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Bedingungsloses Grundeinkommen
Kleiner Kommentar zum oben verlinkten Nachdenkseiten-Artikel:

Der Artikel scheint mir stellenweise auf schlecht recherchierter Grundlage zu stehen. Ich weiß nicht, wo der Autor sich informiert hat, allerdings zeigt der Text recht deutlich, dass er das Konzept Grundeinkommen nicht wirklich verstanden hat.

Schon im Einleitungstext scheint ihm entgangen zu sein, dass die Steigerung der Bereitschaft, "noch schlechter entlohnte Jobs" anzunehmen, nicht so kritisch ist, wie er das vielleicht sieht. Was daran liegt, dass sie einen ganz anderen Grund hat als heute, nämlich die freie Entscheidung des Arbeitnehmers, der - im Gegensatz zu heute - auf diesen schlecht entlohnten Job alles andere als angewiesen ist. Die Unternehmen werden sich hüten müssen, die Löhne zu sehr zu senken, sonst kommt nämlich keiner mehr. Aber das ist vielleicht eines der vielen Details, auf die man die Bürger vorher erst mit der Nase draufstoßen muss, damit es ihnen klar wird?
Von einer "Enthebung der Pflicht zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit" zu sprechen, finde ich auch seltsam, wo doch "Pflichterfüllung" das passendere Wort wäre.

Allein die Tatsache, dass der Autor in seiner Was-wäre-wenn-Überlegung Armutsbekämpfung und Arbeitslosigkeit als weiterhin bestehende Probleme des Sozialstaats aufführt, zeigt doch, dass er da was nicht verstanden hat? Und niemand (mit einem gesunden Menschenverstand) fordert die Abschaffung von Kranken- oder Arbeitsunfähigkeitsversicherungen. Es fallen nur die Leistungen weg, die das Grundeinkommen ersetzt.

Der wichtige Abschnitt zur Kritik an der Finanzierung über die Mehrwertsteuer wurde oben gar nicht zitiert:
Nachdenkseiten schrieb:Folgt man [...] der sozialen Gerechtigkeit als Richtschnur, scheidet die Mehrwertsteuer als Finanzierungsquelle aus, weil sie keine Rücksicht auf die unterschiedliche Leistungsfähigkeit der ihr unterworfenen Bürger/innen nimmt und besonders kinderreiche Familien trifft, die in Relation zu ihrem niedrigen Einkommen einen relativ hohen Konsumgüterbedarf haben.
Dem Autor scheint nicht bewusst zu sein, dass es keinen Unterschied macht, ob eine Familie ein Kind oder beliebig viele hat: Alle kriegen Grundeinkommen! Jedes Grundeinkommen reicht für die Versorgung des jeweiligen "Beziehers" aus. Und ich nehme an, der Konsumgüterbedarf insgesamt wächst mit jedem hinzukommenden Familienmitglied genauso linear wie die Gesamtsumme der Grundeinkommen.
Zum Zweiten geht es mit einem Grundeinkommen überhaupt nicht mehr um Leistungsunterschiede. Leistungsunterschiede sind irrelevant, wenn die Leistung nicht mehr besteuert wird. Der Konsum wird besteuert, also die Inanspruchnahme von Leistungen. Das, was der einzelne aus dem Topf der Gemeinschaft herausnimmt. So gesehen berücksichtigt diese Art der Finanzierung sehr wohl (die relevanten!) Unterschiede: Wer wenig konsumiert, zahl wenig Steuern, wer viel konsumiert, zahlt viel Steuern. Darüber hinaus kann man Luxusgüter natürlich auch mit einer weitaus höheren Steuer belegen als Grundbedarfsgüter.

Nachdenkseiten schrieb:Wenn (fast) alle bisherigen Transferleistungen in einem Grundeinkommen aufgingen, hätten Neoliberale ihr Ziel erreicht, das traditionsreiche Sozialversicherungssystem zu zerstören und könnten den Systemwechsel noch dazu als Wohltat für die Bedürftigsten hinstellen.
Es sieht für mich so aus, dass (gerade bei den Nachdenkseiten) die Chancen, die das Grundeinkommen bietet, schlicht verkannt werden, weil der Fokus zu starr auf einem möglichen Siegeszug des Neoliberalismus liegt.
(Das ist kein Urteil über diese Webseite; ich kenne viele Leute, die die Nachdenkseiten wegen ihrer kritischen Betrachtung sehr schätzen und habe mich selbst noch nie eingehender damit auseinandergesetzt. Aber die Ablehnung des BGE scheint quer durch die Autorenbank vorhanden zu sein und häufiger eher vehement zur Sprache gebracht zu werden (so weit mein Eindruck nach einer kurzen Suche im Blog; ich beziehe mich hier aber nach wie vor ausschließlich auf diesen einen Artikel).)

Außerdem findet sich auch hier ein weit verbreitetes Missverständis wieder:
Nachdenkseiten schrieb:Es dürfte kaum die Zustimmung einer Mehrheit der Bevölkerung finden, weil für sie die Bedürftigkeit seiner Empfänger/innen und die Frage eine Schlüsselrolle spielen, warum jemand in eine Notsituation geraten ist.
Man kann es ja nicht oft genug sagen: Es geht nicht um eine Sozialleistung, die über Notsituationen hinweghilft! Es geht um ein Grund-Einkommen, das darf man ruhig ganz wörtlich so verstehen. Deshalb sage ich ja auch nicht "Grundsicherung". Aber macht nix. Das ist schließlich ein Punkt, der sehr viele davon abhält, das Grundeinkommen überhaupt ernstzunehmen (abgesehen von der Finanzierungsfrage, mit der die gesamte Idee sofort abgetan wird... oder der "Wer soll denn dann noch arbeiten?"-Frage... beide Fragen stellt der Nachdenkseiten-Artikel übrigens gar nicht :think:).

Alles in allem hat das mehr von einer Schmähschrift als einer fundierten Betrachtung?



Absichtlich zum Schluss - noch etwas Polemik:
Nachdenkseiten schrieb:Es muss darum gehen, den bestehenden Wohlfahrtsstaat durch sinnvolle Reformen weiterzuentwickeln
Mit dieser Einstellung kann man es auch gleich sein lassen. Ich habe oben anklingen lassen, dass es nichts bringt, einen durchlöcherten Teppich zu flicken. Wer flicken will, wird irgendwann einsehen müssen, dass die Löcher so schnell entstehen, dass auf ein gestopftes zwei neue kommen. Das liegt nicht zuletzt daran, dass die Diskussionen darüber, welcher Flicken denn nun der geeignetere für dieses oder jenes Loch wäre, zu keinem Ende kommen.
Natürlich ist es viel mühsamer, einen neuen Teppich zu weben, aber wenn der alte sich langsam aber sicher in seine Bestandteile auflöst, dann sollte man sich vielleicht doch einmal überwinden, über einen Ersatz für die innig geliebte Antiquität nachzudenken. Es lohnt sich irgendwann einfach nicht mehr, einen Teppich, der auseinanderfällt, weil seine eigenen Fäden ihn nicht mehr tragen, mühsam künstlich zusammenzuhalten. Letzten Endes verbraucht man dafür mehr Material als ein neuer Teppich kosten würde!
Die Prinzipien (oder besser Methoden) unseres Sozialstaats sind einfach überholt und müssen von Grund auf neu strukturiert werden. Sie stammen schließlich aus dem vorletzten Jahrhundert! Das allein sollte schon nachdenklich machen (auch wenn es natürlich keinerlei tatsächliche Aussagekraft hat ;)). Wer mir weiß machen will, dass das heute noch so funktioniert, müsste mich schon davon überzeugen, dass auch unsere Arbeitswelt sich in den letzten 200 Jahren kaum verändert hat (geschweige denn gerade dabei ist)...
Great people care.
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Bedingungsloses Grundeinkommen - von Boneman - 18.06.2007, 21:56
RE: Bedingungsloses Grundeinkommen - von Fury - 08.02.2008, 23:49
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