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Efferdmorgen
#39
Für den Moment war ich wie versteinert. Was hatte Lornir nur vor? Ich ging zum Lagerfeuer zurück und haute unsere Thorwalerin an, die für die erste Nachtwache eingeteilt war. Bjaki und Isidor versuchten im Schutz der Dünen zu schlafen, was sich jedoch aufgrund des heftigen Winds und Svanjas Schauergeschichten für die beiden Abergläubischen als äußerst schwierig erwies. Aelils Blick, der an Schärfe der eines Schwerts aus Koscher Stahl glich, war ununterbrochen auf die tosende See hin gerichtet. Offensichtlich dachten wir alle dasselbe, aber keine wage es auszusprechen: Schamaschtu. Was hatte es mit Svanjas Seemannsgarn und diesem abartigen Hurrikan auf sich?
Da fiel mir ein, dass ich vor lauter Nachdenken die anderen noch überhaupt nicht über Lornirs Abgang informiert hatte. "Lornir ist weg!", brach ich das Schweigen. "Wenn Druide weg, große Gefahr", jammerte Isidor und verkroch sich tiefer unter seiner Decke. "Lasst uns nachsehen", sagte Aelil. "Er ging zum Strand runter!", ergänzte ich. Bjaki warf seine Decke zur Seite und erhob sich. Isidor zögerte, kam dann aber ebenfalls mit. Im Angesicht des fade leuchtenden Mondes folgten wir Aelil hinab zum Strand. Was uns wohl erwarten würde?
Ich traute meinen Augen nicht. Mitten aus dem Meer ragten vier Säulen aus Wasser heraus, die sich fontänenartig nach allen vier Himmelsrichtungen ergossen. Aus dem Zentrum der Säulen war ein eigenartiger Gesang zu vernehmen. Einerseits klang es so schrecklich, sodass wir uns alle die Ohren zuhalten mussten. Andererseits hörte es sich irgendwie auch so betörend an, dass man einfach nur zuhören wollte. Bjaki verlor als erster die Beherrschung: Von dem anmutigen Gesang hingerissen, warf er sein Skraja zur Seite und stürzte sich Hals über Kopf in die Fluten. Svanja versuchte ihn zurückzuhalten, doch ohne Erfolg. Der junge Thorwaler folgte dem Klang in die See wie der Ochse dem Bauer zur Schlachtbank. Der Gesang schien Kräfte in ihm freizusetzen, sodass er Svanja mit solch einer Wucht von sich stieß, dass sie von den Wellen aufs Meer hinaus gespült wurde. An Land schwimmen war ihr nicht mehr möglich, Wind und Wogen zogen sie ebenfalls wie Bjaki in Richtung der Wassersäulen. Es dauerte nicht lange, bis es auch Isidor nicht mehr aushielt. Er entledigte sich seiner Wurfmesser und folgte seinen Thorwaler Freunden. Meine Blicke schweiften zu Aelil, in der Hoffnung, ihre Zauberkünste könnten uns retten. Hoffnungsvoll sah ich, wie sie ihr Hände hin und her bewegte und das Zentrum der Wassersäulen mit ihren nachtschwarzen Augen fixierte. Es hatte den Anschein, als versuchte sie, das Sturmgebrüll zu besänftigen, doch ohne Erfolg. Schließlich konnte ich mich ebenfalls nicht mehr halten. Ich konnte mich drehen und wenden wie ich wollte, auch mich zog es aufs Meer hinaus. Wie von Sinnen schmiss ich meinen Bogen zur Seite und rannte ins Wasser. Lediglich unsere Firnelfe vermochte es, dem Gesang Stand zu halten. Mit rasender Geschwindigkeit nahten wir vier uns den seltsam aus dem Wasser ragenden Säulen. Mein Verstand war wie gelähmt. Ich wusste, dass meine Gedanken versuchten, sich dem Gesang zu widersetzen, aber mein Körper hörte nicht auf mich. Ich spürte die Eiseskälte, die das Wasser versprühte, spürte den Schmerz. Es schien mir jedoch nichts auszumachen. Das Bedürfnis, den Gesang zu hören, war stärker. Offensichtlich schien es den anderen ebenfalls so zu gehen. Schließlich erreichten wir die Wassersäulen und ich hörte Isidor fürchterlich schreien. Der schöne Klang war augenblicklich verpufft. Jetzt spürte ich die schmerzhafte Kälte des Wassers in vollem Ausmaß.
Etwas packte Isidor und zog ihn nach unten. Wenige Sekunden später ereilte Svanja dasselbe Schicksal. Kurz darauf erwischte es Bjaki. Intuitiv griff ich zu meinem Köcher und holte die letzten beide Pfeile heraus, die die Wellen noch nicht davongetragen hatten. Ich machte mich darauf gefasst, der Nächste zu sein. Doch soweit kam es nicht. Stattdessen wurde im Licht des Mondes ein Schatten auf der Wasseroberfläche sichtbar, der aus der Tiefe des Hjaldinggolfs kam und immer größer wurde.
Schließlich tauchte es auf: Im Dunkel der Nacht konnte ich die Silhouette einer riesigen Seeschlange ausmachen. "Schamaschtu!" hörte ich eine mir bekannte Stimme rufen. Es war Lornir. Bis zum Schaft hatte der Druide seinen vulkangläsernen Dolch in die Schuppen des Untiers gebohrt. Die Waffe leuchtete smaragdgrün und Lornir hob sich mit der Rechten daran fest. "Schamaschtu! Im Namen Efferds und seines Sohnes Swafnir! Du kommst hier nicht durch!"
Die bestimmten Worte des Druiden schienen das Monster jedoch nur wütender zu machen. "Uuuaaaaaaaaaaaaaaarrrrh", tönte aus dem Rachen des Ungeheuers. Zornentbrannt spießte es Bjaki mit einem seiner Hörner am Rücken auf, sodass dieser so fürchterlich schrie, wie ich noch nie einen Mann hatte schreien hören. Danach schüttelte es sich dermaßen, dass Isidor sich aus seinem Griff löste und in die Weiten des Ozeans geschmissen wurde. Nach wenigen Sekunden vernahm ich einen lauten Aufprall. Erneut hörte ich Lornir rufen: "Du kommst hier nicht durch!" Während ich mich dem Ungetüm näherte, konnte ich nun auch Svanja erblicken. Der Körper der Riesenschlange hielt sie fest im Würgegriff. Als sie mich ebenfalls sah, fing sie hoffnungsvoll an, nach mir zu schreien. Ich musste etwas tun.
Mit dem Mut der Verzweiflung näherte ich mich Schamaschtu und rammte einen der beiden Pfeile in seinen schuppigen Leib und griff mit der Linken danach. Wenn es mir jetzt noch gelänge, mit der Rechten den anderen Pfeil in dem Panzer des Seeungeheuers zu platzieren, könnte ich eine Hangel-Treppe bauen, um Svanja befreien zu können. Währenddessen hallten immer wieder die schmerzerfüllten Schreie Bjakis in mein Ohr. Ich hatte jedoch keine Wahl. Ich musste sie ignorieren. "Ich komme, Svanja! Halte aus!", rief ich ihr zu. Nachdem der zweite Pfeil erfolgreich saß, versuchte ich nun, den ersten wieder herauszuziehen und mich so Stück für Stück meiner jungen Gefährtin zu nähern. Dieses Vorhaben schien zunächst erfolgversprechend. Schamaschtu wurde von Lornir abgelenkt, sodass ich Pfeil für Pfeil näher an Svanja herankam. Ich konnte bereits in ihre tiefblauen Augen blicken, die neben Schmerz und Verzweiflung auch noch ein Drittes ausstrahlten: Hoffnung. "Schamaschtu!" Wieder konnte ich Lornirs Stimme vernehmen. Aus Bjakis Richtung hingegen war es ruhig geworden. "Du kommst hier nicht vorbei!", hörte ich Lornir dem Monster erneut zurufen. Dieses schien jedoch endgültig genug zu haben. "Uuuaaaaaaaaaaaaaaarrrrh", schrie es noch einmal mit aller Kraft, sodass ich es kaum mehr aushalten konnte. Ich konnte nicht anders. Reflexartig musste ich mir die Ohren zuhalten und stürzte ins Wasser zurück. Lornir stürzte ebenfalls in die Tiefe, sein Vulkanglasdolch hingegen blieb im Schuppenpanzer der Seeechse stecken. Schamaschtu tobte. Er drehte sich und wandte sich mit solcher Kraft, dass er jetzt auch noch Svanja in die Weiten des Meeres hinaus warf. Schreiend verschwand sie im Nachthimmel. Schamaschtu schmiss sie so weit, dass ich nicht mal einen Platschen beim Aufprall vernehmen mochte. Für den Moment schien er befriedigt zu sein. Aber für welchen Preis! Ich wollte gar nicht daran denken. Schamaschtu war aber noch nicht zufrieden. Mit seinen bernsteinfarben funkelnden Drachenaugen schien er Lornir zu fixiern. Die Blicke der beiden kreuzten sich erneut. Schließlich holte die Seeschlange zum Angriff aus und nahm Lornir in den Würgegriff. Swafnir sei Dank konnte ich schnell reagieren und mich an meinem leblosen und aufgespießten Freund Bjaki hochziehen. Ein letztes Mal sah ich Lornir in seine eisgrauen Augen. "Flieht, ihr Narren!", zischte er mich mit zornigem Blick an. Intuitiv und mit allerletzter Kraft riss ich Bjaki vom Horn der Schlange herunter. Dann verschwand das Monster mit Lornir im Würgegriff in den Tiefen der See. Die Wassersäulen warfen sich ins Meer zurück, das sich
langsam zu beruhigen schien. Es war zwar immer noch stürmisch, aber Wind und Wellen begannen, langsam nachzulassen. Das Land war noch in Sichtweite. Durch meinen immensen Kräfteverschleiß bedingt war es jedoch unmöglich zu erreichen. Was sollte ich tun?
Bjaki dem Meer übergeben, um dann wenig später selbst zu ertrinken? Ich bereitete mich darauf vor, in Kürze zu sterben. Das Schicksal kann eigenartig sein. Da habe ich Jahre lang nie das Meer zu Gesicht bekommen, und dann schien mir Efferd oder Swafnir ein Seemannsgrab zu gewähren. Aber soweit kam es nicht. Während ich noch abschiedsvoll an die immer kleiner werdende Küste des Hjaldinggolfs blickte, kamen von dort aus Lichtstrahlen auf mich zu, die eine Brücke bildeten. Ich dachte zunächst an eine Einbildung, aber die Lichtbrücke verschwand nicht. Zunächst zögerte ich noch einen Augenblick, dann griff ich mit einer Hand danach. Und tatsächlich - ich konnte mich daran festhalten. Ich hievte meinen leblosen Freund darauf und anschließend mich selbst.
Wie ging es jetzt weiter? Svanja und Isidor waren noch irgendwo da draußen, sofern sie den Aufprall überlebt haben. Hinzu kamen die eisigen Temperaturen, bei denen wir es alle wohl nicht mehr lange aushalten würden. Was für eine grausame Situation! Viel Zeit zum Nachzudenken blieb mir nicht. Die Lichtbrücke wurde schnell dünner. Ich entledigte Bjaki und mich unserer Krötenhaute und warf mir den Leblosen über die Schultern. Die Brücke würde nicht mehr lange halten. Ich rannte, was das Zeug hielt. Mit den letzten Reserven erreichte ich den Strand, wo Aelil ohnmächtig am Boden lag. Das Aufrechterhalten der Lichtbrücke hatte ihre gesamte Konstitution verzehrt. Erschöpft legte ich Bjaki neben mir ab und ließ mich fallen, ehe ich ebenfalls ohnmächtig wurde.
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Efferdmorgen - von Fíonlaighrí - 08.02.2013, 16:29
RE: Efferdmorgen - von Fíonlaighrí - 09.02.2013, 10:09
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