14.12.2015, 22:03
(14.12.2015, 19:35)Rabenaas schrieb: Kannst Du sagen, wieso sich das Recht im angelsächsischen Raum so anders entwickelt hat?Naja, eine letztendliche Erklärung kann ich Dir dafür nicht geben. Zum einen hat das sicher viele Gründe und zum anderen bin ich kein Rechtshistoriker. Ich kann nur einige Gedankenansätze wiedergeben.
Das kontinentaleuropäische Recht hat sich ganz maßgeblich durch die Rezeption des römischen Rechts, d.h. des Corpus-Iuris-Rechts entwickelt. Und zwar nicht nur hinsichtlich bestimmter Rechtssätze oder -aussagen, sondern vor allem auch im Hinblick des rechtlichen Denkens und Arbeitens allgemein, also des Herangehens an rechtliche Fragestellungen. Der Ansatz, rechtlich problemorientiert zu denken, d.h. Lebenssachverhalte auf exemplarische einzelne Probleme zurückzuführen und diese mithilfe von abstrakten Rechtssätzen zu lösen, kommt maßgeblich aus dem römischen Recht. Man spricht insoweit auch von einer "Rationalisierung des Rechts".
Dadurch, daß die Rezeption des Corpus Iuris in Großbritannien nicht in dieser Weise stattgefunden hat, ist dieser Prozeß dort nicht entsprechend abgelaufen. Die Frage ist also dahin zu stellen, weshalb die Rezeption nicht bis nach Großbritannien gereicht hat. Und das hat wohl eine Vielzahl von Gründen. Allein die räumliche Distanz zu Italien, dem Zentrum der Rezeption und Ursprungsland des römischen Rechts, dürfte eine Rolle gespielt haben. Vor allem aber wurde die breite Akzeptanz und starke (letztlich gewohnheitsrechtliche) Durchsetzung des gelehrten - also römischen - Rechts im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation dadurch begünstigt, daß man das römische Recht nicht als etwas Fremdes wahrgenommen hat, sondern in Folge der "Translatio Imperii", aufgrund der man sich in der Kontinuität des Römischen Reiches sah, letztlich als eigenes Recht. Dieses Gefühl ist im Staatsdenken der Angelsachsen wohl bei weitem nicht so ausgeprägt gewesen.
"Haut die Säbel auffe Schnäbel."