Fußball-WM 2014 Brasilien

[Kunar]

Den Zwölfen zum Gruße!

"Leider" stimme ich in der Bewertung der ersten beiden Spiele weitestgehend Zurgrimm zu, so dass ich nicht viel Neues beisteuern kann. Ich möchte aber kurz auf einige Details eingehen:

Hurra, am 5. Wettkampftag ist der Bann endlich gebrochen! Das Turnier hat sein erstes Unentschieden und das sogar mit einem wohlverdienten 0:0 im Spiel Iran gegen Nigeria.

Allerdings gebe ich dem Moderator nicht Recht, wenn er sagt, es sei das erste langweilige Spiel des Turniers gewesen. Gestern bei Frankreich gegen Honduras habe ich mich auch schon gelangweilt.

Ein langweiliges Spiel, in dem wenigstens Tore fallen, hat zumindest einige gute Momente. Vergleichbar mit einem langweiligen Film, in dem ein paar knackige Nacktszenen vorkommen.

Das 0:0 war schon der bisherige Tiefpunkt der WM. Dass es relativ spät kam und ein ziemlicher Ausreißer ist, zeugt jedoch von dem bisher guten Niveau des Turniers.

Von Nigeria hatte ich mir mehr erhofft. Wie sie so die entscheidenden Punkte gegen Bosnien-Herzegowina, geschweige denn Argentinien machen wollen, enzieht sich meinem Verständnis. Sie haben gute Aussicht, eine alte Tradition fortzusetzen, nämlich in der Gruppenphase gegen Argentinien zu verlieren (nach 1994, 2002 und 2010). Bosnien-Herzegowina hingegen kann sich gute Hoffnung auf 6 Punkte machen.

Gerne sehen würde ich ja noch die anderen beiden deutschen Gruppengegener. Aber das Spiel Ghana gegen USA ist mir mit Anpfiff 0:00 Uhr leider viel zu spät. Schließlich muß ich morgen arbeiten.

Sehr schade, denn das war um Längen besser und spannender als Nigeria - Iran oder Frankreich - Honduras! Für die deutsche Mannschaft sicherlich beruhigend, dass beide Mannschaften Schwächen und Unsicherheiten zeigten - besiegbar sind die beide. Allerdings zeichneten sich auch beide durch Kampfgeist aus: Die Einwechslungen Ghanas brachten neuen Schwung ins Spiel, während die Amerikaner ordentlich Verletzungspech zu beklagen hatten, aber tapfer durchhielten und am Ende mit einem knappen Sieg belohnt wurden. Ghana war im Abschluss meistens zu ungenau, die Abwehr auf beiden Seiten nicht recht sicher. Die ausfallenden oder lädierten Spieler auf Seiten der Amerikaner könnten natürlich ein Bonus für Deutschland sein, auch wenn man lieber durch bessere Spielweise gewinnt. Doch hatte Deutschland selbst bei seinem letzten Titel (EM 1996) ja ebenfalls zwischenzeitlich sehr viele Verletzte zu beklagen - das will also nicht unbedingt etwas heißen. Negativ bei der Berichterstattung das völlig sinnfreie Interview mit Kevin-Prince Boateng, der nach der Niederlage natürlich unzufrieden war. Er hat knappe, aber deutliche Antworten gegeben - was soll er denn sonst machen?

Die Feuertaufe hat die National-Elf überzeugend bestanden. Alle Achtung, hätte ich so überzeugend nicht erwartet. Spätestens nach dem zweiten Tor sah das recht überzeugend aus. Die Verwertung von Großchancen müßte allerdings trotzdem noch besser werden. Zwei Standards und zwei Geniestreiche von Müller sind eine feine Sache. Aber das wird so nicht in jedem Spiel klappen. - Und die frühe rote Karte gegen Pepe hat natürlich auch geholfen.

Wenn Pergor zu Recht darauf hinweist, in das Spanien-Debakel nicht zu viel hineinzuinterpretieren, so gilt das gewiß auch für diesen Auftaktsieg der Deutschen - so schön er auch anzusehen war.

Aber eines sei noch erwähnt: Diese neue Arbeitsuniform der Spieler finde ich immer noch schrecklich. Es ist einfach ein Traditionsbruch, daß die deutschen mit weißen Trikots und weißen Hosen auflaufen. Es ist auch ein Verlust an Individualität, denn ganz in weiß spielen viele Nationen (z.B. der Iran gerade). Alleinstellungsmerkmal der deutschen Mannschaft waren seit jeher für das Heim-Outfit die weißen Trikots mit schwarzen Hosen. Dabei hätte man m.E. bleiben sollen. Und dahin sollte man nun nach dieser WM schleunigst zurückkehren.

Das war nicht nur das wichtigste, sondern mit Abstand schönste Spiel des Tages. Ich weiß gar nicht, wann ich zuletzt eine solche Leistung von der deutschen Mannschaft gesehen habe.

War es das 4:0 gegen Argentinien bei der WM 2010? Oder das 3:0, das letzte Spiel 2011, gegen die Niederlande? Oder das 3:1 in der Qualifikation für die EM 2012 Ende 2011 gegen Belgien?

Endlich wieder ein souveräner Auftritt. Jedoch gibt es einen Unterschied zu den erwähnten früheren Siegen: Die waren oft wunderschön anzusehen, ja fast nicht von dieser Welt. Wenn es allerdings in einem anderen Spiel nicht gut lief, schien plötzlich gar nichts zu gehen. Das führte dann dazu, dass die deutsche Mannschaft zwei Gesichter zu haben schien (am deutlichsten zu sehen bei der EM 2008).

Heute hingegen, und das fand ich sehr beruhigend, wirkte es wie eine gute Mischung aus einer ganzen Reihe von Zutaten:
- einerseits eine gewisse Frische und Torhungrigkeit der jungen Spieler, andererseits eine gewisse Erfahrung
- Neuer wurde selten geprüft, war aber in einigen Szenen genau an der richtigen Stelle
- von einzelnen Blackouts mal abgesehen, griff die Verteidigung zum Teil angenehm früh an
- der gefürchtete Star Ronaldo wurde fast vollständig aus dem Spiel genommen; er wirkte am Ende sehr frustriert
- es gab zwar sehr schöne Momente, aber es war kein Versuch eines Hurra-Fußballs mit epischen Laufszenen, eher ein eiskaltes Verwerten im richtigen Moment
- Deutschland erzielt sowohl via Elfmeter als auch aus Standardsituationen als auch aus dem Spiel heraus Tore
- die Einwechslungen kamen zur richtigen Zeit und brachten Schwung ins Spiel
- beachtlicherweise machte sich die Schonung einiger Routiniers gar nicht negativ bemerkbar; das Versprechen, "breit aufgestellt" zu sein, wurde vollends erfüllt

Egal, was für ein toller Sieg es war, natürlich findet man immer Kritikpunkte:
- In der Anfangsphase wirkte die Mannschaft unsicher. Dabei ist es wichtig, schnell in ein Spiel hineinzufinden. Den Luxus eines ebenfalls unsicheren Gegners wird man nicht immer haben.
- Einige Großchancen (von Khedira, Götze) wurden nicht verwertet. Das könnte sich noch einmal rächen.
- Es gab einige Patzer in der Verteidigung, die sich zum Glück nicht als katatrophal heraustellten. Dennoch sollte man dem eigenen Torwart und Glück so wenig Arbeit wie möglich zukommen lassen.
- Ab dem 1:0 lief es recht gut; es mag aber ein Spiel kommen, in dem man nicht durch einen Elfmeter die Führung bekommt. Wie wird es laufen, wenn ein Spiel lange unentschieden bleibt? Diesmal spielten viele gute Umstände eine Rolle (Elfmeter, rote Karte gegen Portugal) - die wird man nicht immer haben.

Das ist natürlich kritisiert auf hohem Niveau und ich bin sehr erfreut über die recht nüchterne Analyse der Spieler, in der sie zum Teil ähnliche Sachen sagen. Es gibt also kein reines Gejubel, was mich hoffnungsvoll stimmt.

Neben dem Sieg der Niederlande hat Deutschland das bisher beste Ergebnis eingefahren. Gut geschlagen hat sich ebenfalls Italien - zumal gegen einen schwierigen Gegner. Ansonsten fand ich alle Favoriten (oder halben Favoriten) schlechter als Deutschland im ersten Spiel.

Traditionell gibt es immer einen Grund, das jeweilige Gruppenspiel am schwersten zu finden: Mit dem ersten startet man ins Turnier, da ist man noch nicht richtig mental angekommen. Beim zweiten läßt man sich vielleicht zu sehr hängen. Und beim dritten geht's um alles oder nichts.

Deutschland hat seine Aufgabe jedoch recht gut gemeistert. Ich würde das Spiel sogar das beste erste Spiel für Deutschland seit 1990 nennen (2002 gab's ein 8:0 gegen Saudi-Arabien, aber das war ein wirklich deutlich überforderter Gegner). Das 4:1 gegen Jugoslawien (das erst im Viertelfinale gegen Weltmeister Argentinien im Elfmeterschießen scheiterten) war ein starker Beginn.

Aber Holzauge sei wachsam! Man kann auch mit einem Superspiel in der Gruppenphase scheitern. Mein Lieblingsbeispiel ist Ungarn, das im ersten Spiel 1982 El Salvador 10:1 schlug und das am Ende trotzdem das Vorrundenaus ereilte.

Übrigens hat auch England weiße Hemden und schwarze Hosen. Das führt dazu, dass bei Partien Deutschland - England eine Mannschaft immer ihr Auswärtstrikot anziehen muss. Im Halbfinale 1990 hatte Deutschland das von mir so bezeichnete Fischschuppen-Trikot an, im Halbfinale 1996 liefen die Engländer wie graue Mäuse auf. Das Ergebnis war in beiden Fällen jedoch dasselbe.