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Roman Gezeichneter Schatten [Spoileralarm]
#4
Mittelreicher
Rahja 1016 BF

Der Mittelreicher wischte seine Boronsichel an den Fetzen eines Toten ab. Der Kampf war lange gewesen, dennoch lag noch immer der Schatten der Nacht über dem grausigen Schauspiel. Sie befanden sich nicht hoch genug im Raschtulswall, um in einer bewölkten Nacht wie dieser die Sterne zu sehen und das Feuer der Ferkinas war bereits heruntergebrannt. Von überall war das Wimmern der Verletzten zu hören. Mit einem Stöhnen zog er das leichte Kettenhemd über den Kopf. Die Anstrengung mit dem langen gebogenen Schwert zu kämpfen hatte den Mittelreicher an die Grenzen seiner Belastbarkeit gebracht. Seine Unterkleidung war durchschwitzt und klebte am Körper, wenn er sich nicht schnell abtrocknete, würde er bei dieser Kälte erfrieren. Sorgfältig suchte er seinem Körper nach Verletzungen ab. Er hatte schon Soldaten gesehen die im Fieber der Schlacht weitergekämpft hatten, obwohl ihr Schwertarm bereits abgetrennt war und dies erst bemerkt hatten als die nächste Parade ins Leere ging. Auch kleine Wunden verursachten oft genauso viel Tode nach der Schlacht durch Wundbrand wie große Verletzungen während dem Kampf. Bis auf einige blaue Flecken hatte ihn sein Kettenhemd jedoch geschützt.
Die Versuchung sich hinzulegen und zu schlafen war übermächtig, aber es gab noch viel zu tun. Mit einem Ruck strafte der Söldner seine Schultern und verschaffte sich einen Überblick.
Von der ganzen Kompanie waren keine zwei Dutzend übrig geblieben, die Hälfte davon würde den Morgen nicht erleben und erst recht nicht den Abstieg in das Flachland. Der Feldscher war ebenfalls tot. Er hatte dem Salbenmischer aus Ben-Oni, der alles mit einem Sud aus Kamelscheiße hatte behandeln glauben zu können, ohnehin nicht getraut. Ein Schrei ließ ihn aus seinen Gedanken auffahren. Einer seiner tulamidischen Kameraden torkelte auf ihn zu. Die Hände am blutverschmierten Hals. Seine Schreie begannen bereits in ein verzweifeltes Gurgeln überzugehen. Blut füllte seine Lunge. Schnell war dem Mittelreicher klar was passiert war. Sein gieriger Kamerad hatte die Leichen der Ferkinas begonnen zu plündern, ohne sich zu vergewissern, dass alle bereits zu Boron gegangen waren oder wo auch immer diese verdammten Teufel nach ihrem Tod hinkamen. Für ihn war nichts mehr zu tun und es gab auch kein Mitleid für den Sterbenden. Er hatte den Kodex verletzt. Gesetz 27: „Nimmt ein Söldling dieses Recht in Anspruch, trotzt einer Versorgung durch den Soldherrn oder vor der Versorgung Verwundeter ist er zu verurteilen nach Gesetz 99.“ Der Mittelreicher sah von dem Vollzug der Strafe ab. Es wäre ohnehin der Tod gewesen, den der Mann in kürzester Zeit ereilen würde.
Bei seinem Rundgang fand er nur einen überlebenden Ferkina, der der den anderen Söldling getötet hatte. Sie kämpften wirklich wie Verrückte und bis zum Tod. Damit waren sie den Orks nicht unähnlich. In der Tat waren den tulamidischen Söldnern in seiner Kompanie diese Wilden auch nicht viel mehr Wert, vorausgesetzt sie hatten in ihrem Leben schon einmal einen leibhaftigen Ork gesehen. Den Mittelreicher überkam bei diesem Gedanken immer ein ungutes Gefühl, denn er hätte einen Ferkina wohl kaum von einem anderen Tulamiden unterscheiden können und er selbst ähnelte dem tulamidischem Volk weit weniger. Zwar überragte er die meisten in seiner Kompanie um fast einen Spann, aber er war selbst nicht einmal einen Schritt und drei Spann groß und damit in seiner Heimat wohl eher von durchschnittlicher Größe.
Er zögerte kurz als er den flehenden Gesichtsauszug des Ferkinas bemerkte und rief sich den Wortlaut des Kodex in das Gedächtnis. Gesetz 5: „Einem Söldling sei es hiermit erlaubt einen Feind des Soldherrn zu töten, sofern es dieser befohlen hat oder es zu seinem Schutz notwendig zu erachten ist. Der Söldling hat nur Feinde zu töten, welche gegen ihn Waffen zeigen. Ergibt sich ein Feind des Soldherrn, ist dies zu akzeptieren.“ Dann fiel der Blick des Mittelreichers auf den blutigen Dolch, den der Ferkina in den zitternden Händen hielt. Damit hatte er einen seinen Kameraden erstochen und sein Leben verspielt. Ein flacher Rückhandschlag beendete das Leben des Stammeskriegers.
Mit einigen seiner Kameraden kümmerte er sich nun um die Verwundeten, die meisten der Überlebenden vergnügten sich mit den Frauen der Ferkina. Vor einiger Zeit hatte er einmal bei so etwas einschreiten wollen, wurde dann aber kurzerhand zurechtgewiesen. Das Recht zu Plündern stand dem Söldling nach dem Kunchomer Kodex zu und er glaubte an den Kodex. Die Tulamiden legten, zumindest in der Gegend um Fasar, die Frau als Teil des Besitzes aus. In Aranien wäre man zwar dafür hingerichtet worden, hier jedoch waren sie nicht in Aranien. Die meisten anderen, die mit ihm die Verwundeten versorgten waren noch sehr jung und wohl zu schüchtern um im Kreis ihrer Kameraden eine Frau zu vergewaltigen, jedoch keineswegs zu anständig. Die ganze Truppe hatte nur aus Halsabschneidern bestanden und würde sich wohl nach Auszahlung des Solds in Fasar auflösen. Er war außer dem Hauptmann einer der wenigen, die eine Klinge führten, die für den Kampf geschmiedet wurde. Die meisten hatten nicht mehr vorzuweisen als eine umgeschmiedete Sense oder eine Heugabel. Kein Wunder hatten sie so schwere Verluste hingenommen, obwohl sie die Wilden bei einer Art Fest überrascht hatten und obwohl sie in der Überzahl gewesen waren. Ohne das Fest hätten sie diese geländekundigen Krieger wohl auch kaum überraschen können. Der Mittelreicher bezweifelte sogar, ob seine Kompanie den Weg zurück finden würde.
Als die Verwundeten versorgt waren, legte er sich noch einige wenige Stunden in seinem Schlafsack zur Ruhe. Am Morgen wurde er von Schreien geweckt. Seit Jahren schlief er in dem leichten Kettenhemd und mit einem Griff zu seiner mächtigen Zweihandwaffe war er kampfbereit. Es war jedoch kein Angriff zu erkennen. Die verbliebenen Söldlinge hatte eine Traube gebildet, kaum einer Stand aufrecht, wahrscheinlich hatten sie die ganze Nacht durch getrunken und den Sieg gefeiert. Wahrscheinlich hatte der Hauptmann nicht einmal Wachen aufgestellt und das auf feindlichem Gebiet. Unter anderen Umständen wäre der Mittelreicher niemals mit einem solchen Haufen losgezogen, aber für einen Mittelreicher waren in Fasar sonst nur schwer Aufträge zu bekommen, er konnte nicht wählerisch sein.
Als er in den Kreis der Söldlinge trat war gerade ein heftiger Streit im Gange. „Ich sage wir nehmen sie mit und verkaufen sie. Und während der Reise haben wir unseren Spaß!“, schlug ein rattengesichtiger Tulamide dem Hauptmann Urschid Al’ irgendwas vor. Der Mittelreicher merkte sich nicht die Namen dieser angeheuerten Straßenräuber, die genauso schlimm waren wie die Wilden, die sie jagten. Sie nannten ihn nur den „Mittelreicher“ und daher sprach er die anderen Söldlinge eben nur mit „Tulamide“ an. Urschid schüttelte den Kopf: „Nein! Der Erhabene will auch die Frauen und Kinder tot sehen, damit sich das Gezücht nicht weiter vermehrt. Für jeden Kopf...“ Der Hauptmann biss sich auf die Zunge, aber es war schon zu spät. Das Rattengesicht begann zu schreien: „Es gibt Kopfprämien? Du hast uns nichts von Kopfprämien gesagt!“ Der feiste Hauptmann begann zu schwitzen und wischte sich über die Stirn: „Ein Hauptmann darf nach dem Kodex von Kunchom höher bezahlt werden als der gemeine Söldling, fragt den Mittelreicher, er kann lesen, er kennt den Kodex. Alle Blicke richteten sich auf Mittelreicher. Es war ein alter Phexgeweihte gewesen, der ihm damals im Dorf das Lesen beigebracht hatte. Er hatte immer gesagt, man müsse zumindest versuchen gleiche Voraussetzungen zwischen den Bauern und fahrenden Händlern zu schaffen, sonst sei der Handel nicht seinem Gott wohlgefällig. Er konnte nicht besonders gut lesen und musste dazu den Mund bewegen, aber er hatte ein gutes Gedächtnis und hatte tatsächlich eine alte Ausgabe des Kunchomer Kodex erworben. Den Einband hatte zwar jemand abgeschnitten, aber der Text war gut erhalten. Mittelreicher hatte immer das Gefühl es müsse Regeln geben. Trotzdem war er nie ein enger Freund der Praioskirche gewesen und ihrer Pfaffen. Deren Regeln waren vielleicht sogar richtig, aber nur für die Adligen und Reichen, die es sich leisten konnten. Nicht für die, die überleben mussten. Der Kunchomer Kodex war einfach... vernünftig. Jetzt verfluchte er aber den alten Geweihten und den Händler in Kunchom. Er würde es sich mit einer der Parteien verscherzen. Also antwortete er vorsichtig: „Das stimmt, der Sold des Hauptmanns darf abweichen, aber wenn man bei Kopfgeldern nachschlägt ist zu lesen, dass das Kopfgeld vom Hauptmann ausgezahlt wird...“ Weiter kam er nicht, bereits drei der Söldlinge hatten sich auf ihren Hauptmann geworfen. Urschid war trotz seiner Leibesfülle einer der wenigen kampferprobten Söldner in der Kompanie und wehrte sich standhaft. Sogleich stürzten zwei weitere Söldner dazu, die glaubten sich einen extra Sold verdienen zu können, indem sie den Hauptmann retteten. Langsam zog sich Mittelreicher mit seinem langen Zweihänder zurück und ging dabei die Passagen des Kunchomer Kodex durch. Er musste den Hauptmann nicht verteidigen, er hatte den Kodex nicht verletzt. Angreifen musste er ihn auch nicht, außer er wollte einen extra Sold. Also verhielt er sich ruhig, wenn jemand aus dem Getümmel auf ihn zukam hob er nur leicht seine Klinge und der derjenige suchte sich einen anderen Gegner. In der Schlacht war die Kampfreihe für einen guten Kämpfer ein sicherer Ort, der Rücken durch Kameraden gedeckt. Sich auf diese Art in einen Kampf zu begeben war selbst für einen überragenden Kämpfer praktisch Selbstmord. Selbst die Verwundeten des Kampfes von letzter Nacht blieben nicht verschont. Die Frauen der Ferkinas waren zu eingeschüchtert um davonzulaufen oder verstanden vielleicht auch einfach nicht was vor sich ging. Nach wenigen Minuten lagen über zwanzig weitere Leichen auf dem kleinen Plateau. Drei Kämpfer hatten überlebt, keiner unverletzt. Einer ergriff das Wort. „Was nun? Hören wir auf und teilen wir das Kopfgeld?“ Mittelreicher schüttelte langsam den Kopf: „Das kann ich nicht zulassen. Sie tragen keine Waffen und wehren sich nicht. Ihr verletzt den Kodex, wenn ihr sie tötet.“ Der überlebende Söldner schaute ungläubig: „Das darf nicht wahr sein, wer interessiert sich für den Kodex?“
Mittelreicher hob langsam die Boronsichel und ging auf den Mann zu. Die anderen beiden zögerten. Sie waren beide nur mit Sicheln und Messer bewaffnet und waren sie überhaupt verbündet? Mittelreicher setzte jetzt zu einem Sprint an und hob seine Waffe zu einem seitlichen Hieb. Der Sprecher der Gruppe schaffte es gerade noch sein Schwert hochzureißen, aber Mittelreicher schwang seinen Zweihänder mit unglaublicher Kraft herum und traf ihn in der anderen Seite. Mit einer einzigen Drehung gelangte er bereits in Waffennähe der anderen beiden Söldlinge. Mittelreicher war nicht mehr jung. Sein Herz pochte schon jetzt heftig und er spürte seine 46 Götterläufe, aber er wehrte den ängstlich geführten Sensenhieb mit Leichtigkeit ab. Das Holz der Waffe splitterte und ein weiterer Hieb der Boronsichel reichte aus, um dem Tulamidem den halben Arm abzutrennen und ihm mit dem Schwert noch in die Seite zu fahren. Der verbliebene Söldner warf seine Waffe zur Seite, aber in Mittelreicher kochte das Blut. Dieser war in der Nacht bei den Vergewaltigern gewesen. Mit einem einzigen Hieb spaltete er den Mann bis zur Brust.
Erschöpft sank Mittelreicher auf die Knie. Die Frauen, Kinder und Alten hatten sich mittlerweile aus den provisorischen Fesseln befreit und flüchteten. Er tat nichts um sie aufzuhalten. Er hatte den Kodex verletzt, aber es war niemand mehr da um ihn zu richten.
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RE: Roman Gezeichneter Schatten [Spoileralarm] - von Steve Barnes - 16.06.2017, 11:47



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