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Roman Gezeichneter Schatten [Spoileralarm]
#7
Mittelreicher
Rahja 1016 BF
 
Rasselnder Atem in der Dunkelheit. Plötzlich flammte in dem Gang unter Fasar ein Licht auf. Etwas raschelte und einige Ratten begaben sich auf die panische Flucht vor dem ungebetenen Ruhestörer. Tulachim und Mittelreicher rangen heftig nach Atem. Auf der anderen Seite der Stahltür war ein beständiges Schaben und Kratzen zu hören, aber sie hielt. Tulachim hatte eine Fackel entzündet, ganz gewöhnlich mit Feurstein, Stahl und Zunderschwamm. Mittelreicher hob eine Braue: „Ihr habt gerade den halben Tunnel in Brand gesteckt und entzündet eine Fackel auf diese Art und Weise?“ Er nickte mit dem Kopf auf Tulachims Magierstab, der einsam auf dem Boden lag: „Wir hatten einst einen Magier bei uns im Feld. Sein Stab brannte am oberen Ende, ohne kürzer zu werden.“ Tulachim musterte im Schein der Fackel den reich verzierten Stab. Die feinen Holzschnitzereien waren mit Silber ausgelegt. „Manchmal geht nichts über ein richtiges Feuer, meint ihr nicht?“ Mittelreicher musste grinsen, auch wenn ihre Situation alles andere als phexgefällig aussah.
Durch die Tür zurück war keine Option, also machten sie sich weiter in Richtung Stadt auf. Nach einer halben Ewigkeit stieg der Gang wieder an. Sie waren mittelweile an mehreren Abzweigungen vorbeigekommen, aber Tulachim hatte stets nur den Kopf geschüttelt, jetzt bog er in einen der Seitengänge ab. Mittelreicher würde gut auf den Magier achtgeben müssen. In kurzer Zeit würde er sich hier drin hoffnungslos verirren. Schließlich erschienen Trittstufen aus Metall in einer Seite des Gangs. Tulachim machte Anstalten hinaufzuklettern. Mittelreicher hielt ihn zurück. „Woher wisst ihr, dass wir den Wachen nicht in die Arme laufen?“ „Das weiß ich nicht, aber Feqz wir meine Schritte dämpfen und je mehr wir auf ihn vertrauen, desto mehr werden wir ihm gefallen. Außerdem haben wir ohnehin keine Wahl.“ Mit diesen Worten griff er in das Loch über seinen Kopf und begann einige Bretter beiseite zu schieben. Sein Kopf verschwand in der Dunkelheit und tauchte kurz danach wieder auf: „Alles in Ordnung, wir können hoch.“ Das ungleiche Paar ließ die Fackel zurück.
Im Raum über dem Tunnel herrschte dämmriges Zwielicht. Durch einige Lücken in einer Bretterwand drang fahles Mondlicht. Noch eben vom Schein der Fackel geblendet, brauchten die Augen Mittelreichers kurz, um sich an das schwache Licht zu gewöhnen. Sie waren umgeben von Pfannen und Töpfen. An der Wand gegenüber waren fein säuberlich riesige Hackmesser aufgehängt. Sie hatten ganz augenscheinlich die Küche im Turm von Narebs Konkurrenten erreicht. Die Küchen und Werkstätten befanden sich, ebenso wie die Werkstätten, im Erdgeschoss der Türme.
Tulachim war bereits dabei, mit einem Dolch den Riegel auf der Außenseite der Holztür hochzuhebeln. Das Quietschen der alten Angeln ließ Mittelreicher zusammenzucken. Als sie durch die Tür traten, öffnete sich vor ihnen der kleine Innenhof vor dem Turm des Erhabenen. Er war umgeben von kleinen Holzverschlägen. Die Küche bildete einen davon. In ihrem Rücken erhob sich der dunkle Turm. Genau auf der anderen Seite des Hofs waren zwei Wachen zu sehen, gekleidet in Kettenhemden aus aufgenähten Ringen.
Einer der beiden schien gerade einen Witz gemacht zu haben, denn schallendes Gelächter durchbrach die Nacht. Tulachim formte einige kurze Zeichen mit seinen Händen. Mittelreicher erkannte die Zeichensprache als Atak. Er kannte nur einige Fingerfiguren dieser geheimen Händler- und Diebessprache. Er hatte sie einst bei einer leisen Operation wie dieser gebraucht. Sie verständigten sich darauf, die Treppe zur Haupttür des Turms hinaufzuschleichen. Die unaufmerksamen Wachen nahmen keine Notiz von ihnen. Der Tür war mit schweren Beschlägen versehen. Mittelreicher sicherte die Treppe hinunter in den Hof. Die beiden tulamidischen Wächter waren immer noch mit ihren Scherzen beschäftigt. Wieder vernahmen Mittelreicher das mystische „Foramen Foraminor“ nach einem Klicken. Vorsichtig schob Tulachim den schweren Flügel ein Stück auf. Der Magier und der Söldner schoben sich in den dahinterliegenden Gang. Er war hell erleuchtet von zahlreichen Fackeln, befestigt an messingfarbenen Haltern an der Wand. Ihre Schritte wurden von edlen Teppichen gedämpft. Allein die Kostbarkeiten, die hier den Boden schmückten und von ihnen mit Füßen getreten wurde, waren wahrscheinlich mehr wert, als der Sold, den Mittelreiche in seinem ganzen Leben verdienen würde. Selbst wenn der ganze Kontinent Aventurien für die nächsten Jahre mit Krieg überzogen werden sollte.
Gleich zu ihrer rechten Seite befand sich eine steile marmorne Wendeltreppe. Der Gang teilte sich weiter vorne zu mehreren Zimmern. Wahrscheinlich die der besser gestellten Bediensteten oder der Konkubinen. „Die Räumlichkeiten des Erhabenen werden sich im obersten Stock befinden“ meldete sich Tulachim zu Wort. Mittelreicher antwortete nur mit einem Nicken in Richtung der Treppe. Insgesamt passierten die beiden fünf Stockwerke. Mittelreicher hatte schon das Erdgeschoss für prachtvoll gehalten, doch jede Etage wurde beeindruckender. Im fünften Stock waren schließlich nicht nur der Boden, sondern auch die Wände mit kostbarem Marmor verkleidet. An vielen Stellen war dieser jedoch nicht einmal zu sehen. Denn prunkvolle Wandteppiche herrschten hier vor. Ein Motiv nahe der Treppe weckte das Interesse von Mittelreicher. Er trat aus der Wendeltreppe heraus auf das Kunstwerk zu. Die Fäden waren zu einem plastischen Feuer verwoben. Obwohl das Bild nur aus Feuer und Rauch zu bestehen schien, vermittelte es nichtsdestotrotz Leben oder zumindest Präsenz. In der Mitte war eine Gestalt mit Kaftan zu sehen, ähnlich dem von Tulachim. In diesem Moment legte der Magier dem Mittelreicher die Hand auf die Schulter. „Mein Freund, ich weiß, die Kunstfertigkeit unseres Volkes mag beeindruckend sein, aber wir müssen weiter und unseren glorreichen Auftrag zu Ende bringen. Zu unserem Ruhm und zu dem unseres Meisters Nareb.“ Mittelreicher musste unbewusst grinsen. Selbst in dieser bedrohlichen Situation verlor der Tulamide nicht seine blumige Ausdrucksweise und sein fast schon liebenswertes Überlegenheitsgefühl. „Hier stimmt etwas nicht. Es ist zu einfach. Warum ist uns auf der ganzen Treppe keine einzige Wache begegnet?“ Tulachim zog eine der gepflegten Augenbrauen in Richtung der Stirn: „Sie erwarten keinen Angriff von innen. So sehr ich auch unseren großen Meister Nareb schätze und würdige: Meint ihr nicht das das Leben umgeben von Diener und Wohlsprechern vielleicht zu selbstsicher und vielleicht … überheblich werden lässt?“ Mittelreicher antwortete nicht, sondern stieg die Treppe empor. Am oberen Ende kamen sie zu einer Tür mit kunstvollen Schnitzereien. Sie war nicht einmal verschlossen, sondern nur angelehnt. Mittelreicher trat leise hindurch. Der Prunk dahinter überstieg Narebs Einrichtung bei weitem, war aber nicht halb so geschmacklos. Die ganze Etage schien aus einem einzigen Raum zu bestehen, abgeteilt durch seidene Tücher und Vorhänge. Erhellt würde die ganze Szene von einem großen Kohlenbecken. Das Feuer flackerte heftig und spiegelte sich in einem großen Wasserbecken in der Mitte des Raumes wider.
„Nareb hat seine Lakaien geschickt!“ Rief es urplötzlich deutlich zu laut aus dem Raum. Am Kohlenbecken stand ein Tulamide. Für sein Volk erstaunlich hoch gewachsen mit dunklen Haaren und perfekt gestutztem Bart. Seine Robe war mit Symbolen aus dem Urtulamidya bedeckt. “Das Feuer!“ vernahm Mittelreicher erstaunlich einsilbig von Tulachim. Jetzt sah es der Söldner auch. Die Flammen flackerten wild und wuchsen an, obwohl im Raum kein einziges Lüftchen wehte. Mittelreicher hatte schon einige Male auf dem Schlachtfeld Magiern gegenübergestanden. Seiner Meinung war es das Beste ihnen aus dem Weg zu gehen, bis ein Bogen- oder Armbrustschütze sein Ziel gefunden hatte. Das kam jetzt allerdings nicht infrage. „Schütze uns mit deiner Magie!“ Rief der Mittelreicher hilflos Tulachim zu. „Ich fürchte das kann ich nicht.“ Mit diesen Worten versetze Tulachim dem Mittelreicher einen kräftigen Stoß, der den sonst so standfesten Kämpfer in das Becken fallen ließ. Sofort wurde er von seinem Kettenhemd auf den Boden gezogen. Neben ihm nahm er eine Gestalt im Kaftan war. Das Wasser erwärmte sich schlagartig. Das Gefühl, sich in einem Kochtopf zu finden stieg in Mittelreicher hoch und wurde vom freien Fall abgelöst.
Langsam kam er wieder zu sich. Er war nass. Seine Lungen waren mit Rauch gefüllt. Um sich herum lag der Marmor des Beckens verstreut und zerbrochen. Er befand sich im Stockwerk unter der Etage des Erhabenen. Aus dem Loch durch das sie gebrochen waren, loderten Flammen. Jetzt erst merkte er, das Tulachim an seinem Kettenhemd zerrte: „Wir müssen hier weg!“ Von überall waren Schreie zu hören. Das Trampeln von beschlagenen Stiefeln kündigte zahlreiche Wachen an. Spitze schreie deuteten darauf hin, dass sie sich jetzt auf dem Stockwerk der Konkubinen befanden. Benommen nahm Mittelreicher wahr, wie der Magier ihn auf eines der kleinen Fenster zuschob.
Etwa drei Meter unter ihnen konnte Mittelreicher eine der Hängebrücken erkennen, welche die Türme der Erhabenen verband und ihnen ermöglichte sich durch Fasar zu bewegen, ohne einen Fuß auf die schmutzigen Straße zu setzen. Im benommenen Hinterkopf des Mittelreichers formte sich ein beunruhigender Gedanke. Plötzlich umfing ihn die kalte Nachtluft und seine Füße verließen den festen Boden.
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RE: Roman Gezeichneter Schatten [Spoileralarm] - von Steve Barnes - 23.06.2017, 12:21



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