eng um die Taille. Ein Lächeln glitt über meine Züge. Ich nahm ein neues Handtuch und rieb mein Haar trocken. Ich suchte in den Regalen, bis ich einen groben Metalkamm fand. Damit zerrte und riss ich an den Strähnen, bis sie endlich entwirrt waren. Mein Haar war lang, sehr viel länger, als ich geglaubt hatte. Dann schob ich den Vorhang zur Seite und betrat wieder das Schlafgemach. Ich war von den Erlebnissen der letzten Tage so erschöpft, dass ich mich aufs Bett legte und auch sofort in einen erholsamen ruhigen Schlaf fiel . . .
#6
Sechster Tagebucheintrag am Erdstag den 13. Travia

. . . Ein Geräusch weckte mich. So erholsam hatte ich schon lange nicht mehr geschlafen. Stiefel schnarrten über den Boden. Ich zuckte zusammen. Jeden Moment konnte der Streuner wieder auftauchen. Mit einemmal stieg Angst in mir hoch. Jetzt, da mir die Strähnen nicht mehr ins Gesicht hingen und ich die schmutzigen Lumpen ausgezogen hatte, besaß ich keine Anonymität mehr. Ich war verwundbar. Eisern bezwang ich den Wunsch, davonzulaufen. Ich warf noch einen Blick in den Spiegel, streckte die Schultern und hob entschlossen das Kinn. In meinen Adern floß Elfenblut. Ich musste mich nicht mehr verbergen. Ich konnte jedermann stolz gegenübertreten, auch diesem Streuner. Aragorn trat leise in das Zimmer. Dann, als er mich erblickte, trat er mit paar raschen Schritten neben mich. Er faßte mich mit starker Hand am Handgelenk, drehte mich und hielt mich dann mit gestreckten Armen von sich und betrachtete mich genau. Ein erstaunter Ausdruck huschte über seine Züge.
"Gewaschen sehen Sie recht hübsch aus" sagte er in einem Tonfall amüsierter Herablassung. Ich machte mich von ihm frei.
"Wer hätte aber auch ahnen können, was sich unter dem Schmutz von Monaten verbarg. Ja, Sie sind so hübsch, dass Boromir versöhnt sein wird" sagte er bestimmend.
Erbost über seine Haltung, fragte ich eisig: "Und es ist so wichtig, dass dieser Krieger versöhnt wird?"
Er grinste mich an, bis ich die Fäuste in die Hüften stemmte, um nicht auf ihn einzuschlagen.
Schließlich sagte er: "Aber lassen wir das jetzt. Wir müssen essen und ich benötige Ihre Dienste."
Als er meinen verwirrten Ausdruck bemerkte, drehte er sich um und deutete auf die Blutkruste an seiner linken Schulter.
"Ich kann doch verlangen, dass Sie die Wunde behandeln, die ich im Kampf um Ihre Sache erhielt."
Er zog das blutverkrustete Hemd aus. Ich wandte meine Aufmerksamkeit seiner muskulösen Schulter zu. Die Wunde war wieder aufgebrochen. Ein dünner Blutstreifen rieselte dem Streuner über den Rücken. Ich konzentrierte mich auf die Wunde. Es war ein häßlicher Schnitt. der sehr tief ging. Die Haut des Streuners fühlte sich glatt unter meinen Fingern an. Er zuckte nicht zusammen, als ich das getrocknete Blut aus der Wunde wusch und war wütend über mich selbst, dass ich ihn nicht mit der Grobheit behandelte, die ihm gebührte. Mit zusammengebissenen Zähnen strich ich ihm eine dicke Schicht Heilsalbe über den Schnitt. Dann riss ich ein paar Tücher in Streifen und befestigte damit den Verband. Aragorn bewegte vorsichtig den Arm. Als er sich umdrehte und mich ansah, waren seine Augen dunkel und nachdenklich.
"Sie sind sehr sanft mit mir umgegangen. Ich danke Ihnen, Arwen."
Es klopfte an der Tür. Er erhob sich mit einem ironischen Lächeln. Ohne mich aus den Augen zu lassen, nahm er ein Tablett mit Essen, an der Tür, von einer Magd entgegen. Ich warf mich wieder aufs Bett und wünschte ihm eine Reihe von schmerzhaften Verletzungen, die ich behandeln konnte. In Zukunft würde ich nicht mehr so zimperlich sein. Er stellte das Tablett zu mir aufs Bett. Ich entdeckte Fleisch, Brot und einen goldgelben Käse und sogar Winterobst. Aragorn saß einfach da und auch ich wagte nicht zu essen, obwohl mir das Wasser im Munde zusammen lief, als ich die reifen Früchte sah. Aragorn sah mit gerunzelter Stirn auf.
"Nach dem alten Brauch, bricht zuerst die Dame das Brot" sagte er und nickte mir höflich zu. Ich errötete. Ich war nicht mehr an die vornehmen Tischsitten gewöhnt. Während den letzten Monaten hatte ich mich mit Küchenabfällen begnügen müssen. Ich brach ein Stück Brot ab und ich konnte mich nicht erinnern, jemals zuvor etwas köstlicheres gegessen zu haben. Es war frisch gebacken. Ich nahm den Käse, den er mir anbot und genoß das volle Aroma. Kühner geworden, griff ich nach einer saftigen Frucht.
"So" begann der Streuner und legte mir die Hand auf den Arm.
Schuldbewußt legte ich die Frucht weg und starrte ihn an. Welchen Fehler hatte ich diesmal begangen? Er drückte mir lachend die Frucht in die Hand. Dann sprach er weiter. Ich knabberte an dem Leckerbissen und hörte ihm aufmerksam zu.
"Ich habe mit meiner Gruppe geredet und sie waren alle damit einverstanden, dass Ihr euch uns anschließt."
Die Frucht schmeckte mir nicht mehr und legte sie zurück in den Korb. Ich sah ihn zum erstenmal als Mensch und kam zu dem Schluss, dass seine Kühle Vorsicht war und nicht etwa ein Mangel an Gefühlen. Er zählte kaum mehr Planetenumläufe als ich. Dichtes schwarzes Haar kräuselte sich von seiner Stirn bis in den Nacken. Die buschigen dunklen Brauen zogen sich zu oft zu einem finsteren Grübeln zusammen. Über der geraden Nase standen scharfe Falten und die bernsteingoldnen Augen strahlten nur allzuleicht Zynismus oder kühlen Spott aus. Seine Lippen waren schmal und ebenmäßig geformt. Wenn er sich entspannte, wirkten sie beinahe sensibel. Aber weshalb musste er einen Mundwinkel ständig zu einem verächtlichen Lächeln herunterziehen? Er sah gut aus, dass musste ich mir eingestehen. Er hatte etwas magnetisches an sich und in diesem Augenblick war sein Gesichtsausdruck aufrichtig. Er meinte seine Worte ernst. Er wollte nicht, dass ich Angst hatte, es gab keinen Grund zur Angst. Ihm lag viel daran, dass ich mein Ziel erreichte. Der Streuner sah mich erwartungsvoll an.
"Unsere Hauptaufgabe?" fragte ich neugierig.
"Mehr davon später" erwiderte er und winkte ab, als ich weitere Fragen stellen wollte.
"Ich habe die Nacht lange Gespräche mit unseren Begleitern geführt und bin total geschafft und würde mich gerne etwas hinlegen."
Er stellte das Tablett auf den Tisch, zog sich nackt aus und kroch unter die dicke Decke und machte die Augen zu und schlief ein. Was für ein Mann, er war wirklich ein Traummann. Ich überlegte, was ich nun machen sollte. Mir fehlte schon lange die Nähe eines Mannes, also zog ich mir das neue Kleid aus und kroch zu ihm unter die Decke. Ich legte mich teilweise auf ihn und kuschelte mich fest an ihn. Er roch sehr herb und ich schloss meine Augen. Etwas Schlaf in seinen muskulösen Armen konnte ich noch gebrauchen. Ich küsste ihn auf die Brust und legte meinen Kopf an seine gesunde Schulter und schlief langsam ein . . .




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