16.12.2013, 14:59
(Dieser Beitrag wurde zuletzt bearbeitet: 16.12.2013, 15:01 von Alter Ugdalf.)
Sehr langer Beitrag, mea culpa
Zweitens würde ich mir eine solche Konstellation freilich nicht wünschen. Ich würde aber sehr wohl der Union empfehlen, ein entsprechendes Bündnis zu prüfen, aus denselben Gründen wie links. Wenn die Union ihre politischen Ziele mit jener RPPD (Rechtspopulistischen Partei Deutschlands; ich hoffe, das Kürzel gibt es noch nicht) erreichen kann, mit der SPD aber ein Regierungsprogramm verabschieden müßte, bei dem sie fast alle ihre Positionen aufgeben muß, wäre meine Analyse dieselbe.
Wenn die RPPD - die Forderungen sind bewußt plakativ gewählt - für eine Koalition die Ausweisung aller Moslems und die Internierung von Arbeitsunwilligen zur Mindestbedingung macht, muß die Union eben abwägen, ob der Preis nicht doch zu hoch ist. Wenn sie das mitmacht, dann können wir eh die Lichter im Lande ausblasen.
Diesen Fall haben wir hier aber nicht. Die LINKE fordert nicht, morgen alle Betriebe zu verstaatlichen und im MfS eine feierliche Neueröffnung zu begehen.
Ein Beispiel aus der jüngsten Vergangenheit: Was bleibt von Steinbrücks Wahlkampf? Mittelfinger und Fahrradkette. Was hat er noch so gesagt und getan? Erinnert sich daran einer? (Das war jetzt wieder einer von links... Aber ich habe grade kein Beispiel für rechts parat. Ich erinnere mich aber, daß selbst ich vor kurzem Frau Merkel mal verteidigt habe, ich komme aber im Moment absolut nicht drauf, zu welchem Thema.)
Wer Klartext spricht, sich nicht vor der Presse windet und in seinen Formulierungen Hintertürchen offenläßt, wer klar zur Sache antwortet, statt auszuweichen, der wird von den Medien aufgefressen - denn er ist angreifbar. Wer aber so klare Konturen hat wie eine Riesenamöbe, der wird gelobt.
Der Pflock mit dem Nein nach links ist imho auch deshalb so tief, weil die SPDler alle paar Minuten danach gefragt und zu einer klaren Positionierung genötigt werden, warum auch immer. Zumindest empfinde ich das so.
Aber ganz im Ernst: wenn ich weiß, daß du mich betrügen wirst, ist das legitim? Dann brauchen wir ja wirklich keine Wahlprogramme mehr, sondern wählen unsere Verfassungsorgane per Lostrommel.
Ich fürchte, wir werden uns in dieser Frage nun nur noch im Kreis drehen können. Ich interpretiere Wahlversprechen offenbar grundsätzlich anders als ihr. Euer Argument nehme ich zur Kenntnis, bleibe aber dabei, daß es für mich keinen substantiellen Unterschied macht, ob ich von Aussage A abrücke oder von Aussage B. Ein Ja oder Nein zu einer bestimmten Frage, und sei es noch so klar vorgetragen, kann am Riff der Realität (oder wie Zurgrimm es nennt: "unliebsames Wahlergebnis") zerschellen.
Nochmal konkreter: Über das Wahlprogramm geben die Kandidaten Absichtserklärungen. Wer diese Absichten vollständig oder überwiegend teilt, plus das "soziale" Moment, ob man der entsprechenden Person vertraut etc., macht sein Kreuz bei dem entsprechenden Kandidaten und der Liste. Natürlich können sie von da an frei entscheiden, allerdings gründet sich der Vertrauensvorschuß auf die gemachten Versprechungen. Die Wähler setzen in ihr Kreuz die Hoffnung darauf, daß die vor der Wahl gemachten Aussagen - vorbehaltlich Mehrheitsverhältnisse und unvorhersehbarer sonstiger Entwicklungen - auch umgesetzt werden. Insofern werden eben nicht nur Personen, sondern auch Programme gewählt.
Jedenfalls wähle ich so.
Wie du sagst, geht es um die größte Schnittmenge. Wer die SPD wegen der Reichensteuer und der Bürgerversicherung wählt, der nimmt auch das Risiko des Mindestlohns in Kauf. Wer sie wegen Mindestlohn, Volksentscheid, Spitzensteuersatz, aber nicht der Bürgerversicherung gewählt hat, nimmt auch diese in Kauf. Nun gibt es einen halbgaren Mindestlohn und sonst nichts des genannten. Natürlich ist dies die freie Entscheidung der SPD-Abgeordneten. Sie könnten auch alle nächste Woche in die MLPD eintreten. Sie können auch morgen gegen Frau Merkel stimmen oder für die Verstaatlichung der Deutschen Bank. All das ändert aber nichts daran, was der Wähler Paul Meier sich gedacht hat, als er in der Kabine saß, und da hoffe ich, daß vor allem Inhalte wichtig waren, und nicht der Schlips des Genossen am Infostand. Und an dieser Stelle bin ich eben der Meinung, daß eine Orientierung an den Inhalten in ideologischer, realpolitischer und auch parteitaktischer Hinsicht zielführender gewesen wäre.
Im Übrigen wird die Fraktionsdisziplin in den Koalitionsverträgen festgeschrieben. Neben dem Gewissen ist der einzelne Abgeordnete also immer noch seiner Partei verpflichtet. Nur, daß einige sogenannte Abweichler bei einer Dreiviertelmehrheit der Fraktionen keine Gefahr darstellen - außer für sich selbst.
Gysi war SED-Mitglied, das ist wahr. So wie zweieinhalb Millionen anderer DDR-Bürger. Sind die jetzt alle totalitäre Schweine, mit denen man nie wieder zusammenarbeiten kann? Mein Großvater war in der SED, hinterher in der FDP - ist also die FDP nicht wählbar, weil da Altkommunisten drin sind? Wieso spricht keiner über die DDR-Altlasten in anderen Parteien?
Gysi trat erst zur Wendezeit ins Licht der Öffentlichkeit und wirkte an der Wiedervereinigung mit. Danach baute er die SED zu einer demokratischen Partei um, die sich ausdrücklich vom Stalinismus distanziert und eben einen demokratischen Sozialismus will, wie ihn die SPD im Westen zumindest dem Namen nach noch bis 2003(?) im Programm stehen hatte. Aber was wird zu seiner Person thematisiert? Daß er SED-Mitglied war. Daß man ihm unterstellt (und nicht nachweisen kann!), daß er IM war.
Lafontaine hat das Amt eines Bundesministers aus Gewissensgründen aufgegeben. Statt dies zu achten, hing ihm jahrelang der Ruch des Verräters an.
Deshalb distanziert sich die SPD von der LINKEN. Spiel nicht mit den Schmuddelkindern!
Hinzu kommt noch die taktische Komponente, die Zurgrimm angesprochen hat.
Die Frage wäre also erstmal, was rechts und links eigentlich ist. Wenn links außen die Sozialisten mit ihrem Gemeineigentum an Produktionsmitteln und einem regulierten Markt oder gar einer Zentralverwaltungswirtschaft sitzen, dann landen rechts außen - unabhängig von ihrer Haltung zu Ausländern - die Marktliberalen, die keinerlei staatliche Einmischung wollen. Daß für uns aber rechtsaußen die Rassisten unabhängig von ihrer Haltung zum Wirtschaftssystem stehen, zeigt, daß Rechts im allgemeinen Sprachgebrauch nicht das Gegenteil von Links ist. Deshalb wird die CDU nicht mehr als rechts wahrgenommen, denn dann wären sie ja N*zis. Nicht umsonst schreibst du, die CDU hätte konservative Positionen geräumt, nicht rechte, und da stimme ich dir sogar zu. Somit liegen zwischen der "echten, tagespolitikunabhängigen" Mitte und dem rechten Rand einige Meter Niemandsland, und in dem hält sich meiner Meinung nach nun die gefühlte Mitte auf.
Das Ideal der Leistungsgesellschaft, die Prekarisierung der Gesellschaft und die Abkehr von der sozialen Marktwirtschaft sind meiner Meinung nach Ergebnisse und Maßnahmen rechter Politik, der sowohl SPD als auch Union zustimmen. Der Wohlfahrtsstaat wird aufgegeben, die Solidarität aufgeweicht (in meinem ersten Beitrag hab ich kurz was zum Effekt des Mindestlohns und ALG II gesagt). Es kommt zur Machtkonzentration bei einer Elite. Global gedacht ist die durchaus auch ethnisch definiert. National gedacht zumindest teilweise, von hochgehaltenen Beispielen von Aufsteigern abgesehen. Aber ob ethnisch oder anders: Freiheit ohne Gleichheit ist nichtig, ebenso wie umgekehrt.
Wolverine schrieb:...Insofern müsste man hier nun deutlich mehr tun, als bloß ein Wahlversprechen unter vielen zu brechen.Nicht ganz: Wenn die Schnittmenge der Wahlversprechen mit Partei A wesentlich größer ist als mit Partei B muß man bei einer Koalition mit B mehr Zugeständnisse machen. Ergo muß man auch mehr Wahlversprechen brechen. Wenn ich fast meine gesamte Agenda durchbringen kann und dafür nur eine Aussage revidiere, halte ich das für konsequenter als wenn ich fast mein gesamtes Programm über den Haufen werfe, um nur eine Aussage nicht revidieren zu müssen.
Wolverine schrieb:Mal ein einfaches Gedankenexperiment: Was wäre, wenn eine rechtspopulistische Partei in den Bundestag käme, und den Unionsparteien zur Mehrheit verhelfen könnte, diese ein Bündnis aber genauso ausgeschlossen hat wie die SPD mit der Linken?Erstens ist es interessant, daß du von Rechtspopulisten und nicht Rechtsextremen sprichst. Von Linkspopulisten habe ich noch nie was gehört, die LINKE wird stets linksextrem genannt. Ist kein Angriff auf dich persönlich, ich finde nur interessant, wie die Begrifflichkeiten verwendet werden. (Anmerkung: Rechtspopulisten werden gerne auch als rechtsextrem bezeichnet, das ist mir bewußt. Ebensowenig will ich behaupten, es gäbe keine Linkspopulisten. Worauf ich raus will ist, daß bei der Rechten im öffentlichen Diskurs differenziert wird/werden kann, auf der anderen Seite nicht.)
Zweitens würde ich mir eine solche Konstellation freilich nicht wünschen. Ich würde aber sehr wohl der Union empfehlen, ein entsprechendes Bündnis zu prüfen, aus denselben Gründen wie links. Wenn die Union ihre politischen Ziele mit jener RPPD (Rechtspopulistischen Partei Deutschlands; ich hoffe, das Kürzel gibt es noch nicht) erreichen kann, mit der SPD aber ein Regierungsprogramm verabschieden müßte, bei dem sie fast alle ihre Positionen aufgeben muß, wäre meine Analyse dieselbe.
Wenn die RPPD - die Forderungen sind bewußt plakativ gewählt - für eine Koalition die Ausweisung aller Moslems und die Internierung von Arbeitsunwilligen zur Mindestbedingung macht, muß die Union eben abwägen, ob der Preis nicht doch zu hoch ist. Wenn sie das mitmacht, dann können wir eh die Lichter im Lande ausblasen.
Diesen Fall haben wir hier aber nicht. Die LINKE fordert nicht, morgen alle Betriebe zu verstaatlichen und im MfS eine feierliche Neueröffnung zu begehen.
Wolverine schrieb:einem kategorischen Ausschluss - den ich im Übrigen auch von der CDU erwarten würde, sollte eine rechtsextreme/-populistische Partei in den Bundestag kommen -Ich kann mich grade nicht erinnern, ob es irgendeine Aussage zur AfD gab. Ich denke nicht. Die Prognosen sahen jedoch so aus, daß diese Chance bestand, und das Ergebnis zeigte das auch. Jetzt müssen wir uns nur noch darüber streiten, ob die AfD rechtspopulistisch ist
Wolverine schrieb:Dass ein großer Teil der Politik aus Relativieren, Umdeuten und Nichtmehrwissenwollen von eigenen Aussagen besteht, ist wohl leider nicht zu vermeiden, aber die paar wenigen Pflöcke, die man wie hier besonders fest in den Boden rammt, sollte man doch dann auch bestehen lassen.Das ist sehr wohl zu vermeiden. Eben indem die Journaille und die von ihr gelenkte communis opinio nicht auf jeder kleinen und kleinsten Formulierung rumreitet, indem sie nicht jeden winzigen Angriffpunkt nutzt, um den Betreffenden zu bedrängen, sondern indem sie in der Sache fragt, an Inhalten orientiert. Indem zugelassen wird, daß jemand seine Meinung (nicht nur zu Koalitionsaussagen) ändert, weil er heute eben anders denkt als vor drei Jahren. Indem die Aussage Wir wollen als Absichtserklärung und nicht als vertragliche Abmachung verstanden wird. Indem nicht ein einzelner Punkt aufgebauscht wird bis zum Gehtnichtmehr und der Rest des Programms vergessen wird. Indem nicht gehorcht wird, wie sehr einer etwas befürwortet oder ablehnt, sondern die Begründung größeres Gewicht erhält, als die Formulierung.
Ein Beispiel aus der jüngsten Vergangenheit: Was bleibt von Steinbrücks Wahlkampf? Mittelfinger und Fahrradkette. Was hat er noch so gesagt und getan? Erinnert sich daran einer? (Das war jetzt wieder einer von links... Aber ich habe grade kein Beispiel für rechts parat. Ich erinnere mich aber, daß selbst ich vor kurzem Frau Merkel mal verteidigt habe, ich komme aber im Moment absolut nicht drauf, zu welchem Thema.)
Wer Klartext spricht, sich nicht vor der Presse windet und in seinen Formulierungen Hintertürchen offenläßt, wer klar zur Sache antwortet, statt auszuweichen, der wird von den Medien aufgefressen - denn er ist angreifbar. Wer aber so klare Konturen hat wie eine Riesenamöbe, der wird gelobt.
Der Pflock mit dem Nein nach links ist imho auch deshalb so tief, weil die SPDler alle paar Minuten danach gefragt und zu einer klaren Positionierung genötigt werden, warum auch immer. Zumindest empfinde ich das so.
Wolverine schrieb:Zurgrimm hat die Frage doch eigentlich schon beantwortet: Alle Aussagen stehen unter dem Vorbehalt eines Kompromisses, außer der Frage, mit wem man nach Kompromissen suchen wird.Hat er nicht, denn meine Frage ist, wieso die eine Aussage anders bewertet werden soll als die andere. Denn für mich ist jede Aussage vor einer Wahl vorbehaltlich des Wahlergebnisses.
Wolverine schrieb:Außerdem - ganz trivial - weiss der Wähler inzwischen einfach, das er bei inhaltlichen Fragen veralbert werden kann. Für definitive Koalitionsausschlüsse gilt das noch nicht.Ein Hoch auf die Politikvredrossenheit!
Aber ganz im Ernst: wenn ich weiß, daß du mich betrügen wirst, ist das legitim? Dann brauchen wir ja wirklich keine Wahlprogramme mehr, sondern wählen unsere Verfassungsorgane per Lostrommel.
Wolverine schrieb:Insofern kann vor der Wahl schlecht sagen, welche Postionen man auf keinen Fall räumen wird, denn das hängt davon ab, welche Koalition möglich sein wird.Und dennoch "Wird es mit mir [Merkel] eine Maut nicht geben". Nun haben wir Merkel und ein Regierungsprogramm mit Maut. Wir haben auch die SPD und ein Regierungsprogramm mit Maut. Es werden absolute Aussagen getroffen und dann revidiert (diese spezielle vonseiten der CDU schon vor der Wahl, denn klare Aussagen darf man ja nicht machen).
Ich fürchte, wir werden uns in dieser Frage nun nur noch im Kreis drehen können. Ich interpretiere Wahlversprechen offenbar grundsätzlich anders als ihr. Euer Argument nehme ich zur Kenntnis, bleibe aber dabei, daß es für mich keinen substantiellen Unterschied macht, ob ich von Aussage A abrücke oder von Aussage B. Ein Ja oder Nein zu einer bestimmten Frage, und sei es noch so klar vorgetragen, kann am Riff der Realität (oder wie Zurgrimm es nennt: "unliebsames Wahlergebnis") zerschellen.
Wolverine schrieb:Nein, da hast Du etwas gründlich missverstanden: Wir haben kein imperatives Wahlrecht:[...]Für die von dir zitierte Aussage beiße ich mich grade tatsächlich auf die zunge. Das mit den imperativen Mandaten habe ich nämlich ganz und gar nicht mißverstanden, im Gegenteil geht mir dir Diktion, der ich mich da unbedacht angeschlossen habe, selber schon lange auf den Sack.
Nochmal konkreter: Über das Wahlprogramm geben die Kandidaten Absichtserklärungen. Wer diese Absichten vollständig oder überwiegend teilt, plus das "soziale" Moment, ob man der entsprechenden Person vertraut etc., macht sein Kreuz bei dem entsprechenden Kandidaten und der Liste. Natürlich können sie von da an frei entscheiden, allerdings gründet sich der Vertrauensvorschuß auf die gemachten Versprechungen. Die Wähler setzen in ihr Kreuz die Hoffnung darauf, daß die vor der Wahl gemachten Aussagen - vorbehaltlich Mehrheitsverhältnisse und unvorhersehbarer sonstiger Entwicklungen - auch umgesetzt werden. Insofern werden eben nicht nur Personen, sondern auch Programme gewählt.
Jedenfalls wähle ich so.
Wolverine schrieb:Ich kenne mehrere SPD-Wähler, die entweder keinen Mindestlohn, geschweige denn einen flächendeckenden, und/oder keine höhere Besteuerung der Reichen wollten (die anderen Themen kamen nie zur Sprache), aber aus anderen Gründen trotzdem SPD gewählt haben. Man wählt denjenigen, mit dem man die größte Schnittmenge der eigenen Positionen sieht, aber es gibt keinen Automatismus, dass man damit alle Positionen der Partei teilt und einen direkten Auftrag zur Umsetzung gibt.Vorab: Wie meinst du "Die anderen Themen kamen nie zur Sprache"? Im Wahlkampf und dem Programm kamen sie sehr wohl zur Sprache, wenn sie auch in den großen medienwirksamen Runden nur Nebenkriegsschauplätze waren. Oder meinst du, diese Themen kamen in deinem Bekanntenkreis nicht zur Sprache? Dazu kann ich dann natürlich nichts sagen
Wie du sagst, geht es um die größte Schnittmenge. Wer die SPD wegen der Reichensteuer und der Bürgerversicherung wählt, der nimmt auch das Risiko des Mindestlohns in Kauf. Wer sie wegen Mindestlohn, Volksentscheid, Spitzensteuersatz, aber nicht der Bürgerversicherung gewählt hat, nimmt auch diese in Kauf. Nun gibt es einen halbgaren Mindestlohn und sonst nichts des genannten. Natürlich ist dies die freie Entscheidung der SPD-Abgeordneten. Sie könnten auch alle nächste Woche in die MLPD eintreten. Sie können auch morgen gegen Frau Merkel stimmen oder für die Verstaatlichung der Deutschen Bank. All das ändert aber nichts daran, was der Wähler Paul Meier sich gedacht hat, als er in der Kabine saß, und da hoffe ich, daß vor allem Inhalte wichtig waren, und nicht der Schlips des Genossen am Infostand. Und an dieser Stelle bin ich eben der Meinung, daß eine Orientierung an den Inhalten in ideologischer, realpolitischer und auch parteitaktischer Hinsicht zielführender gewesen wäre.
Im Übrigen wird die Fraktionsdisziplin in den Koalitionsverträgen festgeschrieben. Neben dem Gewissen ist der einzelne Abgeordnete also immer noch seiner Partei verpflichtet. Nur, daß einige sogenannte Abweichler bei einer Dreiviertelmehrheit der Fraktionen keine Gefahr darstellen - außer für sich selbst.
Wolverine schrieb:Solange sie hier weiterhin in erster Linie als umbenannte SED wahrgenommen und für deren Vergangenheit verantwortlich gemacht wird, ist das schwierig. Gregor Gysi ist da zum Beispiel ein zweischneidiges Schwert: Auf der einen Seite ein begnadeter Rhetoriker und Populist, auf der anderen Seite eine hinderliche Verbindung zu den alten DDR-Zeiten. Und dabei ist es relativ egal, was Gysi konkret vorgeworfen oder nachgewiesen wird, die ungünstige Verbindung bleibt in den Köpfen hängen.Du triffst den Nagel auf den Kopf: Die LINKE wird mit dem Realsozialismus und Lafos "Fahnenflucht" verbunden. Was sie sagt und tut, steht dahinter zurück. Über Gesetzesinitiativen und dergleichen hört man medial so gut wie nichts. Aber wenn einer das Wort Kommunismus in den Mund nimmt, entbrennen riesige Debatten - ohne dabei denjenigen welchen anzuhören...
Gysi war SED-Mitglied, das ist wahr. So wie zweieinhalb Millionen anderer DDR-Bürger. Sind die jetzt alle totalitäre Schweine, mit denen man nie wieder zusammenarbeiten kann? Mein Großvater war in der SED, hinterher in der FDP - ist also die FDP nicht wählbar, weil da Altkommunisten drin sind? Wieso spricht keiner über die DDR-Altlasten in anderen Parteien?
Gysi trat erst zur Wendezeit ins Licht der Öffentlichkeit und wirkte an der Wiedervereinigung mit. Danach baute er die SED zu einer demokratischen Partei um, die sich ausdrücklich vom Stalinismus distanziert und eben einen demokratischen Sozialismus will, wie ihn die SPD im Westen zumindest dem Namen nach noch bis 2003(?) im Programm stehen hatte. Aber was wird zu seiner Person thematisiert? Daß er SED-Mitglied war. Daß man ihm unterstellt (und nicht nachweisen kann!), daß er IM war.
Lafontaine hat das Amt eines Bundesministers aus Gewissensgründen aufgegeben. Statt dies zu achten, hing ihm jahrelang der Ruch des Verräters an.
Deshalb distanziert sich die SPD von der LINKEN. Spiel nicht mit den Schmuddelkindern!
Wolverine schrieb:Das haben sie mit überraschend großer Mehrheit nicht getan.Ich ziehe denselben Schluß wie du, allerdings aus etwas anderen Gründen: Mitte der Siebziger hatte die SPD noch über eine Million Mitglieder, 1990 noch ca. 900 000. Danach ging es stetig bergab: Heute sind es nicht einmal mehr 500 000. Wenn ich mal unterstelle, daß man eine Partei in erster Linie dann verläßt, wenn man in ihr nicht mehr seine politische Heimat sieht, dann sieht es sehr danach aus, daß diejenigen, die bis heute geblieben sind im Wertewandel der Partei mittragen. Insofern kommt das Ja zum Koalitionsvertrag nicht überraschend, sind doch die, die mit Lafo einer Meinung waren, nunmehr gegangen.
Daraus schließe ich, dass es eben doch eine große Diskrepanz zwischen der im Netz dominierenden Meinung (auf Blogs wie z.B. den Nachdenkseiten oder in den ganzen Kommentaren) und den Ansichten aller Parteimitglieder gibt. Kurz: Das was man so liest, entsspricht eben nicht der allgemeinen Meinung in der Parteibasis, sondern ist nur ein überbetonter Ausschnitt.
Hinzu kommt noch die taktische Komponente, die Zurgrimm angesprochen hat.
Rabenaas schrieb:Das ganze rechts-links-Schema ist doch nur pure Nostalgie und kein Naturgesetz.Über Sinn und Unsinn des politischen Spektrums ließen sich etliche Regalmeter füllen. Unterstellen wir einfach mal, daß es einen gewissen Sinn hat, grundsätzliche Tendenzen mit Namen zu versehen, und sei es nur angesichts der Tatsache, daß Links und Rechts gerne als Kampfbegriffe im politischen Diskurs gebraucht werden, die zumindest nicht völlig inhaltsleer sind.
Wolverine schrieb:Ja, das ist interessant, denn für mich liegt die gefühlte politische Mitte heute deutlich weiter links als vor 20 Jahren. Wenn ich überlege, welche konservativen Positionen in der Zeit von der CDU geräumt wurden. Dagegen fallen mir jetzt keine Punkte ein, in denen die CDU heute konservativer wäre, als noch vor 20 Jahren. Daran könnte es auch liegen, dass die CDU nicht mehr als "rechts" empfunden wird.[...]Naja, aber wo soll die politische Mitte sonst liegen?Wenn die Mitte immer zwischen SPD und CDU liegt, dann verschiebt sie sich notwendigerweise mit den Haltungen der Parteien. Wenn, wie ich schrieb, rechts nur die Rassisten sitzen und links die Altstalinisten, dann ist fast jeder Mitte.
Die Frage wäre also erstmal, was rechts und links eigentlich ist. Wenn links außen die Sozialisten mit ihrem Gemeineigentum an Produktionsmitteln und einem regulierten Markt oder gar einer Zentralverwaltungswirtschaft sitzen, dann landen rechts außen - unabhängig von ihrer Haltung zu Ausländern - die Marktliberalen, die keinerlei staatliche Einmischung wollen. Daß für uns aber rechtsaußen die Rassisten unabhängig von ihrer Haltung zum Wirtschaftssystem stehen, zeigt, daß Rechts im allgemeinen Sprachgebrauch nicht das Gegenteil von Links ist. Deshalb wird die CDU nicht mehr als rechts wahrgenommen, denn dann wären sie ja N*zis. Nicht umsonst schreibst du, die CDU hätte konservative Positionen geräumt, nicht rechte, und da stimme ich dir sogar zu. Somit liegen zwischen der "echten, tagespolitikunabhängigen" Mitte und dem rechten Rand einige Meter Niemandsland, und in dem hält sich meiner Meinung nach nun die gefühlte Mitte auf.
Das Ideal der Leistungsgesellschaft, die Prekarisierung der Gesellschaft und die Abkehr von der sozialen Marktwirtschaft sind meiner Meinung nach Ergebnisse und Maßnahmen rechter Politik, der sowohl SPD als auch Union zustimmen. Der Wohlfahrtsstaat wird aufgegeben, die Solidarität aufgeweicht (in meinem ersten Beitrag hab ich kurz was zum Effekt des Mindestlohns und ALG II gesagt). Es kommt zur Machtkonzentration bei einer Elite. Global gedacht ist die durchaus auch ethnisch definiert. National gedacht zumindest teilweise, von hochgehaltenen Beispielen von Aufsteigern abgesehen. Aber ob ethnisch oder anders: Freiheit ohne Gleichheit ist nichtig, ebenso wie umgekehrt.
Freiheit nur für die Anhänger der Regierung, nur für die Mitglieder einer Partei - und mögen sie noch so zahlreich sein - ist keine Freiheit. Freiheit ist immer die Freiheit des Andersdenkenden. (Rosa Luxemburg)