Themabewertung:
  • 0 Bewertung(en) - 0 im Durchschnitt
  • 1
  • 2
  • 3
  • 4
  • 5
Roman Gezeichneter Schatten [Spoileralarm]
#2
Khoramsbestie
Rahja 1016 BF

Eine dichte Wolkenbank verdeckte die untergehende Sonne und verwandelte die Abenddämmerung in ein göttliches Blutbad des Himmels. Dumpf drangen die Trommelschläge durch die Berge, wurde zurückgeworfen und ließen seinen Körper erbeben. Die verzweifelten Schreie der Sklaven mischten sich mit der Ekstase des Stammes.
Burshuk zog tief die kalte Bergluft in seine Lungen. Zwar lagerte sein Stamm nicht hoch im Raschtulswall, aber eben diese Kälte beschützte seinen Stamm seit ewiger Zeit vor den kaltblütigen Echsen, schon lange bevor die blutleeren Menschen hervorgekrochen kamen und die Täler besiedelten. Der Rhythmus der Trommeln brachte seinen Körper zum Zucken. Heute war seine Nacht. Sein erstes Blut. Burshuk hatte seine erste große Beute erlegt, die Khoramsbestie. Ihr Fell kleidete seine Schultern und er trank ihr Blut zusammen mit vergorener Stutenmilch. In dieser Nacht würde er zum Mann werden, seine erste wirkliche Waffe tragen. Natürlich hatte er, wie alle Kinder der Ferkinas, mit der Schleuder auf Maulwürfe geschossen und wilde Tiere gereizt, aber vor ihm lag die Waffe eines Mannes. Ein Beil mit einer Klinge aus Obsidian. In dem erstarrten Vulkangestein spiegelte sich der blutige Sonnenuntergang, der sich bald mit dem Blut seiner Feinde mischen würde. Schmerzhaft fasste er sich an die Seite. Hätte er dieses Beil an Stelle des spitzen Stockes gehabt, hätte ihm die Wildkatze wohl kaum die halbe Hüfte aufreißen können. Er spülte die Erinnerung mit einem weiteren Schluck der blutigen Milch hinunter.
Über die Weite, die ein Pony einen halben Tag läuft, musste sich Burshuk durch das Gebirge schleppen bis seinen Stamm erreichte. Auf allen Vieren kroch er, wie eine verabscheuungswürdige Eidechse. Sich lachten über ihn: „Sieh da Burshuk, die Eidechse“. Keiner lachte mehr über ihn, als sie den Kadaver der Bestie sahen. Fast so schwer wie er selbst. Er hatte das tote Tier drei Tage hinter sich her gezogen. Wie hatte da die schöne Farah geschaut und die dunklen Augen aufgerissen. Jetzt würde er nicht mehr um sie werben müssen, er konnte sie sich einfach nehmen. Falls er sie überhaupt noch wollte. Er würde sich zahlreiche Frauen nehmen, ja vielleicht sogar einen eigenen Stamm gründen. Keiner würde je mehr sagen: „Seht da, Burshuk, der wie eine Eidechse kriecht“. Er würde in die Täler hinabsteigen und den Eidechsen und Blutlosen das Fürchten lehren.
War er eingenickt? Etwas ließ Burshuk aus seiner ekstatischen Trance erwachen. Noch immer tanzten seine Stammesbrüder in wilden Zuckungen um ihn herum. Das Geschrei übertönte nun fast die Trommeln. Aber es hatte sich verändert. Hatten die Schmerzensschreie der Sklaven zugenommen? Nein. Das waren die Schreie seines Stammes. Sein trüber Blick begann sich zu klären. Plötzlich konnte er Farah vor sich sehen. Sie trat gegen seinen Holzbecher und blutige Milch ergoss sich auf den steinigen Boden. Er war so überrascht, dass er überlegte was zu tun sein, statt diese unverschämte Frau einfach zu töten. Da bemerkte er, dass das Blut vor ihm unmöglich alles aus seinem Becher stammen konnte. Unter Farah hatte sich ein See der roten Flüssigkeit gebildet; ihr wunderschönes Gesicht zertrümmert, ihr Körper blutüberströmt brach sie zusammen. Burshuk versuchte verzweifelt aufzustehen und einen Feind auszumachen. Seine Welt drehte sich um ihn. Noch immer schienen die Gestalten um ihn herum zu tanzen. Diesmal eng umschlungen mit unbekannten tödlichen Fremden. Sein erster Impuls war es zu Flüchten, in die Berge mit den Frauen und Kindern. Aber sofort schämte er sich für diesen Gedanken. Er war nun ein Mann. Vor ihm tauchte eine hoch gewachsene Gestalt auf. Burshuks Blick fiel als erstes auf die lange gebogene Klinge des Mannes. Selbst dieser große Krieger musste die Waffe mit beiden Händen schwingen. Eine Klinge von fast zwei Schritt Länge trägt höchstens der Häuptling eines Stammes, schoss es ihm durch den Kopf. Ein Sieg gegen diesen Mann würde ihn, Burshuk, zum Häuptling machen. Der Mann hatte halt gemacht und betrachtete den jungen Ferkinia mit einem prüfenden Blick aus harten blaugrauen Augen. Das Gesicht war von kraterartigen Narben durchzogen, die ein kurzer grauer Bart nur schwer verdecken konnte. Das kurze verfilzte hellbraune Haar zeigte ebenfalls schon erste Spuren von Grau. Burshuk schätze seine Chancen ab. Mit einem schnellen Sprung wäre er bei seinem Beil und könnte dem bleichen Schwertschwinger den Bauch aufschlitzen. In diesem Moment begann sich der Fremde von ihm abzuwenden. Er betrachtete ihn anscheinend nicht als Gegner, nicht als Mann. Zorn durchflutete seinen Körper und trotz der kühlen Nacht begann jeder Muskel zu brennen. Innerhalb eines Augenschlags hatte er sein Beil erreicht und Schlug zu. Ein Schmerz durchfuhr seine Finger, dann war es vorbei. Ungläubig starrte er auf seinen Arm. Das Schwert der Bestie hatte seine Hand am Gelenk abgetrennt. Der fremde Krieger griff ihn nicht weiter an. In seinen Augen war jedoch kein Mitleid zu erkennen. Noch immer spürte Burshuk keinen Schmerz in seinem Armstumpf. Mit der linken Hand griff er langsam nach seinem Beil. Ungeschickt entfernte er seine eigene, rechte Hand, die die Waffe noch immer umklammert hielt. Der Fremde schüttelte langsam den Kopf. Burshuks Schreie hallten durch den Raschtulswall.
Zitieren


Nachrichten in diesem Thema
RE: Roman Gezeichneter Schatten [Spoileralarm] - von Steve Barnes - 16.06.2017, 09:46



Benutzer, die gerade dieses Thema anschauen: 3 Gast/Gäste